In Teil II seiner Gegenrede gegen das “Kartell der neuen Sexualmoral” verteidigt Bernhard Meuser das zukunftsweisende Konzept einer “Theologie des Leibes” und den “Katechismus der Katholischen Kirche”, – dies im Angesicht seiner organisierten Verächter. Er hält den KKK nicht für vollkommen (man kann´s immer noch besser sagen), aber 1. für wahr, 2. für bindend und 3. für eine historische Tat. Johannes Paul fasste darin das Zweite Vatikanische Konzil zusammen und brachte das Beste aus der großen Tradition der Kirche zum Leuchten.
Parallel zur theoretischen Grundlegung in der Enzyklika verfolgte der Papst sein Anliegen auf zwei weiteren Schienen: Einmal, indem er seit 1979 in 133 Katechesen eine „Theologie des Leibes“ entwickelte, dabei erst das Erstaunen, dann die wachsende Zustimmung vieler Anthropologen und Theologen fand. Zum anderen legte er über das Medium „Katechismus“ noch einmal nach.
Die „Theologie des Leibes“
Die Grundintention: Sexualität ist der leibliche Ausdruck von Liebe; die Wahrheit von Liebe ist Hingabe, ein rückhaltloses Sich verschenken, der Ausstieg aus dem Habenwollen, der Objektivierung des anderen. Weltweit fanden sich besonders junge Menschen biographisch wieder in der „TdL“. Ihre Sehnsucht nach einem anspruchsvollen Konzept von Liebe und Sex bildete die ideale Echokammer für die tief lotende, ebenso vernünftig begründete wie biblisch unterfütterte Phänomenologie der menschlichen Sexualität. Eine ganze Generation junger Katholiken, früh lebenserfahren und mit den trüben Wassern billiger Liebe vertraut, fand in Johannes Paul die väterliche Gestalt, die ohne falsche Berührungsängste vom Sex und der Körpersprache von Männern und Frauen sprach und ihnen eine große Vision für gutes Leben schenkte. Niemand erwartete den Papst als sexuellen Aufklärer, am wenigsten der Typ des liberalen Jugendverstehers („Du willst es doch auch …“) Die „TdL“ wurde zu einem bis zum heutigen Tag anhaltenden Welterfolg. Heute kann man sagen, dass es kaum eine Erneuerungsbewegung gibt, in der die „TdL“ nicht gründlich und dauerhaft rezipiert wurde, – in Sonderheit dort, wo die Erneuerungsbewegungen von den Weltjugendtagen ausgingen. Die Faszination, die Johannes Paul ausübte, bestand in der Unerschütterlichkeit, mit der er über Jahre – sei es gelegen, sei es ungelegen – teilnehmen ließ an seiner überbordenden biblisch-phänomenologischen Kontemplation des begehrenden, zur Liebe berufenen menschlichen Leibes, der sinnreichen, bis in die letzte Zelle reichenden Komplementarität von Mann und Frau, der Kostbarkeit ihres Liebesspiels, der Schönheit einer in ihre Wahrheit überführten Liebe und der höchsten Nähe zum Schöpfer im eigenen Fruchtbarwerden. Dass er in der Leibhaftigkeit des Sexuellen die Handschrift Gottes erkannte, traf ins Herz seiner Zuhörer.
Der Realist Johannes Paul wusste sehr wohl um die zerstörten Paradiese; er wusste, dass ihm seine Zuhörer aus einer gefallenen Welt zuströmten, dass sie in immer weiter fallenden Verhältnissen lebten und tödlichen Dynamiken ausgesetzt sind, sollte es ihnen nicht gelingen, ihr Begehren ganzheitlich in Liebe zu integrieren. Jesus selbst hat, als es um kaputte Liebe und die Schwäche des Menschen ging, die Dinge an den paradiesischen Urzustand zurückgebunden: „Am Anfang war das nicht so.“ (Mt 19,8). Und am Ende soll es auch nicht so sein. Die heruntergekommene Liebe musste erhoben, die kranke geheilt, die verwundete saniert werden. Dazu braucht es den Erlöser, den Restaurator des Urbildes von der Liebe, wie es vor allen Anfängen im dreifaltigen Gott gegeben ist: Dieser Gott ist in sich selbst Liebe; Liebe aber gibt es nicht im Singular. Gott ist Einheit und Verschiedenheit, Immanenz und Transzendenz, Einheit und Polarität zugleich. Dass es neben ihm noch etwas geben sollte, die Schöpfung nämlich, ist ein Wunder, – Gott vollendet es im Menschen „… als sein Bild.“ Als “Bild Gottes erschuf er ihn.“ (Gen 1,27) Dieser „nur wenig geringer“ als Gott Gemachte (Ps 8,6), ist zugleich der Adam, der – wie Johannes Paul eindringlich beschreibt – ein „Einsamer“ ist, der erst „ganz“ wird im Geschenk der für ihn geschaffenen Eva. Darin liegt der ganze Segen des Menschlichen: „Männlich und weiblich erschuf er sie.“ (Gen 1,27)
Der Mann, die Frau, das Leben, die Liebe, die Einswerdung der komplementären Verschiedenheiten im „Fleisch“, die Gottähnlichkeit in der Fruchtbarkeit, – all das ist hier vollständig und in höchster Konzentration beieinander! Der Fokus der biblischen Schöpfungsberichte ist eine Hochzeit, in der das Getrennte so zueinander kommt, wie nirgends sonst: In der Liebe werden Mann und Frau „ein Fleisch“ (Gen 2,24) Genau an diesem Punkt ist die Quelle des Lebens und die Höchstform der Analogie: Die maximale Ähnlichkeit ist erreicht mit dem Gott, der in sich Leben ist und Leben aus sich heraus entlässt. Der Neuansatz der göttlichen Liebe nach dem Sündenfall ist wieder „Hochzeit.“ Menschlich möchte es unausdenkbar sein, dass das Ehe-Wort „Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch“ (Mk 10,8) auf die totalen Antipoden „Gott“ und „Mensch“ passen könnte, – ein Skandalon der abstrakten Religionsphilosophie. Genau dazu bekennt sich die Kirche im Glauben an die Inkarnation (= Fleisch-Werdung). Vom ersten Buch der Schrift bis zum letzten ist die Geschichte des Heils ein Brautmysterium. Offb 22,17: „Der Geist und die Braut aber sagen: Komm!“ Christus selbst ist der endzeitliche Bräutigam, dem das neue Volk Gottes, die Kirche, als eine Braut zugeführt wird, „die sich für ihren Mann geschmückt hat.“ (Offb 21,2) Ebenso unverbrüchlich, wie der Bräutigam Christus sich für die Braut hingibt, soll die Ehe sein; es macht ihre Heiligkeit aus und ihre Unvergleichlichkeit.
Dass sich in diesem universalen theo-logischen Aufriss der Liebe, wie ihn Johannes Paul facettenreich in seiner „Theologie des Leibes“ entfaltet, Homosexualität fremd ausnimmt, verwundert nicht. Dass der Mann beim Mann bleibt und die Frau bei der Frau, dass die Welten gesondert sind, Transzendenz wie leibliche Fruchtbarkeit ausscheiden, erscheint hier als Widerspruch zur Matrix von Liebe und zum Sinn menschlicher Geschlechterverhältnisse.
Stephan Goertz oder die „Freisetzung der Sexualität der sich Liebenden“
Angefangen bei Reinheitsvorschriften im Alten Testament, über Augustinus und Thomas von Aquin, baut Goertz in seinem Parforceritt durch die Geschichte der kirchlichen Lehre ein Crescendo des Schreckens auf, das er in der „TdL“ und im Katechismus der Katholischen Kirche münden lässt.
„Mit einer Theologie des Leibes ist man in der Lage, das von der katholischen Lehre fernzuhalten, was sie seit gut 200 Jahren kulturell in Bedrängnis bringt: die Entdeckung der Freiheit und Gleichheit der Geschlechter und die Freisetzung der Sexualität der sich Liebenden vom sozialen Erwartungsdruck (standesgemäß, ehelich, reproduktiv). Für Johannes Paul II. sind Autonomie und Gleichheit unpassende Werte, wenn es um die Sexualmoral geht. Ihn interessieren die Eigenheiten männlicher und weiblicher Körper, um daraus den Vorrang der Fortpflanzung abzuleiten.“
Hinter der verhangenen Deutlichkeit der Formulierung steckt natürlich nicht der Appell, zur gleichen Würde der Geschlechter beizutragen; gebettelt wird hier um die höhere Lizenz für gleichgeschlechtlichen Sex. Goertz verbleibt damit ganz im Milieu einer kasuistischen Erlaubt-verboten-Moral; er möchte nur die Grenzen von Nichtmehrsünde etwas erweitert wissen. Und auch der nebulös heraufbeschworene „Erwartungsdruck“ lässt sich in Klartext übersetzen: „standesgemäß“ und „ehelich“ meinen das Gleiche: Goertz möchte sexuelle Betätigung von den Umfriedungen der Ehe ins frei Flottierende entlassen wissen; und „reproduktiv“ meint: Er will den inneren Zusammenhang von Sexualität und Fortpflanzung relativiert wissen. Schon biologisch ist Sexualität aber dazu da, dass die Menschheit nicht ausstirbt. Und was es bedeutet, dass wir uns seit einem Dreivierteljahrhundert an eine neue normative Normalität der Sterilität gewöhnt haben, werden wir später sehen.
Weiter! Nicht nur Johannes Paul interessieren die „Eigenheiten männlicher und weiblicher Körper“. Das tun hoffentlich alle Menschen, sofern sie nicht die cartesianische Spaltung an sich selbst und ihrem eigenen Leib vollzogen haben. Ausgerechnet Goertz erweist sich als subtiler „Verächter des Leibes“. Menschen gibt es nicht in Unisex und als abstrakte „Personen“, sondern als „dieser Leib“ mit seiner je eigenen geschlechtsspezifischen Körperidentität, – wie immer man später in kongruenter oder inkongruenter Selbsterfahrung dazu Stellung nimmt. Mag sein, dass man ein Mann ist, sich aber nicht als solcher fühlt. Das steht auf einem anderen Blatt. Wenn „Mann“ oder „Frau“ nurmehr unspezifische Realisationen auf einer fluiden Typenskala denkbarer Geschlechtlichkeit sind, linst hinter der Genderdenke Gnosis hervor. Für die antiken Gnostiker war der Körper das Irrelevante, Minderwertige, über das sich der erkennende Geist erheben musste. Gender knüpft daran an. Gefühlte oder gewünschte sexuelle Identität triumphiert über das biologische Geschlecht; der männliche oder weibliche Körper kann frei überschrieben und im Personalausweis eingetragen werden. Der Mensch ist aber „Geist in Leib“ (Thomas von Aquin, S.Th. 1 q. 77) und Christentum nicht Überblendung, sondern „Rettung des Fleisches“ (Martin Brüske). Im Urworte-Buch heißt eine These: „Die Kirche ist ein Leib, sie freut sich am Leib und sie lehrt die Erlösung im Leib.“
Generell ist Stephan Goertz – eine Neoliberaler der Moral – für normative Deregulierung; er hält es für „Verschwendung an moraltheologischer Mühe, sich die moderne ‚Welt der Liebesentfacher und Liebesverfechter´ vom Leib zu halten.“ Denn „Liebe hält sich nicht ans Protokoll.“ Der Markt regelt sich von selbst. Die Leute haben Sex nach ihrer eigenen Façon. Nur in einem von der Wirklichkeit abgeschotteten katholischen Ghetto, so beklagt sich der Mainzer Moraltheologe, versuche man Menschen noch einzureden, es bedürfe „eines guten Grundes, um als Mann oder Frau sexuell aktiv zu werden.“ Der Rest der Welt, so denkt er sich, nehme das mit Recht nicht zur Kenntnis.
Nun ist dieser Satz aber ungefähr der einzige, den man bei Goertz bedenkenlos unterschreiben kann. In der wirklichen Welt – und nicht nur in katholischen oder evangelikalen Biotopen – gibt es Sex aus guten Gründen nur (!) aus guten Gründen. Findet sich doch in der gesamten Menschheitsgeschichte keine einzige Hochkultur, in der die Würde von Personen, die Begegnung in der komplementären Spannung der Geschlechter und die Weitergabe von Leben nicht strengen Reglements unterworfen wurde. Wo dies nicht geschah – etwa im Niedergang der Antike – litten Frauen, Kinder und abhängige Untergebene (Unfreie, Sklaven, Waisen etc.) so nachhaltig unter der allgemeinen sexuellen Anarchie, dass sich endlich auch die in der Regel profitierenden Herren zivilisatorisch ins anspruchsvolle Christentum hinüberretteten.
Der Katechismus und die neue Sexualmoral
In gleicher Intention betrieb Johannes Paul II. eine authentische Zusammenfassung kirchlicher Lehre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Im 1992 von ihm approbierten „Katechismus der Katholischen Kirche“ legte der Papst besonderen Wert auf einen Neuansatz in der Moraltheologie, deren Grundkonzept er einem Altmeister der Zunft anvertraute: P. Servais Pinckaers OP. Dessen Buchtitel „Christus und das Glück“ sagt schon, worum es bei der Neuakzentuierung gehen sollte: nicht um eine verfeinerte kasuistische Klassifizierung von Sünden, sondern um einen starken Weg der Freiheit für das wahrhaft Gute, – einen tugenddynamischen, entwicklungsoffenen, Fehler- und Irrwege verzeihenden Weg der Vereinigung mit dem Guten schlechthin, – geleitet durch den Blick auf das natürliche Sittengesetz und die Verheißungen Gottes.
Was sind nun „die spezifisch katholischen Sexualverbote des Katechismus“? Goertz hätte recht mit seiner Schimpfe, hätte der Katechismus aus sich heraus regulative Begrenzungen erfunden. Goertz schlägt vor. Wir schlagen nach: „Siehe die Liste der ´Verstöße gegen die Keuschheit´ in den Nummern 2351–2359.“
*Pkt. 2351: Ungeordnete Geschlechtslust: „Die Geschlechtslust ist dann ungeordnet, wenn sie um ihrer selbst willen angestrebt und dabei von ihrer inneren Hinordnung auf Weitergabe des Lebens und auf liebende Vereinigung losgelöst wird.“ Das ist biblisch und menschlich wahr. Für die “neuen Menschen” (Kol 3,10), die “Christus angezogen” (Gal 3,27) haben, gehört es wesentlich dazu, dass sie nicht mehr “Sklaven aller möglichen Begierden” (Tit 3,3) sind. Wenigstens kursorisch müssen wir auf den globalen Wandel blicken, der gemeinhin unter dem Stichwort „Sexuelle Revolution“ verhandelt (und hin und wieder noch gefeiert) wird. Vor allem war es die Erfindung der Antikonzeptiva, die einer permissiven Grundströmung in der westlichen Kultur entgegenkam, uns bis in die intimsten Räume neu aufstellte, fundamentale Veränderungen in den Werthaltungen erzeugte und Gesellschaft wie Ethik nie geahnten Herausforderungen entgegenführte. Ihr wesentlicher Effekt bestand in einer Veränderung des klassischen Werte-Rankings. Galt zuvor die Liebe unbefragt als oberster Wert, wurde er nun von der Lust abgelöst. Liebe „muss nicht“, … kann aber als schönes Gefühl die Lust begleiten.
Durch die mechanische wie habituelle Abspaltung der Lust von der Liebe und ihre Priorisierung vor der Liebe, hat eine bislang nicht aufgefangene Unwucht den Gesellschaftskörper erfasst. Noch hat sich daraus keine neue Kultur der Liebe ergeben, die eben auch eine integrale „Ordnung der Geschlechtslust“ wäre, in der gutes und nachhaltiges Leben für alle möglich ist. Die veränderte Wirklichkeit gibt zu denken: Der standardisierte Abschied von der verbindlichen, dauerhaften, für die Weitergabe des Lebens offenen Liebe, dafür: der schnelle, unverbindliche Sex, der Rückgang der Eheschließungen, die serielle Monogamie, die hochschnellenden Scheidungszahlen, die „Versingelung“ der Gesellschaft, die abgetriebenen oder vaterverlassenen Kinder, überhaupt die Abschaffung von „Vater“ und „Mutter“, der Zerfall der Wärme schenkenden Kernfamilie, die masochistische Abwertung des Weiblichen, die lesbische Antwort auf die Verrohung der Männer, die feministische Verweigerung geschlechtlicher Komplementarität, ein neuer Krieg der Geschlechter, Leihmutterschaft, #meToo, Missbrauch als Massenphänomen, die demographische Katastrophe, die Vereinsamung der im Reigen Verbrauchten, die epidemische Ausbreitung von Pornographie und Prostitution und so endlos weiter …
Gesund ist das alles nicht und auch keine Progression in der Liebe. Zu den pauschalen Effekten der Veränderung befrage man am besten die desillusionierten Lehrer unserer weithin traumatisierten Kinder. Goertz blendet die zerfallenden Beziehungswelten aus; er möchte sie taufen, schwärmt für die „Wahrheit des begehrenden und liebenden Leibes“ und für „einvernehmliche, wechselseitige, verantwortungsvoll praktizierte sexuelle Genussverschaffung ... solange Würde und Rechte der anderen nicht unter die Räder kommen.“
*Pkt. 2352: Masturbation: Der Selbstbefriedigung fehlt, so der KKK, die „geschlechtliche Beziehung, jene nämlich, die den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe … in wirklicher Liebe realisiert.“ Das ist wahr. Gerade wird auf Instagram und in der Frauenpresse „Self Satisfaction“ als schöne Frucht der sexuellen Befreiung gefeiert. In Wahrheit schließt sie die Monade Mensch, statt sie zu öffnen. Die Hingabe gilt nicht dem Anderen, sondern dem Götzendienst am toten Fetisch. Die regredierte, selbstbezogene oder vereinsamte Person holt sich technisch oder vor dem Monitor im Surrogat vergeblich, was die Liebe verspricht. Nicht zuletzt tendiert Fantasy-Sex in biblischer Perspektive zum virtuellen Ehebruch (Mt 5,28) und es kontaminiert den Zusammenhang von Triebleben und Heiligung: “Denn Gott hat uns nicht dazu berufen, unrein zu leben, sondern heilig zu sein.” (1 Thess 4,7)
*Pkt. 2353: Unzucht: „Unzucht“, sagt der Katechismus, „ist die körperliche Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau, die nicht miteinander verheiratet sind. Sie ist ein schwerer Verstoß gegen die Würde dieser Menschen und der menschlichen Geschlechtlichkeit selbst … Zudem ist sie ein schweres Ärgernis, wenn dadurch junge Menschen sittlich verdorben werden.“ Das ist wahr. Der Katechismus folgt in seiner strengen Einhegung des Sexuellen dem Wort Gottes, in dem auch auf den „natürlichen Gebrauch“ (την φυσικην …, Röm 1,27) der Geschlechtskräfte verwiesen wird und einer auf Begierde fixierten Triebbefriedigung eine dezidierte Absage erteilt wird. Wo in Listen von den „Werken des Fleisches“ die Rede ist, werden sie (wie in Gal 5,19) regelmäßig von „Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung…“ angeführt. Der biblische Terminus „Porneia“ meint eindeutig „alle sexuellen Handlungen außerhalb der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau.“ Es kommt 25 x im Neuen Testament vor: 5 x im Mund Jesu, 3 x in der Apostelgeschichte, 9 x in den Briefen, und 7 x in der Geheimen Offenbarung. Christsein bedeutet, in „leiblicher“ Verbindung mit Christus sein: „Wer sich … an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm. Meidet die Unzucht!“ (1 Kor 6,19).
Besonders wahr ist die Warnung in Hinsicht auf junge Menschen, die man in den sensibelsten Phasen ihrer Entwicklung alleine lässt oder sie sogar zum Experimentieren mit Ihrer Sexualität einlädt. Auch das augenzwinkernde Einverständnis von Erwachsenen mit einer seriellen Folge von sexuellen Beziehungen, die irgendwann (oder nie) in den Bund einer wirklichen Liebe münden, betrügt junge Menschen um den Sinn und die integrale Gestalt einer einzigen großen Liebe mit einem einzigen Menschen. Man darf ihnen bei Gelegenheit sagen, dass ´Liebe machen´ das Leben kostet, – dass sie verschenkende Hingabe ist, nicht „sexuelle Genussverschaffung“. Übrigens beruft sich Goertz kein einziges Mal auf die Heilige Schrift. Norma normans non normata ist für ihn der Non-sense des statistisch Faktischen. Die Schrift ist eine quantité négligeable. Sie kommt nicht in Betracht.
*Pkt. 2354: Pornographie: Selbsterklärend. Fällt hoffentlich auch in der Mainzer Moraltheologie noch nicht unter die Diversität „sexueller Genussverschaffung“.
*Pkt. 2355: Prostitution: Selbsterklärend. Nicht mehr für jede Studentin, aber wohl noch für Stephan Goertz. Wobei … Auch in katholischen Kreisen scheint mir die Ablehnung von Prostitution („Sexarbeit“) und Pornographie nicht mehr uneingeschränkt selbsterklärend zu sein. Solange die „Kriterien“ von Goertz erfüllt sind …?
*Pkt. 2356: Vergewaltigung: Selbsterklärend.
Bis hierhin haben wir es nun keineswegs mit einer von der Kirche „als wahr gesetzte(n) Moral“ zu tun. Die Kirche ist gegenüber dem Wort Gottes genauso wenig autonom, wie der Mensch autonom ist gegenüber einem objektiven Sittengesetz. In einem vernünftig entfalteten Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes, nimmt sich die Kirche keine eigenmächtigen Freiheiten heraus, auch wenn die halbe Welt meint, man könne – humanwissenschaftlich endlich besser informiert – die Liebe neu erfinden. Die Kirche sucht das Gute nicht auf den Inseln einer sich selbst genügenden Freiheit, sondern im Dialog mit Jesus als der „lebendige(n) und personifizierte(n) Synthese von vollkommener Freiheit und unbedingtem Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes.“ (VS 87)
*Pkt. 2357-2359: Homosexualität: Der Katechismus vertritt hier nach wie vor – und gegen erheblich heranflutende Einsprüche aus der Gegenwart – die Auffassung der Heiligen Schrift. Sie ist eindeutig in der Ablehnung. Bis heute konnten alle Versuche, die Schrift gegen den Strich auszulegen, nicht überzeugen. Sie konnten weder eindeutig plausibilisieren, dass es sich um eine zeitbedingte Verengung der Sichtweise handelte, noch dass sich in Gottes Wort nicht auch Gottes Wille melde. Penetranz ersetzt nicht Evidenz, der Optativ von Theologen nicht den Indikativ der Heiligen Schrift. Weil das Thema mit erheblichen Verletzungen von Betroffenen verbunden ist, die sich in der Person abgelehnt fühlen könnten, und weil sich kirchliche Instanzen in der Vergangenheit auch an ungerechter Homophobie beteiligt haben, sollen die Dinge in einem eigenen Teil angeschaut werden.
Wir publizieren diesen fundamentalen Text in drei Teilen auf dem Blog von “Neuer Anfang”. Zusätzlich erscheint er in Kürze in einem Stück als E-Book.
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral. Bernhard Meuser ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Beitragsbild: Papst Johannes Paul II, Anfang/Mitte der Neunziger Jahre. Quelle: Alamy Bildagentur