Das katholische Coming out Alfred Döblins
von Dr. Helmut Müller
Sich heute als katholisch outen ist so peinlich wie vor beinahe 80 Jahren, das Coming out von Alfred Döblin: Empörung, Entsetzen und Sprachlosigkeit. Zudem wurden Bert Brechts „irreligiöse Gefühle“ verletzt. Was war geschehen? Helene Weigel, die Frau Bert Brechts, hatte am 14. 8. 1943 in Santa Monica zu Ehren Alfred Döblins zu dessen 65. Geburtstag eingeladen. Alles was im Exil Rang und Namen hatte, fand sich ein. Heinrich und Thomas Mann, Hans Eisler, Arnold Schöneberg, Fritz Kortner, Peter Lorre und viele andere.
Als Heinrich Mann, die Festrede gehalten hatte, geschah das als ungeheuerlich Empfundene. Alfred Döblin, der bis dahin gefeierte Relativist, Skeptiker, Sinnsucher und Autor von Berlin Alexander Platz, gestand ein, was er zwei Jahre lang für sich behalten hatte, dass er katholisch geworden sei. Sprachlosigkeit war die mildeste Form der Reaktion auf dieses wirklich mutige Coming out. Bert Brecht notierte noch am gleichen Abend in seinem Tagebuch:
„am schluß hielt döblin eine rede gegen moralischen relativismus und für feste maße religiöser art, womit er die irreligiösen gefühle der meisten feiernden verletzte […] als döblin anfing zu beschreiben, wie mit vielen anderen schreibern auch er mitschuldig wurde an dem aufstieg der nazis […] und die frage entschlossen aufwarf, warum denn, glaubte ich für minuten kindlich, er werde jetzt forfahren: weil ich die verbrechen der herrschenden vertuscht, die bedrückten entmutigt, die hungernden mit gesängen abgespeist habe usw. aber er fuhr nur verstockt, unbußfertig, ohne reue fort: ‚weil ich nicht gott suchte’“.
Brecht konnte sich gar nicht beruhigen, sondern verfasste wenige Tage später das Gedicht „Peinlicher Vorfall“. Das Gedicht ist eine Parodie, voller ironischer Überhöhungen und Spott und spricht davon, dass in eine „gerührte Stimmung“ein „unziemliches“ und „unzüchtiges“ Bekenntnis platzt, das die „irreligiösen Gefühle“ der Feiernden „verletzt“. Es endet mit den Worten: „Seit drei Tagen habe ich nicht gewagt, meinen Freunden und Schülern unter die Augen zu treten, so schäme ich mich.“ Es blieb aber nicht bei diesem Fremdschämen. Er suchte Erklärungen bei erlittenen Krankheiten des einst Gefeierten, einem schweren kriegsbedingten Schicksal, dem Verlust von Familienangehörigen und der Flucht aus der Heimat. Dadurch sei er schwach geworden und dem Glauben anheimgefallen. Es endet mit einer gemeinen Bemerkung, schließlich lebe er „mit einer ungewöhnlich dummen und spießigen Frau“ zusammen. Selbst Elisabeth Langgässer sprach von einer „Katastrophe“. Alfred Döblin hat sehr wohl bemerkt, dass seine Rede Empörung und Sprachlosigkeit zur Folge hatte: „Man lehnte mich schweigend ab. Es war keine Rede für eine Geburtstagsfeier.“
Dieses Coming-out war sein künstlerisches Ende. Seitdem sprach man von einem Bruch in seinem Werk. Auch eine 400-seitige Dissertation aus dem Jahre 1999 konnte diesen Eindruck nicht wirklich aus dem Weg räumen. Wenn man dem Jenaer Historiker Stefan Gerber glauben mag, ist es beinahe 80 Jahre später nicht besser geworden. Katholische, nicht kirchenkritische Intellektuelle, sind zu einer bedrohten Spezies geworden. Sie werden häufig wenig schmeichelhaft wahrgenommen, aus der „rechten Dunkelkammer“ kommend, sind „Krawallkatholiken“, „Ewiggestrige“, „nicht Ernst zu nehmende“ oder „unseriöse“ Gesprächspartner. Da muss man schon seinen ganz Mut zusammennehmen, wenn man bisher nicht katholisch war, beschließt es zu werden. Heute muss man offenbar den gleichen Mut fassen, es so zu bleiben, was Alfred Döblin damals überzeugt hat.