Blühende Jugendarbeit, Begeisterung für den Glauben, fruchtbringende neue Ideen in der Erstkommunionkatechese, Glaubenskurse in der Pizzeria, mitreißende Bands, Jugendgebetskreise, gar eine missionarische Pfarrei . . .  Träumerei? All das kann man tatsächlich in Kempten im Allgäu erleben. Was alles in einer Pfarrei möglich ist, wenn man sich selbst in Dienst nehmen und Gott wirken lässt, erfuhr Birgitt Kerz in einem Gespräch mit dem Pfarrer von St. Anton, Bernhard Hesse.

Schon dem Zufallsbesucher, der im Allgäu-Urlaub die Werktagsmesse in der Kemptener Pfarrkirche St. Anton besucht, fällt einiges auf: die 40-50 Messbesucher, die gute Altersmischung, der vergleichsweise hohe Anteil an Männern, die Spiel- und Malecke für Kleinkinder, die jungen Familien signalisiert, dass sie hier willkommen sind, die Kapelle für die 24/7-Anbetung und manches mehr. Anlass für ein Gespräch mit dem Pfarrer, Bernhard Hesse, der seit 2015 diese Gemeinde leitet. Wie gelingt es ihm, junge Menschen und Familien für Gott, für den Glauben, für ein Engagement in der Kirche zu begeistern?

Glaubenserfahrungen statt Aktionismus

„Ich mach eigentlich gar nichts. Gott ist es, der wirkt“,

stellt er gleich zu Beginn klar. Und Gott hat die blühende Jugendarbeit rund um St. Anton schon von langer Hand vorbereitet. „Hier laufen momentan viele Fäden zusammen. Aber das Ganze hat sich aus mehreren Strängen entwickelt.“ Dabei spiele der Einfluss von Medjugorje eine große Rolle. Denn in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten allein schon wegen der geographischen Nähe viele kroatische und bosnische Gastarbeiter im Allgäu Arbeit gesucht und gefunden. Dadurch wurden dort die Ereignisse in Medjugorje sehr früh bekannt, so dass private Reisen dorthin stattfanden. Und dabei haben viele Menschen starke Glaubenserfahrungen gemacht, die sich in ihren Familien auswirkten. Diese haben sich untereinander vernetzt. Junge Leute haben auf diesen Fahrten oft ihre Ehepartner kennengelernt.

Gott saniert sein Haus

Dass allerdings St. Anton sich seit 2015 zu einem zentralen Knotenpunkt dieses Netzwerkes entwickelt hat, hängt durchaus mit Pfarrer Hesse zusammen und damit, dass sein Herz seit langem für Neuevangelisierung schlägt und er international Anregungen „aufsaugt“, die er dann in Deutschland umzusetzen sucht. Dazu gehört die 24/7-Anbetung, die er in seiner früheren Pfarrei in Türkheim schon 1999 begonnen hat, dazu gehört das Pfarrzellsystem; für beides leistet er deutschlandweit Hilfestellung, um dies in Pfarrgemeinden zu etablieren. In der Zeit seines Wechsels nach Kempten stieß er über das Internet auf das Buch des Kanadiers James Mallon: Divine Renovation (mittlerweile übersetzt mit dem deutschen Titel: Wenn Gott sein Haus saniert). Das hat ihn so beeindruckt, dass er 2016 zum Divine Renovation-Kongress nach Halifax flog, zwei Jahre später zum nächsten Kongress bereits mit 72 weiteren Interessenten, davon 35 Priester, die er „angefixt“ hatte.

Ein ganz wichtiges Element im Divine-Renovation-Konzept von James Mallon sind die Alphakurse, mit denen Hesse in Kempten 2016 anfing. „Wir haben schon lange aufgehört zu zählen, aber es dürften inzwischen so 60 oder 70 Kurse stattgefunden haben.“ Darunter auch zielgruppenspezifische Kurse wie Jugend-Alphakurse, Ehe-Alphakurse oder Ehevorbereitungs-Alphakurse. Und inzwischen finden die Kurse im Regelfall nicht in den Räumen der Pfarrei statt, sondern anderswo. Derzeit läuft einer in einer Pizzeria in Kempten, einer im Bistro eines Medizinischen Versorgungszentrums „Das senkt die Hemmschwelle für Kirchenferne noch mal ein ganzes Stück“, konstatiert Hesse.

Lebensübergaben an Jesus

Mittlerweile ist die Gruppe der Jugendlichen, die St. Anton als ihre geistliche Heimat betrachten, auf etwa 200 angewachsen. Die haben wiederum Freunde, die sie mitbringen. Dadurch haben am letzten Pfingstfestival gut 600 Menschen teilgenommen, davon etwa 450 junge Leute. Dass darunter auch viele „Neulinge“ waren, zeigte sich am Ende bei der Aufforderung, dass alle, die noch nie Jesus ihr Leben übergeben hatten, in den Altarraum kommen sollten, um diese Lebensübergabe zu vollziehen und sich einzeln segnen zu lassen. Der Altarraum war gestopft voll mit gut 100 Menschen.

Aus der Gruppe der jungen Erwachsenen entstand ein monatlich stattfindender Jugend-Katechese-Abend „Focus on Jesus“ im Wallfahrtsort Speiden bei Füssen, am selben Ort auch ein Jugendgebetskreis, an dem immer etwa 150 Jugendliche teilnehmen. Zum monatlichen „Holiness-Abend“ in St. Anton, der ähnlich strukturiert ist und sich vorzugsweise an junge Menschen richtet, kommen wegen der größeren Kapazitäten der Kirche mittlerweile um die 300 Teilnehmer.

Neue Ideen der Katechese

Einen Tag nach meinem Gespräch mit Pfarrer Hesse bietet sich die Gelegenheit, drei aus dieser erstaunlichen Gruppe von Jugendlichen kennenzulernen, als sie nach der Messe am Freitagabend zusammenstehen und ich sie anspreche. Auf meine Frage, warum hier in dieser Pfarrei so viele Jugendliche bereit sind, sich zu engagieren, erklärt Pius (25):

„Es geht uns hier nicht darum, uns zu engagieren und irgendetwas groß zu machen. Klar haben wir auch coole Events. Aber in erster Linie geht es hier um den Glauben, geht es um Jesus. Und wir bekommen den Freiraum, einfach mal was auszuprobieren.“

Was aus diesem Freiraum zum Auszuprobieren unter anderem entstanden ist, hatte der Pfarrer mir bereits am Vortag erzählt: z.B. ein völlig neues Konzept der Erstkommunionkatechese. Die Jugendlichen, die bei der Katechese halfen, hatten ihm erklärt „Was wir hier machen, ist nicht nachhaltig. Wir müssen was anderes probieren.“ Erwachsen ist daraus der monatlich stattfindende „Highlight-Sunday“, zu dem nicht nur die Familien der angehenden Kommunionkinder, sondern alle Interessierten eingeladen sind. 9.30 Uhr ausgiebiges gemeinsames Frühstück mit Gesprächen zum gegenseitigen Kennenlernen; 10.30 Uhr Vortrag/Zeugnis für die Erwachsenen, gleichzeitig Katechese für die Kinder nach Altersgruppen sortiert und einer  eigenen Gruppe für die Kommunionkinder. 11.30 Uhr heilige Messe. –  Ein Jahr lang müssen Kinder, die zur Erstkommunion angemeldet werden, und ihre Familien daran teilnehmen. Auch in Kempten verschwinden danach viele Kommunionkinder wieder, aber der Anteil derer, die bleiben, ist deutlich höher als vorher, weil Beziehungen entstanden sind, die tragen.

Gemeinsam im Glauben wachsen

Anna (23) erzählt, dass sie als Kind die Sonntagsmesse eher als Pflicht empfand und nicht als persönliche Begegnung mit Gott. „Hier in St. Anton habe ich zum ersten Mal einen lebendigen Glauben erfahren. Und es wird wirklich Freundschaft gelebt.“ Eine große Hilfe war ihr auch die Lobpreismusik, die sie in dieser Gemeinde neu kennenlernte. Theresa (22) sekundiert: „In unseren Pfarreien, aus denen wir kommen, kennen wir nur Orgelmusik oder an Hochfesten mal Blasmusik. Das ist ja auch schön. Aber hier erleben wir mit den verschiedenen Bands eben auch Musik, die uns Jugendlichen eher aus dem Herzen kommt. – Und dann ist natürlich auch der Zusammenhalt unter uns wichtig, damit wir gemeinsam im Glauben wachsen können und nicht jeder allein kämpft.“

Jesus is the boss

Was rät Bernhard Hesse anderen Pfarrern, die sich ähnlich lebendige Gemeinden wünschen? „Einfach kopieren kann man St. Anton nicht, denn wir haben hier sehr spezielle günstige Bedingungen. Aber das Wichtigste ist:

‚Jesus is the boss.‘ Er erneuert seine Kirche, nicht wir Priester. Wir dürfen uns nicht zu wichtig nehmen. Natürlich müssen wir uns von ihm in Dienst nehmen lassen. Aber das Entscheidende tut Gott selbst.“

Das müsse sich konkret ausdrücken in einem Ort des Gebetes.

„Nicht das Pfarrheim, der Pfarrgemeinderat, das Pfarrfest oder der Pfarrer ist das Pfarrzentrum, sondern der Tabernakel, die Monstranz auf dem Altar.“

Und wenn man ihn wirken lässt, dann erlebt man auch Wunder der Bekehrung, von denen Hesse begeistert und begeisternd erzählt.


Birgitt Kerz
pensionierte Gymnasiallehrerin (Biologie, Mathematik, kath. Religion)


Der Beitrag erschien am 2.9.2024 in der Tagespost.


Foto: Adobe Stock, Bearbeitung: Peter Esser

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