In der Serie „Fakten schaffen nach dem Synodalen Weg“ beginnt in Deutschland gerade die Folge „Segen für Alle“. Das ist so durchschaubar wie falsch, übergeht es doch die Tatsache, dass Segen kein Anspruchsrecht gegenüber der Kirche ist, das nach menschlichem Ermessen erteilt oder verweigert wird, sondern die Kirche ist nur Vermittlerin göttlichen Zuspruchs und ihr Segen somit Geschenk. Helmut Müller analysiert für den neuen Anfang die gerade präsentierte Handreichung für Segensfeiern jener Paare, die wegen der geltenden kirchlichen Lehre nicht mit dem ehelichen Ehesakrament rechnen können, deren Verbindung man in Deutschland aber gerade mit einer eigenen Liturgie dennoch segnen will.
Es lässt aber auch etwas weiteres außer Acht, was ehrlicherweise ausgesprochen werden muss: Ein jetzt geforderter Segen für alle Paare, egal welchen Geschlechtes oder Konstellation ist jetzt bereits mit Ansage für zahlreiche Akteure sowieso nur die Vorstufe eines „richtigen“ Ehesakramentes. Hier wird etwas vorbereitet, was in der „Ehe für Alle“ auch in der katholischen Kirche sein wahres Ziel haben soll. Man geht nur den Umweg einer Verundeutlichung und damit Verwischung der Unterschiede, bis das geneigte, durchsäkularisierte Hochzeitspublikum in der Kirchenbank am Ende nicht mehr unterscheiden kann, ob hier Hoffnung, Glückwunsch, Segen oder Sakrament verteilt wird. Hauptsache, sie lieben sich, oder?
Die Feier des Segens für Paare. Mit diesen Worten beginnt das Arbeitspapier, das letzten Dienstag erschienen ist. „Unabhängig von den Beratungen des Synodalen Wegs hat eine überdiözesane Redaktionsgruppe in den zurückliegenden drei Jahren einen Entwurf einer pastoral-liturgischen Arbeitshilfe mit dem Titel „Die Feier des Segens für Paare“ erarbeitet. In ähnlicher Ausrichtung wie der am 10.3.2023 beschlossene Handlungstext des Synodalen Wegs zur offiziellen Einführung von Segensfeiern werden nach einer pastoral-theologischen Einführung – entsprechend der Unterschiedlichkeit der Paarsituationen – Vorschläge für verschiedene Formen von Segensfeiern vorgestellt. Erarbeitet wurde die Arbeitshilfe von Dr. Andrea Qualbrink, Dr. Holger Dörnemann, Jens Ehebrecht-Zumsande und Dr. Martina Kreidler-Kos, die gerade durch die Presse wissen ließ, das alles sei eine „Feier zur Bestärkung des Paares.“ und „wo Menschen in Liebe zueinanderstehen, ist Gott anwesend“. Nun, genaugenommen, ist er auch dort, wo Menschen falsch handeln, wo sie hassen, sich gegenseitig weh tun oder gar töten. Gott ist überall, aber gefällt ihm alles, was er sieht? Sah er, dass es gut war?
Ohne Pastoral wird aus Segnen absegnen
Allen Beteiligten ist eigentlich klar, dass es sich hier um Paare handelt, die bisher nicht mit einem Segen rechnen konnten. Bevor also gesegnet wird, müssten flankierende pastorale Maßnahmen ergriffen werden, damit gesegnet werden kann. Erstaunlicherweise ist davon nur auf 4 von 52 Seiten die Rede. Und wenn man noch genauer hinschaut, ist in ganzen 5 Sätzen davon die Rede und auch die schnurren noch einmal auf drei Sätze zusammen:
„Amoris laetitia ermutigt ausdrücklich, individuell einfühlsame Lösungen für schwierige Situationen zu finden. Nicht: „Was darf ich?“ ist die pastorale Leitfrage, sondern: „Was dient dem konkreten Menschen?“ Diese Haltung gilt es konsequent in der Pastoral umzusetzen und ebenso konsequent zu bestärken, wo sie seit vielen Jahren mit hohem Engagement spürbar gemacht wird. Im Anschluss an den von Papst Franziskus beschriebenen Weg kann, nach intensiver Gewissenserforschung und Begleitung, eine Segensfeier möglich werden. Seelsorger*innen, die diese Begleitung anbieten und gewährleisten, werden in dieser Aufgabe gesehen und unterstützt.“
Intensive Gewissenserforschung allerdings ohne Anstrengungen
Das war es dann auch. „Intensive Gewissenerforschung und Begleitung“ bleibt hängen und das ist auch wichtig und entscheidend, wenn es denn geschehen würde. Davon müsste aber sehr viel mehr die Rede sein. Dem ist nicht so. Denn gleich auf den übrigen 48 Seiten wird schon zur Tat des Segnens und des Segenfeierns geschritten. Mit der Gewissenserforschung und Begleitung kann es also nicht so weit her sein, wenn die Gewissen auf den übrigen 4 „pastoralen Seiten“ in einem Ausmaß entlastet werden, dass man sich fragt, was wird da noch erforscht und auch der Begleiter oder die Begleiterin wird wohl den zu Begleitenden ständig auf die Schulter klopfen und sagen alles klar, ihr liebt euch ja und alle drum herum begreifen das nicht. Und wieder muss Papst Franziskus herhalten, den man ansonsten aber ignoriert:
„Papst Franziskus hält in seiner Enzyklika „Laudato si“ mit Blick auf das alttestamentliche Buch der Weisheit fest: „Die Liebe Gottes ist der fundamentale Beweggrund der gesamten Schöpfung. ‚Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen.‘ (Weish 11,24)“ (LS 77) Segnen bedeutet, diese Schöpfungszusage Gottes weiterzugeben: Alles, was er geschaffen hat, ist „sehr gut“ (Gen 1,31). Segen ist eine Proklamation der Gewissheit, dass Liebe und Heil von Gott unbedingt geschenkt sind. Einbezogen in diese Zusage können alle partnerschaftlichen Lebensformen gelebter Liebe, Treue und gegenseitiger Sorge, die auf Dauer und Wachstum angelegt sind, gewürdigt werden.“[…] In Anerkennung der Vielfalt von geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung schließt dies auch homosexuelle Paare mit der Bitte um die Gegenwart Gottes in ihrem Leben ein.“
Heile Schöpfung, aber unheile Welt?
Das wird festgestellt ohne zu bedenken, was schon den Redaktoren der Schöpfungsberichte (Gen 1 und 2), speziell den Verfassern von Gen. 3 aufgefallen ist, dass wir nicht mehr die ursprüngliche Schöpfung vor uns haben, in der es von jedem Schöpfungstag hieß „und siehe es war sehr gut“. Das heißt also vor dem Segnen, muss überlegt werden, was man überhaupt segnet, da die Welt nicht mehr so ist, wie sie nach den Schöpfungsberichten sein sollte. Denn in der jetzt durch Brüche gekennzeichneten Schöpfung muss man offenbar wählen: „Siehe, ich lege euch heute vor den Segen und den Fluch“ (Dtn 11,26). Es kann einen fassungslos machen wie naiv über Sexualität und Lieben geredet wird, wenn sexueller Missbrauch an der Tagesordnung ist. Vermutlich erklärt das auch, dass derselbe immer systemisch auf die katholische Kirche bezogen verstanden wird, so als würde das System Sexualtäter instrumentalisieren.
Wenn also auf den restlichen 48 Seiten von Segnen und Segensfeier die Rede ist muss eine pastorale Tätigkeit im engeren Sinne vorangegangen sein, die etwa Fragen thematisiert, wie diese:
- Wie kommt es, dass ich gleichgeschlechtlich liebe, obwohl mein Körper auf einen anderen Körper in asymmetrischer Weise hin bezogen ist, meine Gefühlswelt diesen Bezug aber nicht widerspiegelt?
- Oder was ist alles beschädigt, zu Bruch gegangen, dass ich einer ursprünglich sakramental versprochenen Liebe untreu geworden bin?
- Oder wenn ich ohne feste kirchliche oder juristische Bindung meine, mich einer anderen geliebten (?) Person hingeben zu können.
- Und dann der Überzeugung bin, das könne alles gesegnet werden, weil zwei behaupten sich zu lieben?
Private Überzeugungen statt kirchliches Bekenntnis
Weit gefehlt: Es genügt die Kundgabe einer Überzeugung, die dann reicht, es auch zu tun. Es soll dabei nicht ausgeschlossen werden, dass nach dem Schreiben Amoris laetitae kein Segen möglich wäre. Die hier vorgebrachte Kritik an dem Segenspapier lautet allerdings: In der pastoralen Einleitung ist von Gewissenerforschung – außer, dass das Wort genannt wird – nicht die Rede, sondern nur die unhinterfragte Feststellung:
„Diesen Angeboten liegt die Überzeugung zugrunde, dass im gemeinsamen Leben der um einen Segen bittenden Paare sittlich Gutes da ist: Treue, Fürsorge, Verantwortung, Liebe. Dieses Gute ist, wo Glauben ins Spiel kommt, segenswürdig. Im Zuge des Synodalen Weges (2020 bis 2023) ist die Bedeutung kirchlicher Segensfeiern bekräftigt worden.“
Es ist tatsächlich nichts mehr als eine Überzeugung, die vorausgesetzt, aber nicht einmal erforscht oder gar verifiziert ist. Und da müssen zunächst einmal – wie kann es anders sein, die Humanwissenschaften wieder herhalten:
Humanwissenschaften als Allzweckwaffe
„Humanwissenschaftliche und sexualmedizinische Erkenntnisse haben das Verständnis von Homosexualität und verschiedenen geschlechtlichen Identitäten verändert.“ Wenn das nur so einfach wäre, wie behauptet wird! Denn erst wäre zu klären: In welchen Verständnishorizont liest man, und in welches Menschenbild integriert man die Sachverhalte und Ergebnisse der Humanwissenschaften?
- In ein naturalistisch-materialistisches Verständnis von Menschsein?
- In ein naturalistisch-geistsublimiertes Verständnis, das zwischen deterministischen und autonomistisch-konstruktivistischen Menschenbildern schwankt und Homosexualität zur Normvariante erklärt?
- Oder in ein christliches Menschenbild, das die naturwissenschaftlich-sexualmedizinisch gelieferten Daten zwischen naturwüchsigen Lebenswirklichkeiten und natürlichen Lebensordnungen in einem christlich-offenbarungstheologisch geprägten Menschenbild unterscheidet?
Nirgendwo und auch in keinem synodalen Text wird letztgenannte Problematik deutlich, außer in mancher Kritik von Minderheitsbischöfen auf dem Synodalen Weg, deren Kritik aber nicht in die Texte eingegangen ist.
Selektive Bibelexegese und ganz viel Überzeugung
Nicht anders wird in der Handreichung mit der biblischen Exegese umgegangen. Im Text heißt es:
„Auch in der Theologie gibt es eine Neubewertung gleichgeschlechtlicher Liebe [die Neubewertung geschieht durch Hineinlesung sexualwissenschaftlicher Erkenntnisse in einen der o. g. Horizonte]. Exeget*innen (Originalschreibweise in der Handreichung) des Alten und Neuen Testamentes machen deutlich, dass aus biblischen Texten keine eindeutige Ablehnung von Homosexualität abgeleitet werden kann und homophobe Lehren biblisch nicht begründet werden können“ [jedenfalls, wenn man jenen Bibel-Texte ausklammert, die einem nicht passen].
Was bleibt dann übrig? Das Papier sagt es selbst: ihm liegt eine Überzeugung zugrunde, mehr nicht. Eine Überzeugung sogar, die nur mit einer selektiven Bibellektüre mit „Mut zur Lücke“ begründbar ist, die sich gegen Ermahnungen und Verbote aus Rom richtet und Verfahrensweisen wählt, die bewusst kirchenrechtliche Normierungen meidet. Mit Verlaub: Ist es denn ein richtiges Papier, wenn man sich an allen römischen und weltkirchlichen Einsprüchen vorbeimogelt? So will man jedoch unabhängig von all diesen Einwänden diözesanübergreifend – möglicherweise auch mit Wohlwollen der betreffenden Bischöfe – auch mit diesem Papier wieder Realitäten schaffen, die nur von „falschen Pfarrern“ und „falschen Bischöfen“ nicht umgesetzt werden, dabei fordert man doch, das Paare mit Segenswunsch doch „Sicherheit“ haben müssen, dass sie ihn bekommen und kein Flickenteppich entstehen soll in Deutschland, wo man ihn an manchen Orten verweigert. Ganz offen wird das Anspruchsdenken hier manifestiert und eine Verweigerung verurteilt.
Vom Schleifstein zum Goldklumpen
Damit könnte man die Sache eigentlich abhaken, wenn nicht eine Taktik sichtbar würde, die scheibchenweise eine Realitäten anstrebt, die sich später nur noch schwer aus der Welt schaffen lassen. Es ist eine Umkehrung des Märchens vom Hans im Glück. Man will vom Schleifstein wieder zum Goldklumpen kommen. In der Kirche in Deutschland scheint alles möglich zu sein, nachdem Josef Ratzinger schon 1968 auf das Märchen vom Hans im Glück hinwies, um deutlich zu machen wie kirchlicher Glaube scheibchenweise verloren geht. Jetzt ist man bereits ganz unten beim Schleifstein angekommen und nun wird perfider Weise versucht, daraus wieder einen Goldklumpen zu machen:
Von dem Schleifstein der Überzeugung kommen wir zum Absegnen jeder Paarkostellation – mehr ist es nämlich nicht – aber man will ja hin zum wahren Ziel, dem kirchlichen Segen, und simuliert sich zunächst von der Vorstufe, der „Lightversion“ der „Sakramentalien“ hin zum echten Sakrament, das man jetzt noch nicht so nennen kann, womit die Ehe für Alle dann das Endziel, der Goldklumpen, wäre.
Weitere Irritationen, oder sind es gar Nebelkerzen, gehören offensichtlich zum Gesamtpaket: Laien sollen – klerikalisiert – ordentliche Taufspender werden. (Auch dem hat Rom übrigens eine deutliche Absage erteilt). Und umgekehrt stehen hemdsärmelige Priester jetzt volksnah am Altar. Es kann auch durchaus vorkommen, dass Priester mit einer Stola in Vereinsfarben zelebrieren, oder auch mal als Doppelspitze mit einer Frau am Altar mit Regenbogenschal. Und mancherorts probt man bereits als Akt zivilen Ungehorsams gegen Rom gleich die komplette klerikale Wende bei Segensfeiern mit Albe und Stola und simuliert damit eine sakramentale Eheschließung. Verkehrte Welt.
Vom Recht auf Segen zur Pflicht zu segnen
Wir sprechen hier nicht nur über eine Handreichung mit unverbindlichen Vorschlägen, sondern von neuen liturgischen Regeln, die allerorts durchgesetzt werden sollen und aus denen bereits jetzt vermeintliche Ansprüche auf Segensfeiern interpretiert werden.
Macht das erst einmal Schule wird es für jene Priester, die in der Lehre der Weltkirche und nah an Rom und dem Papst bleiben wollen, noch enger als bisher. Erklärungsbedürftig wird danach nicht mehr jener Priester, der in seiner Gemeinden jedes auch gleichgeschlechtliche oder geschiedene Paar unhinterfragt segnet, sondern jener Priester, der unbequeme Fragen stellt und echte Seelsorge im Sinne der katholischen Lehre betreiben will. Vom „Recht auf Segen“ ist es dann nur noch ein Katzensprung hin zur „Pflicht zu segnen“. Das aber kann weder von Mitmenschen, noch von Priestern und schon gar nicht von Gott verlangt werden. „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ ringt Jakob mit Gott in Mose 32,27. Den Segen Gottes kann man nicht verlangen oder erpressen, nur erbitten und erhoffen.
Dr. phil. Helmut Müller, Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag, Link: https://www.fe-medien.de/hineingenommen-in-die-liebe.
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