Am 3. März wird wieder Starkbier in München ausgeschenkt und Politiker werden „derbleckt“, d. h. es werden ihnen „die Zähne gezeigt“. Gut eine Woche später vom 9. – 11. März 2023 tagt die 5. Synodalversammlung des Synodalen Weges in Frankfurt. Helmut Müller meint, jener leichten Theologie, die dieser Versammlung zugrunde liegt, müsste auch die Zähne gezeigt werden. Der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet erhebt in seinem Buch „Für eine Kirche der Freiheit. Den synodalen Weg konsequent weitergehen“ (KF) den Anspruch, einer der Navigatoren dieses Weges zu sein. In einem neuen Buch, einem Streitgespräch mit seinem Freiburger Kollegen Helmut Hoping (SH) verteidigt er seine Positionen. Warum nicht auch Theologen „derblecken“, die bisweilen genauso selbstherrlich agieren wie Politiker? Ein guter bayrischer Politiker muss es beim traditionellen Starkbieranstich auf dem Nockherberg ertragen, seine Grenzen durch kabarettistische Beiträge und ein Singspiel aufgezeigt zu bekommen. Ertragen auch Theologen so eine Tradition?
Es ist wieder soweit: Es gibt Starkbier in der Fastenzeit auf dem Nockherberg in München. Wie gerne wäre ich dort! Dagegen schaue ich schon voll Sorge nach Frankfurt, wo in unerträglicher Leichtigkeit eine Theologie die Debatten bestimmt, die die Stammwürze jeder Theologie, nämlich Gott, in hochprozentig berauschende Freiheit verwandelt jedoch von Gott wenig übrig lässt: Freiheit von Rom, Freiheit von Natur und Schöpfung und Erweiterung der Offenbarung über Schrift und Tradition hinaus durch Zeitgeistplagiate. Obwohl Magnus Striet nicht am Synodalen Weg in Frankfurt teilnimmt, ihn sogar stellenweise kritisiert, bestimmt seine Theologie der Freiheit wie keine andere den deutschen Synodalen Weg. In seinem Buch Für eine Kirche der Freiheit. (KF) ernennt er sich sehr selbstbewusst zum Navigator dieses Weges und nur allzu viele folgen ihm. Nur wenige bemerken, dass es dabei nur um Begriffsanalysen von Gott und Freiheit geht, also bestenfalls um Religionsphilosophie von christlichem Zuschnitt.
Theologie ohne die 7 Gaben des Hl. Geistes
Eine Theologie, in der Freiheit als Ultimatum an Gott gerichtet und nicht als Schöpfungsgabe empfangen, sondern gefordert wird, hat offenbar Probleme mit „Gaben“: „Ich gebe gerne auch zu, dass ich um der Freiheit des Menschen willen Schwierigkeiten mit Ansätzen habe, die den Begriff der Gabe als zentral ansehen“ (SH,47). Er nennt auch den Grund “…da dieser [Gott] dann immer im Grund der Freiheit [wenn sie Gabe wäre] wirksam bliebe“ (48). Der „Geber“ der Gabe stört offensichtlich. Striet kommt auch ohne die sieben Gaben des Hl. Geistes aus, die eigentlich jeder Christ schon im Sakrament der Firmung empfängt, ohne fünf der Gaben auf jeden Fall:
- Die Gabe der Weisheit, eine solche Theologie ist nicht mehr in der Lage – oder will es nicht – die Offenbarung in Schrift und Tradition in der Weisheit der Kirchenväter zu lesen und erst recht nicht zu respektieren (Vgl. SH, 13).
- Die Gabe des Rates, man hört nur noch auf sich selbst, die eigene und sich mit anderen auf der Höhe der Zeit wähnende Vernunft. Alle anderen „Vernünfte“ – auch die dem Christusereignis näher liegenden – gelten als unaufgeklärt, historisch überholt und daher lässt man sie hinter sich.
- Die Gabe der Stärke wird geschenkt, erbeten und erlebt in liturgischer, sakramentaler Praxis und erhöht die Widerstandskraft in schicksalhaften Widerfahrnissen. Davon ist keine Rede.
- Die Gabe der Frömmigkeit, Fasten, Gebet, geistliche Übungen im Dialog mit dem Dreifaltigen Gott, der Gottesmutter Maria und allen Heiligen. Geradezu ein Fremdkörper im Duktus des Buches (KF).
- Die Gabe der Ehrfurcht (vor Gott), es sollte nicht nur gerätselt werden, ob es ihn gibt, sondern auch in eucharistischer und sakramentaler Frömmigkeit in Lob und Dank praktiziert werden, dass man von seiner Gegenwart überzeugt ist und daraus lebt.
- und was Die Gabe des Verstandes und der Wissenschaft in einer solchen Theologie sind, ist auch noch fraglich.
Aus dem Amen des Glaubens wird das „if only“ des Zweifelns
Denn was ist das für eine Wissenschaft und was für ein Verstand, für die es fraglich ist, ob es den Gegenstand ihrer Beschäftigung überhaupt gibt? Das ist etwa vergleichbar, wie wenn in der Mathematik die Existenz der Zahl bezweifelt würde. Auf 129 Textseiten (KF), ohne Anmerkungen, wird an 66 Stellen wie im Refrain in Frage gestellt, ob es Gott gibt, darin nicht eingerechnet die Passagen, wo sinniert wird, wer denn dieser Jude oder Mensch Jesus eigentlich sei.
Das Bekenntnis Christus kommt nur vor, wenn Striet sich mit seinem Kollegen Prof. Menke auseinander setzt, Bischof Voderholzer zitiert, Bezug auf dogmatische Texte nimmt oder der Kritik Kardinal Kaspers begegnet. Nirgendwo bekennt Striet selber, dass ihm in dem Juden oder Mensch Jesus der geglaubte Christus begegnet. Das Buch endet nicht mit einem Amen des Glaubens, sondern mit einem „If only“ des Zweifelns, (falls es Ihn gibt). Das soll nicht heißen, dass ein Fundamentaltheologe nicht über die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes nachdenken darf, mitnichten, es ist ja sein Geschäft. Aber man sollte erwarten dürfen, dass eine Hermeneutik des Vertrauens gegenüber einer Hermeneutik des Verdachts nicht den Kürzeren zieht. In seinem Streitgespräch mit Hoping lässt er sich allerdings ein Bekenntnis zu einer Hermeneutik des Vertrauens dann doch als „waghalsig“ (SH, 65) abringen.
Wenn Du Schöpfer mir Freiheit nicht schenkst, nehme ich sie mir
Bei Striet scheint nicht mehr Gott Gegenstand des Glaubensbekenntnisses zu sein, sondern nur noch ein Amen hinter einem merkwürdigen Freiheitsmanifest. Freiheit wird nicht als Schöpfungsgabe verstanden, sondern als Ultimatum an Gott: Wenn Du, Schöpfer, mir Freiheit nicht schenkst, nehme ich sie mir selber. So lese ich jedenfalls das Glaubensbekenntnis von Magnus Striet auf Seite 114 (KF):
„Gott wurde Mensch, um sich und der von ihm ermöglichten Freiheit, seinem alter Ego, treu zu bleiben. So lautet die von mir vorgeschlagene Kurzformel des Glaubens. Nur: If only.“
Und damit dieses Ultimatum an Gott nur ja nicht überlesen wird, endet auch sein Buch nur mit if only: Für den Leser – wenn es Ihn (Gott) gibt – und an Gott: Wenn es Dich geben sollte, bitte dann alles so einrichten, wie ich es auf 129 Seiten davor geschrieben habe. Das heißt: Schenkst Du sie nicht, gibt es Dich nicht. Freiheit, natürlich bedingungslos und ohne die Miniorientierung, um im Paradies leben zu können: Vom Baum in der Mitte des Gartens dürft ihr nicht essen (vgl. Gen 3,3).
Tausch am Sinai: goldenes Kalb Freiheit gegen Gesetzestafeln
Freiheit scheint damit für Striet offenbar das goldene Kalb am Fuße des Sinai zu sein, um das er mit anderen tanzt (Vgl. Ex 32,1–29). Da stört Mose massiv, wenn er mit in Stein gemeißelten Gebrauchsanweisungen für diese Freiheit vom Berg Sinai herab steigt. Striet wird es gerade recht gewesen sein, dass Mose sie angesichts des goldenen Kalbes vor Wut am Fuße des Sinai zerschlagen hat. Wie Nietzsche denkt offenbar auch Striet, dass für ihn bitte jemand „mir meinen Willen auf meine Tafeln schreibt.“
Selbstbewusstein ist sicherlich etwas, woran es Striet nicht mangelt. Die Art und Weise, wie er sich immer wieder medial zu Wort meldet und auch gesucht wird, erweckt den Eindruck, er sei der derzeit verkörperte Weltgeist im 21. Jahrhundert – was die katholische Theologie anbelangt – wie es Hegel im 19. Jahrhundert war, aufgrund seiner Weinrechnungen in Bamberg könnte sich Hegel durchaus dafür gehalten haben. Napoleon war für Hegel die „Weltseele zu Pferd“, die der „Weltgeist“ Hegel vor Jena beobachtete.
Das Weltgeistkollektiv der katholischen Theologie
Bleiben noch die beiden „Weltgeiste(r)“ des 19. und des 21. Jahrhunderts. Mit dem Tode Hegels 1830 war es auch mit dem Weltgeist „absoluten Wissens“ zu Ende. Weltseelen und Weltgeister sind offenbar sterblich. Bleibt abzuwarten, was mit dem Weltgeist der katholischen Theologie unserer Tage geschieht. Zuviel der Ehre wird Striet wohl öffentlich sagen – stimmt – aber er benimmt sich so, als ob er es wäre. Oder genauer. Es gibt wohl ein neues Weltgeistkollektiv der Theologie in Sachen Freiheit in Deutschland: Striet, Essen und Goertz. Zu diesem Dreigestirn muss wohl noch Saskia Wendel politisch korrekt als Frau hinzugezählt werden. Folgt man dem Verständnis von Freiheit beim ZdK und der Mehrheit der deutschen Bischofskonferenz, kann das Weltgeistkollektiv auf eine treue Jüngerschaft zählen.
Aber was wird dann aus dem Juden Jesus und seiner Botschaft? Für Striet wird er zum Vorläufer von Späteren, etwa von Kant, Hegel und Fichte. Striet versteht seine Botschaft jetzt offenbar besser als der Nazarener sie um die Zeitenwende verkündet hat (Vgl. dazu SH, 78). Seine Botschaft ist nicht etwa Maß für den „Gegenwartsdiskurs“ (SH, 138), sondern umgekehrt die Botschaft muss sich am Maß des Gegenwartsdiskurses messen lassen.
Und das bedeutet, sie muss bestehen gegen Kant – das heißt seine sich am Himmelreich messende Ethik wird auf eine bloß praktisch vernünftige, universell irdische gekürzt;
sie muss bestehen gegen Hegel – das Überzeitliche seiner Botschaft hat in jeder Gegenwart ein Verfallsdatum. Nur das argumentativ Einsichtige (SH 130) bleibt bestehen. Chesterton würde kritisch bemerken: Die Einsicht von zufällig Herumlaufenden dominiert den Glauben der Toten;
und sie muss bestehen gegen Fichte – nicht das objektive Ereignis der Menschwerdung Gottes im „Juden Jesus“, sondern nur das subjektiv Einsichtige für das Ich des jeweiligen Rezipienten (vgl. dazu 30, 32 ) wird zum Dreh- und Angelpunkt des Glaubens an die Botschaft des Nazareners.
Ich will es mir ersparen noch umfassender auf Magnus Striet einzugehen. „Derblecken“ will ja mehr markieren, als argumentieren, anders gewendet, eben die Zähne nur zeigen. Wem das noch nicht genug ist, kann sich in weiteren Beiträgen orientieren: Der hinterlistige Christ ein neuer Typos moderner Theologie? oder 1788 Jahre vor Kant lebte ein Religionspopulist namens Jesus.
So weit mein Derblecken der unerträglichen Leichtigkeit einer Theologie, die sich scheut, Freiheit und Gott im Verhältnis von Gabe und Geber zu denken, wie sie auf dem Synodalen Weg in Frankfurt begegnet. Ob nach meinem Theologen-Derblecken genannte Theologen und Bischöfe mehr ertragen als bayrische Politiker?
Jedenfalls freue ich mich hier am Rhein auf das O’ zapft is in München und blicke voll Sorge auf das, was in Frankfurt O’zapft wird, das so zu berauschen scheint, dass alle Stoppschilder, wie schon in Limburg geschehen, überfahren werden, bin aber froh, dass zumindest vier fesche Madl’n einen weiteren Ausschank dieses lauen Getränks verweigern.
Dr. phil. Helmut Müller
Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag, Link: https://www.fe-medien.de/hineingenommen-in-die-liebe