Als Jesus zum Vater ging, hat er uns „einen Frieden“ versprochen, „wie die Welt nicht gibt.“ (Joh 14,27) Wo ist er geblieben – dieser Frieden? Gerade straft die Kirche Jesus Lügen. In ihrem Inneren ist Krieg, Gerangel um Macht, Kämpfe um die Deutungshoheit. Funktionäre und Bürokraten machen sich dick, wollen ans Ruder. Die Genderlobby, die Gaylobby und andere Pressuregroups aus der Zivilgesellschaft machen Druck. Sie wollen eine andere Kirche. Dabei bedienen sich die Protagonisten politischer Strategien, die auf zwei neomarxistische Denker zurückgehen. Bernhard Meuser untersucht die seltsamen Quellen, aus denen die wilden Neuerer schöpfen.

Wo die strukturelle Gewalt in der Kirche herkommt

In der Vergangenheit musste ich mir etwas zu oft anhören, das Evangelium sei eine Froh- und keine Drohbotschaft. Das stimmt ja. Aktuell fühle ich mich allerdings – mehr als von der Hölle – eher von gewissen Akteuren im Raum der Kirche bedroht. Sie sind mit einer bestimmten (oft verdeckten) Agenda der Reform unterwegs und setzen alle erlaubten und unerlaubten Mittel ein, um ihre Linie durchzusetzen und das träge Schiff der Kirche auf Kurs zu bringen. Ihren Kurs. Der ist alternativlos. Der ist wissenschaftlich. Den wollen alle.

Gibt es Widerstand – sei es von Andersdenkenden, vom Volk Gottes, vom Vatikan, gar vom Papst persönlich – wird die korrekte Welle aufgebaut, der öffentliche Druck organisiert, die Drohkulisse an den Horizont gemalt, wie es seinerzeit Ex-ZdK-Chef Thomas Sternberg machte, als sich Bischöfe der kirchenrechtlich unerlaubten Forderung widersetzten, sich einer „freiwilligen Selbstverpflichtung“ zu unterziehen. Die Hirten sollten gefälligst abnicken, was die wunderliche Synode „Synodaler Weg“ beschlossen hatte. Damals ließ Sternberg für einen Moment entfernt den Donner rollen:

„Wenn dann ein Bischof in einem kleinen Bistum eine Regelung nicht umsetzt, dann gibt es schon einen erheblichen Druck, und das wird auch nicht ganz ohne Folgen bleiben.“

Drücken, schieben, tricksen, drohen …

Seither haben der kreative Ungehorsam, die edel gesinnte Lüge und der sanfte Druck in die „richtige Richtung“ zugenommen. Da stellt sich der überaus rechtdenkende Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, auf dem Evangelischen Kirchentag hin und erklärt, dass auch Frauen die Priesterweihe empfangen können.

„Ich wünsche es mir und ich tue alles dafür … Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit.“

Dabei weiß er genau, dass es aus mindestens vier Gründen niemals dazu kommt:

1. Jesus hat Männer mit diesem spezifischen Dienst betraut;
2. es ist dogmatisch nicht darstellbar („Ordinatio sacerdotalis“);
3. es ist ökumenisch mit den Ostkirchen nicht vereinbar;
4. es ist weltkirchlich nicht denkbar.

Trotzdem tut er es. Blamiert ist, wer dem Propheten widerspricht. Am 21. Mai 2025 melden die Badischen Nachrichten:

Neun Freiburgerinnen wollen Priesterinnen werden und bewerben sich beim Priesterseminar … Sie erfüllen alle Voraussetzungen – bis auf eine.“

Natürlich wissen die Freiburger Theologinnen, dass sie in der Römisch-katholischen Kirche nicht Priester:in werden können. Warum bewerben sie sich dann? Wenige Tage später dankt ihnen der Dekan der Freiburger Theologischen Fakultät in Tateinheit mit Frau Blum, der Gleichstellungsbeauftragten: „Die Aktion ist ein starkes und mutiges Zeichen.“ Natürlich ist in Freiburg klar: „Gründe, die gegen die Priesterweihe von Frauen vorgetragen werden, können aus theologisch-wissenschaftlicher Perspektive nicht überzeugen.“

Andere Baustelle: Dass liturgische Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Liebespaare in der Kirche nicht erlaubt sind, weiß jeder alphabetisierte Theologe. Trotzdem insinuiert die berühmte „Handreichung“ schöne Hochzeiten in der Kirche, und das will überall implantiert sein.

Nächste Baustelle: In Münster wird der Josef-Pieper-Preis an Bischof Robert Barron verliehen. Nun mantelt sich schon einmal der Münsteraner Diözesanrat auf. Barron muss mit Prügeln rechnen. Er habe sich mehrfach „queerfeindlich“ geäußert. Wahrscheinlich hat er nur die geltende Ehelehre der Kirche dargestellt. Das Schema ist bekannt. In Hildesheim durfte der Evangelii Gaudium Preis nicht verliehen werden. Und wehe, in Münster wird der Falsche zum Bischof ernannt …

Es ist tausendfach das gleiche Muster, das ich mit „Erpressungskatholizismus“ bezeichnen möchte. Lässt man die Beispiele auf sich wirken, ahnt man, dass sich hinter diesen Provokationen nicht nur ein bestimmtes Do-it-yourself-Kirchenbild, sondern auch eine gasförmig in die Kirche eingedrungene politische Strategie versteckt. Man kann die methodische Vorgehensweise, die sich im vorpolitischen Raum bewährt hat, identifizieren. Zwei neomarxistische Meisterdenker liefern dafür die Matrix: Michel Foucault (1926-1984) und Antonio Gramsci (1891-1937).

Wir sind Kirche. Wir bauen um.

Wir reden über das Sagen in der Kirche, über die Macht und wie man sie im Kirchenbüro erlangt. Ich zögere: Hatte Jesus nicht letzte Plätze (Lk 13,30) empfohlen und die Zebedäussöhne vor dem Joystick gewarnt:

„Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein.“ (Mt 20,26)?

Im Kontext kirchlichen Machtgerangels beruft man sich gerne auf das Zweite Vatikanische Konzil und auf die dogmatische Konstitution „Lumen Gentium“. Darin wird die gleiche Würde aller Getauften und die Mitverantwortung der Laien in der Kirche herausgestellt. Die Theologen, die daraus nur den „mündigen Laien“ extrahierten, dem endlich auch der Zugang zur Macht und ihren Stellhebeln in der Kirche zu eröffnen sei, überlasen gerne, dass Lumen Gentium genauso den Ruf zur Heiligkeit im Alltag betonte, wie die Pflicht aller zum missionarischen Zeugnis in der Welt. Der ganze Text ist weder ein Traktat über Herrschaft, noch eine Wendung in eine demokratische Kirchenverfassung; Lumen Gentium ist durchatmet vom Wort diakonia, dem differenzierten und gestaffelten Dienst aller in der Liebe Christi. „Einer ist der Herr: Jesus Christus.“ (1 Kor 8,6) Das macht die heilige Ordnung (= Hierarchie) der Kirche aus, weshalb man sinnvollerweise von einer sakramental und apostolisch vermittelten Christokratie sprechen könnte.

Dennoch gab und gibt es durchaus „demokratische“ Elemente in der Kirche seit den ersten Anfängen: Wahlen in der Apostelnachfolge, gemeinsame Beratungen, Synoden, Konzilien usw., dazu auch die berechtigte Forderung nach Transparenz und Beteiligung. So ist die Kirche vom Wesen her zwar „synodal“ (von syn ´odos = gemeinsam auf dem Weg), aber sie kann niemals im strengen Sinn „demokratisch“ (vom Volk beherrscht) sein. Ignatius von Antiochien (um 110) hat in seinem Brief an die Magnesier die Regel kirchlichen Handelns formuliert:

„Wie nun der Herr, da er mit ihm eins ist, ohne den Vater nichts getan hat, weder durch sich selbst noch durch die Apostel, so sollt auch ihr ohne den Bischof und die Presbyter nichts tun; auch sollt ihr nicht versuchen, etwas auf eigene Faust als richtig erscheinen zu lassen …“

Damit sind wir mitten im Alltag der Kirche in Deutschland angekommen: In den beständigen Versuchen eines bestimmten Milieus – es wird vornehmlich getragen von Funktionären -, eine Kirche „von unten“ zu etablieren, sie medial, performativ und symbolisch vorwegzunehmen. In dieser heraufbeschworenen Kirche ist Weisung unerwünscht; jede Form von Leitung muss durch das „Volk“ (oder die sich dafür ausgeben) legitimiert werden. „Lehre“ wie „Recht“ kann nur sein, was die Zustimmung aller (oder der sie vertretenden Eliten) findet. Es ist die Vision einer Kirche als Räterepublik, in der Wahrheit, Macht und Recht veränderliche Größen sind, die immer neu ausgehandelt und controlled werden müssen. Nun stößt sich dieses Kirchenbild hart im Raum mit der apostolischen Verfasstheit der Kirche, in der ein Bischof mehr ist als Moderator laikaler/lokaler Willensbildung. Er muss in Einheit mit dem Kollegium der Bischöfe, insonderheit mit dem Petrusamt agieren, sowie in Konsonanz mit Geschichte und Gegenwart der Kirche sprechen und handeln. Vor allem muss er das Euangelion proklamieren, – will sagen: Er muss verkündigen, „sei es gelegen oder ungelegen“ (2 Tim 4,2). Tut er das, gerät er in Dissonanz mit der ihm demokratisch zugedachten Rolle; gelegentlich so erschöpfend, dass ein Bischof jüngst im privaten Gespräch aufseufzte: „Ich bin zwar Bischof, aber damit fühle ich mich im Leib Christi langsam wie ein Fremdkörper.“

Die Strategie.

Die am Umbau „von unten“ arbeiten, setzen alles daran, die real existierende Kirche – sie war nie etwas anderes, als die gottgewollte Paradoxie von „Kirche der Sünder“ und „Mysterium der Gnade“ – historisch als menschenfeindliche Gewaltherrschaft zu delegitimieren. „Ich glaube“, ließ BdKJ-Chef Gregor Podschun auf dem deutschen Synodalen Weg wissen, „dass sich die Kirche selbst zerstören muss, um sich wieder neu aufzubauen.“ Entkernen genügt nicht. Ein Abriss muss her! Gerade sind wir Zeitzeugen einer innerkirchlichen Etablierung von vier denkwürdigen Metanarrativen. Sie lauten: Die Kirche hat weder eine Geschichte. Noch hat sie eine Wahrheit. Noch hat sie ein Recht. Noch hat sie eine Lehre. Geschichte wird sein, was wir daraus machen. Wahrheit wird sein, was wir den Festschreibungen entziehen. Recht wird sein, was jenseits von Gut und Böse sein darf. Lehre wird sein, worin mich meine Freiheit belehrt. Sollte sich das durchsetzen, ist die Kirche am Ende die Gemeinschaft ihrer bezahlten Apostaten.

Die Meisterdenker dieser basalen Häresie waren keine Christen. Der vertrackt redende postmoderne Philosoph Michel Foucault gilt als Vater der Reduktion aller Betrachtungsweisen auf „Macht“. Jede Institution, jede Instanz, jede Struktur steht bei ihm unter Verdacht. Wer immer lehrt, ist ein monopolisierender Machthaber. Dem setzt Foucault die Selbstermächtigung des autonomen Subjektes durch „Subversion des Wissens“ entgegen, – und attestiert dem aufgeklärten Individuum, es habe damit „Molotowcocktails“ in der Hand. Wahrheit im Sinn universaler Geltung kennt Foucault nicht. „Geht es in einer Auseinandersetzung um Gerechtigkeit, dann, weil sie ein Werkzeug der Macht ist.“ Ob nun Kirche oder Gefängnis (beide Institutionen hat er analysiert) -, für Michel Foucault, der die „moralische Unterscheidung zwischen Unschuldigen und Schuldigen“ in Frage stellt, geht es nur um raffinierte Verkleidungen von Repression. Zugespitzt könnte man sagen: Macht ist so lange böse, solange ich sie nicht in Besitz genommen habe.

Der andere Meisterdenker, dessen Gedanken sich in die Falten kirchlicher Gewänder eingenistet haben – der italienische Neomarxist Antonio Gramsci – hat schon früh darüber reflektiert, wie der Mensch lernt, „Herr seiner Selbst zu sein, sich von den anderen abzuheben, aus dem Chaos auszubrechen, ein Element der Ordnung zu sein, aber der eigenen Ordnung.“ In den Verließen Mussolinis entstanden die „Gefängnishefte“, in denen er folgenreich über Wege der Gesellschaftsveränderung und Listen der Machteroberung nachdachte. Dabei gilt Gramsci als der eigentliche Entdecker des vorpolitischen Raumes und der „Zivilgesellschaft“ (so übertrug W. F. Haug Gramscis società civile ins Deutsche).

Gramsci glaubte nicht mehr (wie Marx) an den Arbeiter als Träger revolutionärer Veränderung; er setzte auf den Intellektuellen und sein „Produkt“: die Kultur, namentlich die Medien. „Ohne Revolution im Kopf, keine Revolution:“ Gramsci fragt sich: Wie kommen Eliten einer zukünftigen Humanität aus der Minderheitenposition heraus? Wie erlangen sie „intellektuelle sowie moralische Führung“, wie „kulturelle Hegemonie“ (aus dem griech. Wort für Oberbefehl)? Gramsci verstand darunter die „Fähigkeit der herrschenden Gruppen und Klassen, ihre Interessen dahingehend durchzusetzen, dass sie von den zu beherrschenden Gruppen und Klassen als ihre eigenen beziehungsweise als gesellschaftliches Allgemeininteresse angesehen werden.“

Die Elite kommt zum Zug, indem sie „die gegnerischen Gruppen unterwirft und die verbündeten Gruppen anführt.“ Dazu ist es notwendig, zunächst in einem kulturellen Leitmilieu „entdeckte Wahrheiten kritisch zu verbreiten“, um dann „eine Masse von Menschen“ dahin zu bringen, „die reale Gegenwart kohärent und auf einheitliche Weise zu denken.“ Kennzeichnend ist für Gramsci vor allem eines: „Die Eroberung der kulturellen Macht erfolgt vor der Übernahme der politischen Macht. Diese wird durch eine konzertierte Aktion intellektueller ´organischer´ Aufrufe erreicht. Sie infiltrieren jegliche Kommunikation, jede Ausdrucksform und die akademischen Medien.” Um ein „Wanken des Staates“ zu bewirken, entwickelte Gramsci Strategien im vorpolitischen Raum. In Vereinen, Verbänden, freien Gruppen, – in allen „gemeinhin »privat« genannten Organismen“ – vermag sich eine „robuste Struktur der Zivilgesellschaft“ zu etablieren, der sich die Institution am Ende willenlos ergibt und ehemals abseitige Meinungen in die harte Währung von Recht und Gesetz gießt. Hat man die „Zivilgesellschaft“ erobert, fällt die Institution in sich zusammen. Sie war nur – wie Gramsci sagt – ein „vorgeschobener Schützengraben“, hinter dem die eigentlich „robuste Kette von Festungen und Kasematten“ liegt.

Wie effizient Gramsci ist, erkennt man an gesellschaftlichen Verhaltensweisen und Optionen, wenn man sie im Zeitvergleich betrachtet. Vor 30 Jahren noch wäre ein „Menschenrecht auf Abtreibung“ ebenso absurd erschienen, wie der Eintrag eines gefühlten Dritten Geschlechts im Personalausweis, wie der Hype von Transgendermaßnahmen im Jugendalter, wie die gesellschaftliche Akzeptanz von Pornographie, wie die Aufwertung von käuflichem Sex, wie die sexual correctness in nahezu allen Hollywoodproduktionen und die mediale Diffamierung der Vater-Mutter-Kind-Familie. Die flutartige Ausbreitung einer im totalitären Gestus vorgetragenen woken Weltanschauung ist nicht die Frucht fortschreitender Aufklärung. Die Welle ist gesteuert und von Geld getrieben. Sie ist Gramsci. Sie ist kulturelle Hegemonie an den Universitäten, in den Redaktionen, am Theater, im Casting, im Film, im Sport, an den Schulen, im Kindergarten.

Gramsci wird heute übrigens von linken wie von rechten Theoretikern vereinnahmt, sofern man jeweils begriffen hat, dass reale und dauerhafte politische Macht auf der Eroberung kultureller Hegemonie aufbaut. Nichts provozierte nach dem Regierungswechsel in Berlin einen größeren Aufschrei, als die 551 Fragen auf 32 Seiten, mit denen die Unionsfraktion Auskunft haben wollte über die „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“, bzw. die staatlicher Finanzierung von NGO´s wie „Omas gegen rechts“. Die Linksgrünen hatten ihren Gramsci gelesen. Allerdings lesen Martin Sellner und die Neonazis auch Gramsci.

Der Kampf um die kulturelle Hegemonie in der Kirche

Es wäre ein Wunder, wäre Gramsci am Kirchenportal abgeprallt. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Phalanx von Theologen setzt alles daran, Leitung und Lehramt der Kirche zu dekonstruieren. Warum diese Leute den Ast absägen, auf dem sie sitzen, lassen wir uns am besten von Gramsci selbst erläutern:

„Wenn die herrschende Klasse den Konsens verloren hat, das heißt nicht mehr ,führend‘, sondern nur einzig ,herrschend‘ ist, Inhaberin der reinen Zwangsgewalt, bedeutet das gerade, dass die großen Massen sich von den traditionellen Ideologien entfernt haben, nicht mehr an das glauben, woran sie zuvor glaubten usw.“

Man ersetze Gramscis „herrschende Klasse“ durch „die Nachfolger der Apostel.“ Man beschreibe ihre Funktion nicht mehr mit „führen“, sondern mit „herrschen“; und aus der Inhaberin himmlischer Schlüsselgewalt wird eine „Inhaberin der reinen Zwangsgewalt.“ Aus einem Glauben mit Wahrheitsanspruch wird eine „traditionelle Ideologie“, der zu folgen unzumutbar ist, weshalb die Menschen aus guten Gründen „nicht mehr an das glauben, woran sie zuvor glaubten.“ Gramsci beschrieb diese Phase als „Interregnum“, als den Moment in der Geschichte, in dem „das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann.“ Erst in einem solchen „Interregnum“ – nachdem die Institution Kirche ihre Inhalte, ihre Relevanz und ihre Vollmacht verloren hat – kann die neue Elite ihr partikuläres Interesse als kirchliches Allgemeininteresse verkaufen. Die Kirche hat den Zustand einer Hülle erreicht. Sie ist nichts mehr Bestimmtes, nur noch Raum für „Politik“, – ein Verpackungstool für Lobbys und Interessengruppen, die allesamt ein anderes a priori haben als das der Hingabe an den Herrn und die Suche nach Gott. Christen ohne Christentum profilieren sich als die sozialeren Sozialisten, die grüneren Klimaschützer, die feministischeren Feministinnen, die wokeren Wokisten (freilich nicht als die konsequenteren Lebensschützer). Sie heben die Fahne und wollen Glaubensgehorsam für ihre neue Religion. Sie schieben, drücken, pressen. Gramsci: „Sie infiltrieren jegliche Kommunikation, jede Ausdrucksform und die akademischen Medien.“ Und die Leute lassen sich ein Falsifikat verkaufen, das seine Moral von Foucault und seine Mission von Gramsci hat designen lassen.

In der Welt mag alles Politik sein. Im Evangelium starb Jesus „außerhalb der Polis, um durch sein Blut die Menschen von ihrer Schuld zu befreien.“ (Hebr 13,12) Menschen, die Jesus nachfolgen, agieren ebenfalls „außerhalb der Polis“ und der politischen Interessensphären, ohne deshalb unpolitisch zu sein. „Wir müssen“, hat Bischof Heiner Wilmer einmal gesagt, „mit prophetischer Stimme gegen die Ungerechtigkeit einstehen, im öffentlichen Diskurs wie auch in unserem karitativen und diakonischen Handeln ganz konkret. Aber wir sind keine NGO und kein humanistischer Weltverband … Das Fundament als Kirche ist die Frage nach Gott.“

Ja, “Zivilgesellschaft” gibt es auch in der Kirche. Aber sie ist nicht identisch mit dem ZdK, den Funktionärseliten und ihren Sympathisanten im politischen Raum, die sich in der wechselseitigen Absicht bestätigen, die Deckungsgleichheit von Staat und Kirche herzustellen, damit auf Gehsteigen niemand mehr belästigt wird. Die Zivilgesellschaft der Kirche, ihre eigentlichen Träger, sind die gläubigen Jüngergemeinschaften, die sich um den Herrn versammeln und die Nachfolge leben. Es sind Christen, die entschieden mit Jesus gehen. An allen Ideologien vorüber:

„Lasst uns zu ihm hinausgehen und die Verachtung mittragen, die ihn getroffen hat.“ (Hebr 13,13)

Ich liebe das Gedicht von Silja Walter OSB:

„Jemand muss zuhause sein, / Herr, / wenn du kommst. / Jemand muss dich erwarten, / unten am Fluss / vor der Stadt. / Jemand muss nach dir / Ausschau halten, / Tag und Nacht. / Wer weiß denn, / wann du kommst?“


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral. Bernhard Meuser ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.

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