Eine Reihe deutscher Theologen (Georg Essen, Magnus Striet, Thomas Söding, Hubert Wolf, Gregor Maria Hoff u. a.) tun sich schwer den Heiligen Geist als Protagonisten der Synode zu verstehen, wie es Papst Franziskus angeregt hat, und wollen ihn durch diskursive Vernunftprozesse ersetzen. Helmut Müller fragt deshalb: Was ist fundamentalsynodal? Seine philosophischen Überlegungen finden sozusagen im „Vorhof der Heiden“ statt. Theologen mögen sich eingeladen fühlen, sie aus ihrer Warte zu ergänzen.

Ein paar philosophische Überlegungen im „Vorhof der Heiden“

Kenner erinnern sich, wenn sie fundamentalsynodal hören, an die „Fundamentalmoral“ und zwar an die von Franz Böckle. Fundamentalsynodal kann grammatisch allerdings nur adjektivisch verstanden werden oder adverbial: Fundamentalsynodal gedacht müsste es heißen. Die Alliteration zu Böckle soll nämlich auf das Problem hinweisen: Fundamentalsynodal darf nicht bedeuten, dass sich bloß möglichst viele vernünftige Köpfe – gleich welcher Art – zusammenstecken und dann zu einem Ergebnis kommen. Der Heilige Geist lässt sich zwar nicht ausladen, wird aber von den vielen angeblich „vernünftig“ Denkenden leicht vergessen. Autonomie – als Weise der Selbstbestimmung des eigenen Willens – war denn auch bei Böckle das Substantiv schlechthin, in der von ihm oft genannten Verbindung theonome Autonomie. Die Theonomie – die Orientierung an Gott – war als theologische Pflichtübung irgendwie inklusiv im Substantiv Fundamentalmoral verpackt. Als Pflichtübung habe ich es immer als Hörer seiner Vorlesung Fundamentalmoral I. u. II. zwischen 1978 und 1980 empfunden.

Von Theologen, die offenbar den „Tempel“ meiden

Heute ist man da schon einen Schritt „weiter“ – wenn z. B. Georg Essen sich explizit gegen eine Theologie der Gabe (vermutlich gegen alle sieben des Heiligen Geistes) wendet, um auch gegenüber Intentionen des Gebers der Gaben maximal frei sein zu können. Magnus Striet schließt sich sogar buchstäblich Nietzsche an, wenn dieser der Meinung war: „Es gibt keinen Urtext, sondern nur Interpretationen“. Striet wendet dieses Diktum wortwörtlich auf die Hl. Schrift an: Sie sei nur in Interpretationen zugänglich, so dass letztlich die eigene Interpretation, zum eigentlich Bindenden wird. So lässt man dann die Geistgewirktheit der hl. Schrift außen vor. Das erinnert mich an ein Wort von Pierre Teilhard de Chardin in Bezug auf den göttlichen Schöpfungsakt – dem „Es werde“. Der verschwindet in der Perspektive naturwissenschaftlichen Denkens im point blanc de l’origine (im weißen Punkt des Ursprungs). Naturwissenschaftler sind gemäß ihrer Methode genötigt etsi Deus non dareturals ob es Gott nicht gäbe – zu forschen. Offensichtlich verschwindet auch die Hl. Schrift als Urtext für manche Interpreten im „weißen Punkt“ der eigenen Interpretationen. Ich habe den Eindruck, einige Theologen wollen den Vorhof der Heiden gar nicht verlassen, wollen den Tempel gar nicht betreten. Sie machen den nächsten Schritt in der Selbstsäkularisierung theologischen Denkens.

Selbstsäkularisierung im Vorhof der Heiden

Die Tendenz zur Selbstsäkularisierung wird auch durch jüngste Wortmeldungen zweier weiterer deutscher Theologen offensichtlich. Der evangelische Religionssoziologe Detlev Pollack hatte die katholische Kirche vor dieser Gefahr gewarnt: Die Reformer vergäßen, „dass das Christentum aus der Vormoderne stammt und manches nicht veränderbar ist, ohne das Innere der Kirche anzutasten. Gerade der Katholizismus beruht auf einer scharfen Unterscheidung zwischen dem Heiligen und dem Profanen. Das Heilige und die Sakramente werden abgeschirmt von der Welt durch heilige Zeiten, heilige Räume, heilige Gefäße und durch das Priesteramt.“ Dazu fiel dem Salzburger Fundamentaltheologen Gregor Maria Hoff nichts Besseres ein, als zu sagen: „Es ist aufschlussreich, dass ausgerechnet ein Religionssoziologe Ewigkeitsfantasien vom Wesen des Katholischen belebt.“ Nicht origineller kommt die Kritik des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf daher, der die Weltsynode an Verfahrensweisen der parlamentarischen Demokratie misst. Auf die Frage, was der Papst unter Synode verstehe, antwortete Wolf: „Auf jeden Fall weder Demokratie noch Gewaltenteilung. Behauptet wird jetzt, dass Laien und sogar Frauen bei der Weltbischofssynode etwas entscheiden können. Das ist vollkommen falsch. Tatsächlich können sie den absolutistischen Herrscher nur demütig bitten, irgendetwas zu ändern.

Ursprünge verschwinden in Interpretationen von Interpretationen

Kein Wunder, dass auch die Hl. Schrift – der Urtext alles Christlichen – in der bezuglosen Autonomie eigenen Denkens in Interpretationen untergeht, durch Interpretation getilgt wird. Das wirft Fragen auf:

  • Zunächst die Frage nach dem „Urtext“ der Interpretationen. Antwort: Der Urtext ist uns unzugänglich; wenn es ihn gibt, ist er selbst schon Interpretation von einem Text, der wiederum Interpretation ist. Man kann sich den regressus ad infinitum vorstellen, auf den es hinausläuft.
  • Was wird aus Lehramt und Kirche als hermeneutische Instanzen im Gegenüber zur Heiligen Schrift? Antwort: Sie sind korrumpiert, kommen nicht mehr in Betracht, sind diskreditiert durch Macht- und geistlichen Missbrauch!
  • Folgt daraus nicht, dass wir alles – vernünftig und diskursiv – selbst in die Hand nehmen und verantworten müssen?

Das ist offenbar die Folgerung.

Die Hierarchie auf der Kirchenfarm

Es erinnert mich auch an die Farm der Tiere George Orwells. Der Besitzer, der für die Tiere -vielleicht recht und schlecht – gesorgt hat, der Bauer, wird vertrieben. Auch hier ist man mit der Hierarchie auf der Farm nicht zufrieden. Die Tiere übernehmen selber die Macht. Allerdings bilden sich alsbald neue Hierarchien heraus, die weitaus schlechter sind als die alten. Ich weiß nicht ob Orwell Platons Nomoi gelesen hat, wo die These vertreten wird, alle (domestizierten) Tiere bräuchten eine andere Spezies, sie zu leiten. Deshalb bräuchten auch die Menschen Götter. Aber nun herrscht „Götterdämmerung“ in Bezug auf die sakramentalen Repräsentanten des menschgewordenen Gottes in gewisser Hinsicht unter den genannten Theologen und wohl auch in der Kirche. Spricht der Bestsellerautor Ferdinand von Schirach den oben genannten Theologen vielleicht aus dem Herzen, wenn er sagt:

„Mit Epikur und Lukrez waren die Menschen auf einem guten Weg. Dann wurde das Christentum Staatsreligion, die Kirche ergriff die Macht und mit der Freiheit war es vorbei.

Als transzendenzfähige Wesen in vernünftigem Gehorsam hören

Fundamentalsynodal heißt im Folgenden also positiv gewendet: Der Heilige Geist ist nicht bloß inklusiv oder adjektivisch, sondern grammatisch substantivisch wirkend zu denken. Mit dem Hl. Thomas gesprochen heißt das: zweitursächlich wirkend und zwar in der Kirche und durch die Kirche- und auf eine noch zu bestimmende Weise „synodal“.

Was ist „fundamental“ für Menschsein? Menschen brauchen es, in einer spezifisch hominiden sozialen Form zu leben und das heißt, sich in regulativen Ordnungssystemen zu bewegen, in Hierarchien zu leben, in profanen wie sakralen. Inwieweit diese einander durchdringen, muss theologisch durchdacht werden. Jedenfalls ist es anders, als etwa bei Heringen, die keine Hierarchien kennen; ihr Seitenlinienorgan organisiert ihr Schwarmverhalten. Bei uns übernimmt die Funktion des Seitenlinienorgans die Vernunft. Transzendenzfähige Wesen zeichnet die Fähigkeit zu einem vernünftigen Gehorsam aus.

  • Bei Platon finden wir den vernünftigen Gehorsam in den Nomoi einer, unsere Welt insgesamt kosmisch bewegenden Vernunft.
  • Bei Paulus ereignet sich der vernünftige Gehorsam in Gestalt einer dem Haupt gehorchenden einsichtigen Vernunft, dem rationabile obsequium. Diese bestimmt dann die Strukturierung der Hierarchie. (An dieser Stelle sollten meine im Vorhof der Heiden angesiedelten Überlegungen durch dogmenhistorische und theologische Überlegungen ergänzt werden, wie etwa das Konzil Synodalität versteht).

Fremdprophetie im Vorhof der Heiden

Selbst säkulare Denker wie Jürgen Habermas, der Philosoph nachmetaphysischen Denkens schlechthin, spricht von einem sakralen Komplex, der unser Menschsein konstituiert. Auch wenn er der Auffassung ist, dass metaphysisches Denken durch rationale Diskurse abgelöst worden ist, denkt er als alter Mann dennoch über 1700 Seiten in seinem Alterswerk weiterhin nach über das Verhältnis von Glauben und Wissen. Bemerkenswert ist, dass er für Seinesgleichen feststellt, es bestünde weiterhin eine „Wahrheitskonkurrenz“ (76) von metaphysischem und nachmetaphysischem Denken, sodass metaphysisches Denken nicht bloß historisch erledigt ist, sondern nach wie vor eine Wahrheitskonkurrenz besteht. Er weist sogar daraufhin, dass hier aufgeklärte Vernunft (!) in gewisser Weise fehl am Platze ist: Mit „theologische[r] Aufklärung“ geht er scharf ins Gericht: „Im Extremfall spitzt die theologische Aufklärung das ‚religiöse Weltverhältnis’ auf den Bezug zu einem anonymen ‚Unbedingten’ zu, das sich vom ‚Gott der Philosophen’ […] kaum mehr unterscheidet“ (191). Übrig bleibt seiner Auffassung nach eine Religion, die auf ihren Funktionalismus reduziert wurde. Wenn es so ist „entgleitet der sakrale Komplex, der sich keineswegs nur aus literarisch überlieferten, durch Interpretation angeeigneten und dogmatisierten Lehrinhalten zusammensetzt, sondern eben auch aus dem gemeinschaftlichen rituellen Vollzug der existentiell gelebten Glaubensinhalte“ (192). Zustimmend zitiert Habermas die religionsphilosophischen Überlegungen von Martin Riesebrodt: „Deshalb entnehme ich den Sinn religiöser Praktiken auch nicht Weltbildern (‚Theologien’) oder subjektiven Deutungen, sondern ‚Liturgien’, also institutionalisierten Regeln und Sinngebungen für den Verkehr mit übermenschlichen Mächten.“ (193).

Wenn also „synodal“ eine diskursive Auseinandersetzung und auch Verkehr mit übermenschlichen Mächten beinhaltet, heißt das gemäß unserem transzendenzfähigen Wesen, dass Hierarchien nicht bloß säkular organisiert werden dürfen, sondern auch sakral. Ob die Art und Weise wie die Kontinentalsynoden von Rom organisiert worden sind mit den Gebets- und Besinnungspausen schon ausreichend sind, um Hierarchie so zu berücksichtigen, dass sie auch in das Sakrale hineinreicht, ist die Frage und bedarf weiterer, vor allen Dingen dogmatischer Erläuterungen, die dann auch einer kirchenrechtlichen Strukturierung bedürfen.

Die Nivellierung des Sakralen durch Theologen in der Ekklesiologie

Die Ausführungen von Thomas Söding sind dagegen – im Gegensatz zu dem „Nachmetaphysiker“ Habermas – komplett transzendenzbefreit und sparen jedes sakral Hierarchische aus, und wo nicht, geht es um dessen Überwindung. Der Synodale Weg in Deutschland sei vorbildhaft. „Unsere Expertise ist in der Weltkirche gefragt“ – meint er in einem Interview mit „Kirche und Leben“. Bei Thomas Söding ist sogar der Bezug auf Paulus, dass Kirche als Leib Christi zu verstehen ist, nivelliert. „’Das Haupt kann nicht zu den Füßen sagen: Ich brauche euch nicht’. Zum anderen gilt es, gegen den herrschenden Zentralismus die vielen Peripherien dieser Welt als die entscheidenden Orte der Kirche zur Geltung zu bringen, von Kapstadt bis Oslo, von Manila bis Bogotá, Berlin und Rom selbst nicht zu vergessen. ‚Gott hat den Leib so zusammengefügt, dass er den Geringeren größere Ehre schenkt’“. Der Leib wird geradezu zu einer Räterepublik seiner Glieder und das Haupt wird mit einer Warnung vor Übergriffigkeit und Machtmissbrauch in Zusammenhang gebracht.

Synodalität „eine Reise im Einklang mit dem Geist“ (Papst Franziskus)

Auch mancher Text aus Rom scheint in diese Richtung zu weisen, wenn ein Konzilstext mit Auslassung des Wortes „Christus“ zitiert wird. Diesen Hinweis verdanke ich Peter Mettler:

„’Die Kirche ist in Christus wie ein Sakrament oder Zeichen und Instrument inniger Einheit mit Gott und der gesamten Menschheit.’ Am 20. Juni dieses Jahres wurde das „Instrumentum Laboris“ (IL) für die kommende „Synode der Synodalität“ publiziert.[…] IL [zitiert] die oben genannten Worte aus LG auch zweimal (Nr. 46 und 52), die alles entscheidenden Worte „in Christus“ aber werden ausgelassen.“

Hoffentlich wird dieser Fehlgriff von den Synodenteilnehmern beachtet. Mit allen Vorbehalten, die man gegenüber manchen Entscheidungen von Papst Franziskus haben kann, weist er selber immer darauf hin dass die Synode über die Synodalität „eine Reise im Einklang mit dem Geist“ sein muss,

nicht als ein Parlament, um Rechte einzufordern und Bedürfnisse gemäß der Tagesordnung der Welt geltend zu machen, und auch nicht als eine Gelegenheit, um dem Wind zu folgen, der gerade weht, sondern als eine Gelegenheit, dem Atem des Heiligen Geistes gefügig zu sein“.

Summasummarum: Fundamentalynodal wollte schon im „Vorhof der Heiden“ (naturphilosophisch, religionsphilosophisch, anthropologisch, humanwissenschaftlich) hinter die „Bühne in die Kulissen blicken“ (C.S: Lewis). Auf der Bühne sollten dann im engeren Sinne Überlegungen im katholisch-theologischen Fächerkanon stattfinden. Dazu sollen diese Worte ermutigen.


Dr. phil. Helmut Müller

Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz. Autor u. a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag

 

Melden Sie sich für unseren Newsletter an