Es ist wahrscheinlich bereits seltsam genug, wenn mit Bischof Georg Bätzing ein Präsidiumsmitglied des Synodalen Weges sich selbst als dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz einen Brief schreibt und sich damit selbst über eine Entscheidung des Präsidiums informiert, nachdem er selbst an der fraglichen Entscheidung des Präsidiums beteiligt war – aber was ist noch seltsam angesichts eines Synodalen Weges, der doch in mehrerlei Hinsicht um Legitimation seiner Entscheidungen kämpft.

Gerade kommt eine weitere Ungereimtheit hinzu, die genaugenommen ein handfester Skandal ist, hebelt sie doch in eigenmächtiger Auslegung das in der Satzung des Synodalen Weges garantierte Recht auf geheime Abstimmung aus, das von mindestens fünf Mitgliedern der Versammlung beantragt werden kann. Das sieht man im Präsidium anders und bringt die Geschäftsordnung des Synodalen Weges nicht nur in Gegenstellung, sondern konstruiert mit sprachlichen Spitzfindigkeiten gar einen Vorrang.

Konkret: Das Präsidium des Synodalen Weges (bestehend aus Bischof Bätzing und Bischof Bode als Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und Irme Stetter-Karp wie auch Thomas Söding als Vertreter des ZdK (Zentralkomitee der deutschen Katholiken) haben in einer Sitzung am 6. März 2023 nun entschieden, dass bei der Synodalversammlung die namentliche Abstimmung Vorrang vor der geheimen Abstimmung hat, und es hat diese Rechtseinschätzung auf Anfrage der Bischofskonferenz deren Vorsitzendem, also Bischof Bätzing selbst, mitgeteilt (Das 4-seitige Schreiben hier unter dem Link).

Man erinnere sich: Nachdem bei der 4. Synodalversammlung im Herbst 2022 die Abstimmung über den Grundtext zur Sexualmoral an der Sperrminorität der Bischöfe in geheimer Wahl gescheitert war, war die Empörung so groß, dass man bereits im Herbst die Satzung in einer freihändigen Entscheidung einer spontan befragten „Interpretationskommission“ und auch hier gegen den Antrag von fünf Synodalen kurzerhand aushebelte.
Die Kirchenrechtler Georg Bier (Freiburg) bezeichnete das als eine „unhaltbare Einschätzung der Rechtslage“ sein Kollege Martin Rehak (Würzburg) nannte diese Vorgehensweise eine „verfehlte Auslegung und Anwendung“.

Es sei jedem empfohlen, sich Georg Biers messerscharfe Analyse durchzulesen, der nicht nur die Chronologie dieses Geschehens, sondern auch gleich alle Mängel dieser Entscheidungen auflistet. Zitate:

„Fragwürdig ist zunächst das Interpretationsgeschehen: Die Kommission hat offenbar eine ihr nicht angehörige Person in die Beratung zur Interpretation einbezogen.“
„Erhebliche Zweifel bestehen an der Unbefangenheit der Interpretationskommission.“
„Die gerne als „Souverän“ bezeichnete Synodalversammlung wurde übergangen“
„Solches Vorgehen ist problematisch genug. Wesentlich schwerer wiegt die offenkundig falsche Interpretation der Geschäftsordnung“
„Alles andere wäre auch unvereinbar mit der Satzung des Synodalen Weges, die als solche der Geschäftsordnung vorgeht (Art. 14 Satzung, § 17 GO)“

Martin Rehak zerlegt in seinem Gutachten die Hierarchisierung „Namentliche Wahl steht vor geheimer Wahl“ durch die Interpretationskommission ebenfalls auf schärfste und lässt sich gar zum Urteil hinreißen:

Es ist schier unbegreiflich, dass Persönlichkeiten von Rang und Namen, deren persönliche Integrität über jeden Zweifel erhaben ist und die in der juristischen Fachwelt einen Ruf zu verlieren haben, ein solcher Fehler unterlaufen konnte. Man versteht auch nicht, welcher verqueren inneren Logik die von der Interpretationskommission behauptete Auslegung folgen könnte.“

Gerade zeigt sich deutlich die Konsequenz, die Georg Bier benannte:

„Welche absurden Konsequenzen sich ergeben, wenn dies nicht beachtet wird, hat die IV. Synodalversammlung gezeigt. Den Antrag von fünf Personen auf geheime Abstimmung behandelte das Moderationsteam als Geschäftsordnungsantrag und ließ darüber abstimmen (was schon deshalb unzulässig war, weil ein Antrag auf geheime Abstimmung in der exklusiven Aufzählung möglicher Geschäftsordnungsanträge in § 5 Abs. 3 GO nicht vorgesehen ist). Der „Geschäftsordnungsantrag“ verfehlte die einfache Mehrheit klar. Wäre dieses Vorgehen satzungs- und geschäftsordnungsgemäß, könnte die Mehrheit jeden Antrag auf geheime Abstimmung abblocken. Der Schutzzweck der Ausnahmeregelung wäre damit offenkundig unterlaufen.“

Und genau darum ging es im Herbst auch, jetzt soll es standardmäßig bei der 5. Vollversammlung wiederholt werden. Damit ist eine geheime freie Wahl, etwas, das gerade in demokratischen Prozessen die wirklich freie Wahl ohne Angst vor Konsequenzen ermöglichen soll, mit Ansage unterlaufen. Man möge die Bemerkung erlauben, dass solche Gepflogenheiten nur aus totalitären Ländern bekannt sind, oder wie es der Theologe Helmut Müller formuliert: „Gläserne Urnen gab es nur im Kommunismus.“

Wer nun glaubt, damit seien die formalen Ungereimtheiten am Ende, muss enttäuscht werden, weil sich auch weitere Paradoxien und Rechtsbrüche auftun, die entweder keiner sehen will, oder die alle ignorieren wollen. Im Folgenden aufgelistet:

1. Gültige Abstimmung trotz Missachtung des Wahlverfahrens?

Nicht nur die Berliner Landesregierung musste sich belehren lassen, dass eine Wahl, die das Wahlrecht nicht einhält, keine Gültigkeit hat, sondern wiederholt werden muss. Dieselbe Frage muss sich auch der Synodale Weg stellen lassen in Bezug auf alle Abstimmungen, die im vergangenen September unter Verweigerung der geheimen Wahl durchgeführt wurde. Und das sind nicht wenige, denn nach dem Scheitern des Grundtextes zur Sexualmoral (das war die allererste Abstimmung) hat man zwei Tage lang alle weiteren Beschlüsse unter nicht satzungskonformen Abstimmungsbedinungen abgehalten. Die Sache ist sehr einfach: Wenn die Satzung nicht eingehalten wurde und wie oben ausgeführt, sehen das führende Kirchenrechtler genau so, sind die Beschlüsse aus dem September nicht gültig und müssten wiederholt werden.

2. Ein bundesweiter Synodaler Rat ist beschlossen und gleichzeitig untersagt

Martin Brüske formuliert, was wir als Initiative bereits mehrfach bemängelt haben: Wenn am Samstag in einem ausführlichen Kandidatencasting auf der Synodalversammlung der sogenannte „Synodale Ausschuss“ in seiner finalen Zusammensetzung gewählt werden soll, bleibt das nicht aufzulösende Dilemma stehen, dass die Kernaufgabe des Ausschusses die Errichtung genau jenes Synodalen Rates sein soll, dem die römische Kurie, aber auch der Papst persönlich mit seinem Schreiben vom 16. Januar 2023 eine klare Absage erteilte.

Nun hat die Synodalversammlung im September 2022 die Errichtung dieses Rates längst beschlossen (hier der Beschluss in seiner endgültigen Fassung), jetzt wurde er verboten. Der Beschluss soll dennoch umgesetzt werden, obwohl sein Inhalt und seine Zielsetzung kirchenrechtlich untersagt sind.
Der Beschluss wird aber bei der jetzigen Versammlung laut Tagesordnung absehbar weder revidiert noch umgeschrieben. Etwas kann aber nicht gleichzeitig gelten und verboten sein. Man lässt es dennoch so stehen und hangelt sich an der Argumentation entlang, Rom habe die Ausgestaltung des Rates einfach nicht verstanden, man wolle ja immer im kirchenrechtlichen Rahmen bleiben.
Doch wofür braucht es dann ein Gremium, das nichts anderes ist als ein zahnloser Tiger? Es sei denn man will eben doch mit der „Selbstverpflichtung der Bischöfe“ mehr als Kirchenrecht herbeinötigen?
Und wie soll man den Beteuerungen eines Gremiums vertrauen, das vorgibt, Kirchenrecht beachten zu wollen, wenn dessen Mitglieder gerade demonstrieren, dass man nicht einmal in der Lage ist, eine einfache organisatorische Satzung juristisch korrekt umzusetzen, die inhaltlich nur auf dem Niveau eines Kaninchenzüchtervereines steht?

3. Eine Beschlussvorlage fordert unverdrossen weiter Synodale Räte bis auf die Pfarrebene hinunter

Der Papst hat jedoch noch mehr klargestellt als die Unmöglichkeit der Installation eines bundesweiten Synodalen Rates, nämlich zusätzlich, „dass weder der Synodale Weg noch ein von ihm eingesetztes Organ noch eine Bischofskonferenz die Kompetenz haben, den ‚Synodalen Rat‘ auf nationaler, diözesaner oder pfarrlicher Ebene einzurichten“. Der Nuntius fügte nun in seinem Grußwort auf der Frühjahrsversammlung der Bischöfe in Dresden gerade erst hinzu: Auch ein Bischof alleine dürfe das nicht.
Unverdrossen liegt aber dennoch mit diesem Handlungstext aus dem Forum 1, Gemeinsam beraten und entscheiden“ in zweiter Lesung ein Text vor, der die Bischöfe verpflichten soll, neue Leitungsordnungen zu erlassen, sodass sich auch der letzte Pfarrer in „Selbstverpflichtung“ einem Gremium beugen soll, wo er zwar formal widersprechen kann, er aber in ein detailliertes Verfahren gedrängt wird bis hin zu angeordneten Schlichtungen – oder sagen wir besser – bis er unter dem Druck aus Gemeinde und Lokalpresse endlich eingeknickt ist. Und zusätzlich bleibt auch hier die Frage offen: Hat da jemand den Brief aus Rom vom 16. Januar nicht gelesen? Zitat aus dem Text:

„Die Diözesanbischöfe erlassen Ordnungen für die Diözesen und Musterordnungen für die Pfarreien über verbindliche Verfahren und Regeln der gemeinsamen Beratung und Entscheidung von Leitungsamt und synodalen Gremien. Im Zentrum der Ordnungen steht die freiwillige Selbstbindung des Bischofs bzw. Pfarrers an die Beschlüsse des Gremiums.( …) Für die Pfarrei erlässt der Bischof in seinem Bistum eine Musterordnung für die freiwillige Selbstbindung des Pfarrers

Wissen die Pfarrer in Deutschland, dass der Synodale Weg sie gerade alle entmachten will und der Bischof dazu als Handlanger eingespannt werden soll, während alle gemeinsam eine päpstliche Anordnung ignorieren?

4. Gremienhopping für Fortgeschrittene

Nicht zuletzt bleibt ein letztes formales Dilemma bestehen, nämlich, mit welcher Legitimation ein neu zu gründendes Gremium (der Synodale Ausschuss) die Kompetenz  haben kann, die ersten Lesungen von Texten eines anderen Gremiums (der Vollversammlung) zu vollenden oder gar letztgültig zu verabschieden? Kann also Gremium A die Beschlüsse von Gremium B beenden, obwohl manche Teilnehmer von Gremium B nie im Gremium A waren, andere Mitglieder im Gremium A, die die Papiere entworfen haben, wiederum nicht mehr in Gremium B sitzen? Und welche Satzung und welche Geschäftsordnung macht so einen Wahnsinn möglich – vorausgesetzt es gibt überhaupt irgendwelche schriftlichen Regeln dazu? In Frankfurt soll beispielweise dieser Handlungstext (Maßnahmen gegen Missbrauch an Frauen) in erster Lesung beraten werden. Er kann jedoch nicht endgültig verabschiedet werden, muss also in den Ausschuss, wie auch eventuell andere Texte, wenn sie abgelehnt werden. Diese Delegierung von Entscheidungskompetenz ist nirgendwo formal in ihren Abläufen bestimmt.

5. Wieso soll die Umsetzung überwacht werden, wenn doch laut Satzung kein Beschluss bindend ist?

Man hat also in schwammiger Umschreibung dem neu zu gründenden Synodalen Ausschuss im Beschluss vom September 2022 schnell noch ein paar Aufgaben angefügt, nämlich zu Ende zu bringen, was man hier nicht fertig bekommt, aber auch die Evaluation der Beschlüsse des Synodalen Weges. Zitat aus dem Beschluss zur Aufgabenstellung:

Er bereitet bis spätestens 2026 die Einrichtung eines Synodalen Rates der katholischen Kirche in Deutschland vor, der den unten stehenden Anforderungen entspricht. Zur Entwicklung des Synodalen Rates gehört die Verhältnisbestimmung zu anderen Gremien der Deutschen Bischofskonferenz wie des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
Er bereitet die Evaluation der Beschlüsse der Synodalversammlung vor und entwickelt diese fort.
Er entwickelt die Initiativen weiter, die auf dem Synodalen Weg in den Synodalforen und der Synodalversammlung beraten worden sind. Er entscheidet zeitnah über die Texte, die in den Synodalforen beraten und beschlossen wurden und nicht mehr in die Synodalversammlung eingehen konnten.“

Der Ausschuss hat also die Aufgabe der Überwachung, des Monitorings, ob die Beschlüsse des Synodalen Weges denn nun auch wirklich auf diözesaner Ebene umgesetzt werden. Und damit sind wir bei der letzten Ungereimtheit angelangt: Wenn wir nun bereits auf der Satzung herumreiten, sollte man sie wirklich wörtlich nehmen. Und da steht nun eindeutig – und es wurde zur Abwiegelung gegenüber Kritikern unzählige Male darauf explizit verwiesen – dass die Beschlüsse der Synodalversammlung rechtlich nicht bindend seien. Zitat aus der Satzung:

„Beschlüsse der Synodalversammlung entfalten von sich aus keine Rechtswirkung. Die Vollmacht der Bischofskonferenz und der einzelnen Diözesanbischöfe, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit Rechtsnormen zu erlassen und ihr Lehramt auszuüben, bleibt durch die Beschlüsse unberührt.“ (Art. 11,5)

Man will also die Umsetzung von Beschlüssen überwachen und anmahnen, die von niemandem umgesetzt werden müssen, für deren Nichtumsetzung man sich aber dennoch rechtfertigen muss. Es erinnert an die „Empfehlungen“ der EU-Kommission an die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Natürlich handelt es sich nur um eine „Empfehlung“. Aber wehe, sie wird nicht erledigt! Im Juristischen gibt es dafür jedenfalls eine klare Bezeichnung: Das ist Nötigung.

All das lässt befürchten, dass der Synodale Ausschuss nichts anderes sein wird und auch sein soll, als die endlose Fortführung dieser Debatten, bis auch der letzte Pfarrer nach- oder aufgibt.

Aber klar, das Ganze tun wir ja nur  im Namen einer ehrenwerten „Missbrauchsaufarbeitung“,  oder?

Nüchtern zieht auch Alexander Kissler heute in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ)  in seinem Beitrag unter dem Titel: Auf ihrem Synodalen Weg stolpert die katholische Kirche der Bedeutungslosigkeit entgegen ein vernichtendes Fazit:

„Vielleicht gelingt es bei der letzten Synodalversammlung, die eine oder andere geschmeidige Kompromissformel zu finden, vielleicht werden manche Papiere ausgelagert in künftige Runden und Arbeitskreise. Am selbstverschuldeten Elend, mit dem sich die katholische Kirche aus dem Spiel nimmt, ändert das nichts.
Der Synodale Weg beschleunigt den Rückfall ins theologische Duodezfürstentum. Künftig will jeder Rat sein eigener Bischof und fast jeder Bischof sein eigener Papst sein. Zusammengehalten wird ein solcher Flickenteppich der Beliebigkeit nur noch von der Kirchensteuer. Insofern tritt die katholische Kirche mit dem Synodalen Weg in ihre nachkirchliche Phase ein.“

 


Birgit Kelle
publiziert als freie Journalistin und Kolumnistin für verschiedene Print- und Onlinemedien in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zu den Themen der Frauen-, Familien- und Genderpolitik. Kelle ist Autorin diverser Bücher („Gendergaga“, „MUTTERTIER. Eine Ansage“, „NOCH NORMAL? – Das lässt sich gendern!“ und zuletzt „CAMINO. Mit dem Herzen gehen“). Sie wurde 1975 in Siebenbürgen, Rumänien geboren und ist Mutter von vier Kindern. www.vollekelle.de. 

Beitragsbild: Adobe Stock

 

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