Der Kirche davonlaufen oder bleiben? Sie lieben oder an und mit ihr leiden? So mancher Gläubige fühlt sich angesichts der Beschlüsse des Synodalen Weges wie Jesus an der Geißelsäule. Bernhard Meuser geht der Frage nach, was jetzt zu tun ist – oder auch nicht.
Es ist Zeit, die Liebe zur Kirche zu erneuern – und zwar im Angesicht ihrer Entstellung durch die Verfahrensmacht von Funktionären, des hybriden Zugriffs von Theologen, dem seriellen Versagen von Bischöfen, die dem Papst ins Angesicht widerstehen und auch angesichts unserer je eigenen Form, wie wir den Leib Christi beschädigen und die Gebote Gottes verraten.
Können wir Ignatius von Antiochia aus dem 2. Jh. noch verstehen, der Eusebius zufolge von Löwen in der Arena zerrissen wurde:
„Folgt eurem Bischof wie Jesus Christus dem Vater, und dem Presbyterium wie den Aposteln; die Diakone aber achtet wie Gottes Gebot. Keiner soll ohne Bischof etwas tun, was die Kirche betrifft“?
Muss man bestimmte Bischöfe nicht meiden, weil sie selbst aus dem linearen Gehorsam ausgebrochen sind? Muss man die Kirche nicht meiden, weil sie von den Hirten her – also von ziemlich weit oben – korrumpiert wird? Dennoch, sagt der große Henri de Lubac:
„Die endlos hin- und hergezerrte Kirche ist vor allem meine Mutter.“ Sie ist, so führt er weiter aus, „menschlich und göttlich, von oben gegeben und von unten gekommen. Die Menschen, aus denen sie besteht, widersetzen sich mit dem ganzen Gewicht einer schwerfälligen und verletzten Natur dem Leben, mit dem die Kirche sie durchdringen möchte.“
Ist die Kirche gnaden-los?
Im Moment zieht die Schwerkraft der Sünde die Kirche ganz nach unten, als wäre die Gnade komplett aus ihr gewichen. Der Augenschein trügt. Christus ist in Wort und Sakrament allumfassend da, so gewaltsam wir ihn auch ignorieren und die Kirche an uns reißen, um sie zu dekonstruieren, das aktuell Brauchbare zu übernehmen und ihr ein massentaugliches Styling zu verpassen.
„Christus und die Kirche lieben, das ist eins“, … sagt kein katholischer Fundamentalist, sondern Frère Roger von Taizé. Heute seine Liebe zur Kirche zu bekennen, weil das Haupt – Christus – sich unverbrüchlich zu dieser unmöglichen Kirche bekannt hat, für sie gelitten hat, für sie gestorben ist . . . heißt möglicherweise: bei Jesus bleiben, den Passionsweg Jesu zum Gerichtssaal mitzugehen.
Das heißt auch: keinen der Fluchtwege rechts oder links wählen, – etwa vorschnell aus der Kirche auszutreten, einer „Kirche der besseren Menschen“ beizutreten, oder sich an einem kirchenfreien Christentum zu orientieren.
Produktives Leiden an der Kirche
Das ist die Ent-Leibung Christi. Kol 1,18: „Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche.“ Ich sage noch einmal, was ich an anderer Stelle so gesagt habe: Gerade in Krisenzeiten soll man es machen wie Hildegard von Bingen und Franziskus von Assisi und Katharina von Siena. Diese haben weder eigene Konventikel begründet, noch haben sie sich Schwärmerbewegungen angeschlossen, noch haben sie sich Alternativpäpste gesucht.
Nur die eigene Bekehrung, das produktive Leiden an der realen Kirche und der aufrechte Widerstand gegen ihre Korrumpierung führt in einen neuen Frühling der Kirche. Und die Blumen, die dort wachsen, bringt ein anderer hervor. Das gilt selbst in Momenten, in denen man sich an die Kirche gefesselt fühlt wie Christus an die Geißelsäule.
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.
Bildquelle: Geißelung Christi, Wikipedia