Die durchschaubare Nazi-Vergleichs-Empörung von Bischof Bätzing über einen legitimen und dringlichen Hinweis von Kardinal Kurt Koch, dass der „Glaubenssinn der Gläubigen“ als vermeintliche Offenbarungsquelle bereits einmal historisch in Deutschland keinen guten Ausgang nahm, füllt weiterhin die Feuilletons deutscher Zeitungen. Der Dogmatiker Prof. Karl-Heinz Menke hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Stellung genommen,  um ein paar Dinge wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen, nachdem der Redakteur Thomas Jansen Kurienkardinal Kurt Koch eine Lüge unterstellt hatte – offenbar, weil er die Texte des Synodalen Weges auch nur vom Hörensagen kennt. Wir drucken den Leserbrief mit Genehmigung von Prof. Menke hier ab:

In der F.A.Z. vom 1. Oktober („Eskalation unter Kirchenleuten“) unterstellt Thomas Jansen Kurienkardinal Kurt Koch, er habe wahrheitswidrig behauptet, der „Orientierungstext“ des „Synodalen Weges“ erkläre den Glaubenssinn der Gläubigen und die Zeichen der Zeit zu Offenbarungsquellen. Offensichtlich hat Jansen den besagten Text nicht gelesen. Denn in Paragraph 45 ist zu lesen: „So ereignet sich im Glaubenssinn der Gläubigen immer wieder eine Selbstmitteilung Gottes.“

Es ist Konsens aller christlichen Konfessionen, dass ausschließlich das neutestamentlich bezeugte Christusereignis Selbstmitteilung Gottes ist. Schrift und Tradition interpretieren dieses Ereignis. Und der Glaubenssinn der Gläubigen und die Zeichen der Zeit können Katalysatoren eines tieferen Verstehens von Schrift und Tradition sein.

Bischof Bätzing ist nicht in der Lage, das „tertium comparationis“ des von Kardinal Koch angestellten Vergleichs zwischen dem Offenbarungsverständnis des Synodalen Weges und dem Offenbarungsverständnis der „Deutschen Christen“ zu erfassen. Koch behauptet nirgendwo, dass die Frankfurter Synodalen so etwas Ähnliches wie die „Deutschen Christen“ seien. Vielmehr hat er mit guten Gründen zwei theologische Erkenntnislehren miteinander verglichen. Ein „NS-Vergleich“ (so Thomas Jansen) ist dieser Vergleich schon deshalb nicht, weil die „Deutschen Christen“ schon Jahrzehnte vor dem Nationalsozialismus eine wachsende Spezies des deutschen Protestantismus waren.

Absurdistan: Bätzing, der zum Beispiel in puncto Frauenpriestertum und Segnung homosexueller Paare jede römische Verlautbarung geflissentlich ignoriert, will Kardinal Koch in Rom verklagen. Wenn die Vorsitzende des ZdK, Irme Stetter-Karp, eine flächendeckende Versorgung mit Abtreibungsmöglichkeiten fordert, bekommt Bätzing keinen Wutanfall. Aber wenn Kardinal Koch seine theologische Kompetenz infrage stellt, gerät er aus dem Ruder. Wer auf dem „Synodalen Weg“ nicht in seinem Sinne abstimmt, wird unter Druck gesetzt, ganz zu schweigen von Manipulationen wie der Verweigerung satzungsmäßig garantierter geheimer Abstimmung.

Bätzing, der in Trier und Limburg alles andere als ein leuchtendes Vorbild des Umgangs mit Missbrauchsfällen war, zeigt mit anklagendem Zeigefinger auf Papst em. Benedikt und auf den von zwei Kanzleien von jeder Mitverantwortung freigesprochenen Kardinal Woelki. Dagegen lobt er seinen Stellvertreter Franz-Josef Bode. Der Osnabrücker Oberhirte – von der F.A.Z. ebenso systematisch wie Bätzing und Marx geschont – hat trotz zahlreicher, gut begründeter Anklagen einen Missbrauchstäter im Amt belassen und trägt also gegenüber Eltern Verantwortung, deren Kind missbraucht wurde, obwohl er dies hätte verhindern können.

Seit dreißig Jahren im Amt, hat er – von der F.A.Z. ungetadelt – jede Rücktrittsforderung abgewiesen; seine „Lernkurve“ ist – so betont er ungeniert – für die „synodale Zukunft“ der Kirche in Deutschland ebenso unersetzlich wie für das Bistum Osnabrück. Allerdings: Selbst- und Fremdwahrnehmung müssen nicht übereinstimmen.

Erschienen als Leserbrief in der FAZ am 13. Oktober 2022, Link


Professor em. Dr. theol. habil. Karl-Heinz Menke, Bonn
(geboren 1950), Priester und Seelsorger, ist emeritierter Professor für Dogmatik und Theologische Propädeutik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Papst Franziskus berief ihn 2014 und 2021 jeweils für fünf Jahre zum Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission. Seit 2001 ist er ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste (Klasse für Geisteswissenschaften). 2017 erhielt er den Joseph-Ratzinger-Preis.

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