Zuerst versteckt sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz quasi in den Büschen, dann blamiert er die katholische Kirche mit einer Aussage, von der man sich wünscht, dass er besser geschwiegen hätte. Letztlich verweist er das fundamentale Thema „Menschenwürde“ in das Ressort der Politik. Wir können das nicht hinnehmen und wenden uns heute mit einem „Offenen Brief“ an Bischof Dr. Georg Bätzing.

Sehr geehrter Herr Bischof,

Sie haben öffentlich erklärt, sich zur Wahl von Frau Prof. Frauke Brosius-Gersdorf nicht äußern zu wollen. Dies sei Sache der Politik. Hier aber geht es nicht um eine belanglose Kandidatenkür. Folgendes ist zu sagen:

  • Wenn sich eine Kandidatin für das Amt einer Höchstrichterin in fragwürdiger Weise zum Artikel 1 Abs 1 des Grundgesetzes äußert, geht es um die ethische Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. 
  • Die These von Frau Brosius-Gersdorf, dass die Behauptung, allem menschlichen Leben komme Menschenwürde zu, auf einem biologistisch-naturalistischen Fehlschluss beruhe, kündigt den antitotalitären Grundkonsens der Mütter und Väter der deutschen Verfassung auf. 
  • Zugleich widerspricht diese (nicht zum ersten Mal vorgetragene) These der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und seiner Auslegung der Menschenwürdegarantie im Zusammenspiel mit dem Lebensrecht grundlegend. 
  • Sie beruht auf einem Konzept, das der zuletzt verbindlich durch das kirchliche Lehramt in Dignitas infinita vorgelegten Auffassung der Kirche diametral widerspricht. 

Dass Sie, Herr Bischof, als sakramental ermächtigter und gesendeter öffentlicher Zeuge des Evangeliums dazu das öffentliche Wort verweigern, bestürzt und bedrückt uns. Wir halten das für eine schwere Verletzung Ihrer Amtspflichten.

Wo es um die unantastbare Würde aller Menschen geht, ragt eine vorpositive Norm in die positive Rechtsetzung der Verfassung unseres Landes hinein. Deshalb ist eben nicht allein die Politik betroffen. Wer anders ist in der Pflicht, die ethischen Grundlagen unseres Gemeinwesens zu verteidigen, als die Kirche? Wer anders als die Kirche könnte für ihre Plausibilisierung kämpfen? Wer in der Gesellschaft hat sonst die Kraft, sich dauernd, hörbar und mit Argumenten in den Diskurs einzuschalten? Dies genau ist der Sinn des sogenannten „Böckenförde-Diktums“, das seine Gültigkeit gerade in der gegenwärtigen Debatte wieder einmal unter Beweis stellt: 

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“ 

Der Verwirklichung dieses Auftrags, der unmittelbar in Ihrer Sendung als Bischof begründet liegt, verweigern Sie sich.

Und hören Sie bitte hin auf das, was Papst Benedikt XVI. in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag sagte:

„Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen – auf den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt.“

Die Präambel unserer Verfassung, die für den gesamten Rechtskorpus unseres Landes, erst recht aber für die Verfassung selbst den Lese- und Deutungsschlüssel vorgibt, betont die Verantwortung vor Gott und den Menschen. Hier findet sich der Ansatzpunkt, warum die Kirche eben nicht der Politik allein das Feld überlassen darf. Dignitas infinita und die Rede von Papst Benedikt verweisen hier überdies auf den philosophischen Rationalitätsanspruch der kirchlichen Lehre. Es handelt sich nicht um christliches Sondergut!

Frau Brosius-Gersdorf ist gewiss mit Mitteln angegriffen worden, die zu missbilligen sind. In der Sache aber, die sie vertritt, muss Debatte sein. Wo die unbedingte Geltung der Menschenwürde für alle Menschen in allen Stadien ihres Lebens strittig wird, muss gestritten werden. Und wo das höchste deutsche Gericht Gefahr läuft politisiert zu werden, muss man an die deutsche Geschichte vor 1945 erinnern. Das haben Ihre bischöflichen Mitbrüder getan, als sie sagten: „Es darf in Deutschland nie wieder Menschen zweiter Klasse geben!“ Durch Ihre Äußerung sind Sie diesen Bischöfen in den Rücken gefallen. Sie hätten ihnen zur Seite stehen müssen.

Der Schutz und die Verteidigung der Würde des Menschen zu jeder Zeit seines Lebens vom Augenblick der Zeugung bis zu seinem natürlichen Ende ist eine Kernaufgabe der Kirche zu allen Zeiten und in allen gesellschaftlichen Kontexten. 

Den drohenden Entzug des grundrechtlichen Schutzes auf der Basis der Menschenwürde für die Schwächsten lassen Sie ohne Kommentar? Es ist für uns in keiner Weise nachvollziehbar, wie ein katholischer Bischof sich hier seiner Verantwortung entziehen kann. Wir halten das für eine grobe Pflichtverletzung und für einen offenkundigen Bruch mit der universalen Lehre und Praxis der Katholischen Kirche.

Tun Sie, was ein katholischer Bischof tun muss: Korrigieren Sie Ihre Fehlhaltung! Zeigen Sie Flagge! Kämpfen Sie! Und denken Sie gelegentlich daran, was Paulus dem Timotheus aus dem Gefängnis schrieb:

„Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht, tadle, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung.“ (2 Tim 4,2)

Mit freundlichen Grüßen

Bernhard Meuser        Martin Brüske

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