Bei einem Symposium in Münster diskutierten Theologen Ende Mai darüber, wie ein authentischer christlicher Freiheitsbegriff lauten könnte. Bei der Veranstaltung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster referierten auch Mitwirkende des Neuen Anfang. Der Bericht dazu von Dr. Margarete Strauss erschien leicht verändert am 9. Juni 2023 in der Tagespost.
Spannende theologische Fragen
„Freiheit von oder vor Gott?“ Unter diesem Titel fand vom 25. bis 26. Mai 2023 an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster ein Symposion über Freiheit und Autonomie statt, zu dem namhafte Referenten geladen waren, darunter drei Ratzinger-Preisträger und ein Schüler des neuen Ratzinger-Kreises. Ziel der Veranstaltung war die Erringung eines authentischen christlichen Freiheitsbegriffs und die Herausarbeitung seiner „libertarischen“ Parodie in moderner Theologie. Die Freiheitsdebatte ist kein Nebenschauplatz, sondern Schlüsselthema der gesamten katholischen Theologie, wie insbesondere die Diskussionen im Anschluss an die Vorträge offenbarten. Es ging nicht nur um das rechte Verständnis Kants oder seiner Rezipienten, sondern auch um das kreative Weiterdenken anhand von weiterführenden Beispielen. So stellten sich spannende Fragen wie: War Mose ein früher Kant? Und umgekehrt: Wie stand es um Kants persönlichen Glauben? Es kam auch die Frage auf, wie die „Vernunft“ eines ChatGPT einzuordnen sei.
Kant und das Sittengesetz
Den Anfang machte Pater Engelbert Recktenwald FSSP mit dem Vortrag „Kants Autonomie im Strudel heutiger Theologie.“ Er führte ein in die Terminologie und das Grundkonzept Kants, nicht ohne dessen Wirkungsgeschichte bis in die heutige Zeit in den Blick zu nehmen und festzustellen: Federführende Fundamentaltheologen wie Magnus Striet oder Saskia Wendel können sich mit ihren Konzepten menschlicher Freiheit nicht mehr auf Kant berufen. Für diesen sei das von der Vernunft vorgegebene Sittengesetz als Bestimmungsgrund des Willens unentbehrlich. „Fällt es weg, zerfällt die Freiheit“, so Recktenwald. Dagegen werde menschliche Freiheit bei Thomas Pröpper und seinen Schülern wie Magnus Striet selbst „zum Geltungsgrund moralischer Normen“ und zu „einer selbstreferentiellen Größe“, die nicht errungen, sondern geschützt werden müsse. Recktenwald schließt daraus, dass diese Sichtweise vollends unkantianisch sei: „Striet ist nicht, wie er meint, über Kant hinausgegangen, sondern hinter ihn zurückgefallen.“
Leitplanken des guten Lebenswandels
Im Anschluss an die Grundlegung des kantianischen Freiheitskonzepts referierte die Religionsphilosophin Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz über „Erstaunliche Leitplanken des ‚guten Lebenswandels‘ in Kants Religionsschrift.“ Dabei kamen überraschende und weniger bekannte Aspekte zum Vorschein wie die ambivalente Sprache Kants durch religiöse Terminologie – es fallen Begriffe wie „Offenbarung“ und „Gott“. In Abgrenzung von heutigen Vereinnahmungen Kants bringt sie dessen Definition von Freiheit und Autonomie auf die Kurzformel: Ich will, was ich soll. Und eben nicht: Ich soll, was ich will. Kant könne für die Legitimation des Eigendünkels aufgrund der universalen Evidenz des Sittengesetzes nicht instrumentalisiert werden. Durch verschiedene Zitate arbeitete Gerl-Falkovitz heraus, dass Kant eine saubere Abgrenzung von Philosophie und Religion nicht ganz gelungen sei. Nach einem Exkurs über die Phänomenologie und ihren Begründer Husserl nahm die Referentin die Verteidigung einer kontingenten Offenbarung vor. Letztendlich schließt sie, dass selbst Kant nicht konsequent an einer apriorischen Vernunft festhält, zumindest nicht von seiner Religionsschrift her.
Verschiedene Freiheitsbegriffe
Den ersten Tag beschloss Prof. Dr. Karl-Heinz Menke. Er sprach über „Theonome und libertarische Freiheit.“ Darin vertiefte er das Verständnis verschiedener Freiheitsbegriffe durch die Zusammenfassung des Kompatibilismus, Inkompatibilismus und dessen Fortschreibung bei Wilhelm von Ockham. Nach einem Seitenblick auf den Protestantismus stellte Menke zwei Wortführer des libertarischen Freiheitsbegriffs vor – Magnus Striet und Saskia Wendel – und deklinierte die Konsequenzen ihrer Ansichten aus. Dem stellte Menke eine theonome Autonomie gegenüber, bei der der Begriff der Offenbarung unter Rückgriff auf Personen wie Blondel, Rahner, von Balthasar und Ratzinger ausschlaggebend ist.
Das Freiheitskonzept – biblisch und modern betrachtet
Der zweite Tag des Symposions wurde mit einem biblischen Vortrag des Alttestamentlers Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger eröffnet, der über „Die Freiheit der Kinder Gottes“ sprach. Er entfaltete den Begriff ausgehend von der Befreiungserfahrung Israels aus dem Sklavenhaus Ägypten und der damit begonnenen Reise mit Jahwe. Er betonte den Kern menschlicher Freiheit – diese sei gegeben durch Bindung an Gott und ohne ihn undenkbar. Im Buch Exodus komme zum Ausdruck, dass Befreiung den Gottesdienst zum Selbstzweck habe. Gesetzmäßigkeit sei nicht selbst gegeben, sondern geoffenbart. Anschließend verglich er das biblische mit dem modernen Freiheitskonzept. Unter anderem wies er den Vorwurf der Anthropogenese zurück und kritisierte die fehlende Pneumatologie in modernen Konzepten.
Erlösung, freier Gehorsam und Befreiung
Eine patristische Weitung des Blicks erfolgte mit dem Referat Prof. Dr. Manuel Schlögls, der Freiheitsmotive bei den Kirchenvätern, insbesondere beim Mönchsvater Maximus Confessor, in den Blick nahm. Er bedauerte eine fehlende Kirchenväter-Rezeption bei heutigen Freiheitsdebatten, obwohl laut Alfons Fürst ab dem 2. Jh. ein regelrechtes Freiheits-Pathos auszumachen sei. Der patristische Freiheitsbegriff sei einerseits beeinflusst von philosophischen Konzepten, besitze andererseits ein ganz eigenständiges Profil. Dies entfaltete Schlögl anhand von Maximus Confessor. Als Anregung für die heutige Debatte schlägt Schlögl mit Blick auf Hans Urs von Balthasar eine christologische Rückkehr der Debatte vor, die Erlösung, freien Gehorsam und Befreiung vorsieht.
Neue Aspekte zum Freiheitsbegriff
PD Dr. Axel Schmidt analysierte sodann „Freiheit und Selbstverpflichtung bei Duns Scotus und Immanuel Kant“. Anhand von ausgewählten Zitaten stellte er verschiedene Aspekte der Freiheit bei beiden heraus. So nahm er z.B. die zwei Stufen der Vernunft in den Blick – vergleichende Selbstliebe und Moralbewusstsein. Er brachte auch Zitate zu einer positiven Bestimmung der Freiheit als Autonomie und zu einem autonomen und höheren Willen. Dabei führte er durchaus neue Aspekte zutage, die anschließend für eine intensive Debatte sorgten.
Freiheit bei C. S. Lewis
Den Abschluss des Symposions bildete Dr. Norbert Feinendegen über C.S. Lewis’ Ansichten falscher und richtiger Autonomie. Der Titel seines Vortrags „I was not born to be free – I was born to adore and obey.” bringt treffend zum Ausdruck, wie C.S. Lewis Freiheit anhand seiner Biographie unterschiedlich bewertete. Feinendegen, der kürzlich ein neues Werk über den geistlichen Weg des christlichen Denkers publizierte, stellte dessen philosophischen Werdegang vor, um den Wandel seines Freiheitsbegriffs herauszuarbeiten. In seiner Phase des Idealismus und Atheismus besaß C.S. Lewis eine Aversion „gegen die Einmischung Gottes“, bevor dieser für ihn zu einem Du geworden ist.
Naturgemäße Freiheit
Abschließend fasste der aus Rom angereiste Andrzej Kucinski den Ertrag des Symposions in vier Stichpunkten zusammen: das Verhältnis der Ethik zur Anthropologie, die Verwiesenheit menschlicher Freiheit auf Gott, den Gehorsam gegenüber dem Sittengesetz und die Verhältnisbestimmung Gottes und der menschlichen Freiheit. Kucinski schloss: Freiheit sei „eine bestimmte Weise, mit der eigenen Natur umzugehen – nämlich eine naturgemäße und nicht eine naturwüchsige, d. h. eine Selbstverwirklichung innerhalb der Grenzen dieser Natur.“ Er stellte abschließend die interessante Frage: „Könnte Kant etwa nicht als philosophischer Verbündeter für die Theologie des Leibes fungieren?“
Ein Tagungsband auf Basis der Veranstaltung ist geplant. Auf diese Weise leisten die Referate einen konstruktiven Beitrag für die Freiheitsdebatte in heutiger Zeit.
Dr. theol. Margarete Strauss
Jahrgang 1988, ist Theologin und Publizistin, betreibt das Online-Apostolat „Magstrauss“ und arbeitet freiberuflich u. a. für die Tagespost und Radio Horeb. Sie ist Autorin des Buches „Vision und Assoziation“