Rechtzeitig vor der Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz am 25.9. in Wiesbaden, sorgte der Vorsitzende Georg Bätzing, wieder für Schlagzeilen. So machte katholisch.de gerade mit der Headline auf „Bätzing: Vatikan sollte Priesterweihe für Homosexuelle zulassen.“ Der Vorsitzende der DBK hatte dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben und darin gefordert, der Vatikan möge vom weitgehenden Verbot der Weihe homosexueller Männer abrücken. Man reibt sich etwas die Augen: Haben wir den homosexuellen Priester nicht schon? Bernhard Meuser fordert auf, sich der Realität zu stellen.

Nun interessiert mich die sexuelle Präferenz meines Pfarrers oder meines Bischofs so wenig, wie mich die Vorlieben meines Physiotherapeuten oder meines Klavierlehrers interessieren. Von allen erwarte ich Professionalität, wobei die Professionalität eines Klerikers primär darin besteht, ein echter Nachfolger Jesu, ein Mann Christi, ein mitreißender „Zeuge“ zu sein. Das heißt: Man muss seiner Lebensführung ansehen können, dass er ein freier Mensch ist, der seine Freiheit „nicht zum Vorwand für das Fleisch“ nimmt, sondern dafür, dass wir „einander in Liebe“ dienen. (Gal 5,13) Paulus hält die Kriterien der Unterscheidung für

„deutlich erkennbar: Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid, maßloses Trinken und Essen und Ähnliches mehr.“

Das passt nicht für Christenmenschen im Allgemeinen, und schon gar nicht für Ordensleute oder Kleriker.

Es wäre nicht der Rede wert . . .

Spätestens seit Wolfgang F. Rothe und „Out in Church“ weiß die Öffentlichkeit, dass es Priester und Bischöfe, Mönche und Nonnen in erheblicher Zahl gibt, die dem gleichen Geschlecht zugeneigt sind; es wäre wie gesagt nicht der Rede wert, entsprächen sie in allen Fällen den paulinischen Kriterien. Was übrigens auch für ihre heterosexuell geneigten Kolleginnen und Kollegen gilt. Wer sich näher mit dem Thema befasst hat, weiß auch, dass es nun genug valide Studien gibt, die sich näherhin mit der Frage befassen, warum insbesondere das Priesteramt (aber auch die Lebensform des Ordens) eine besondere Attraktivität auf Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen ausübt. In jedem Priesterseminar, jedem Ordenshaus ist das ein Thema. Bei „Neuer Anfang“ meldete sich ein Seminarist, er habe eine etwas spezielle Frage: Er müsse jetzt einfach das Priesterseminar in X verlassen, „weil es einem heterosexuellen Kandidaten hier nicht länger zumutbar ist, in einer solchen Atmosphäre zu leben“ – ob wir denn eine Ordensgemeinschaft wüssten, wo es anders wäre. Wenig später meldeten sich Mitglieder einer Ordensgemeinschaft, deren Leitung sich vor kurzem geoutet hatte – ihr Tenor: „Was sollen wir denn machen? Zu uns kommen ja nur noch solche, wenn überhaupt?“

Zurück zu Bischof Bätzing und seiner Forderung! Im Jahr 2016 noch – also durchaus in der Ära Papst Franziskus – hatte die Kleruskongregation Richtlinien für die Formation zum Priesteramt erlassen, wonach die Kirche „jene nicht für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen zulassen“ könne, „die Homosexualität praktizieren, tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben oder eine sogenannte ‚homosexuelle Kultur‘ unterstützen.“ Diese Richtlinien müssen – so Bätzing – weg.

Eng geknüpfte Netzwerke

Die beste Antwort darauf gibt Bodo Windolf, ein in der Erzdiözese München wirkender Pfarrer. Er wagt es, den Zusammenhang von gleichgeschlechtlichen Neigungen und Missbrauch anzusprechen und dabei auf das

„womöglich einzige katholische Spezifikum“ zu sprechen zu kommen, „dass sich nämlich die Zahlen der betroffenen Mädchen und Jungen umgekehrt proportional verhalten. Gesamtgesellschaftlich werden Mädchen drei- bis viermal häufiger als Jungen Opfer sexueller Gewalt, im Bereich der katholischen Kirche verhält es sich, und zwar weltweit, genau umgekehrt. Warum ist das so bei den 4-5 % der Priester, die übergriffig werden oder manifesten Missbrauch verüben? Hat es etwas mit einer unter katholischen Priestern überdurchschnittlich verbreiteten homosexuellen Neigung zu tun, freilich nur bei einer kleinen Minderheit aus denen, die sie auch ausleben? (An dieser Stelle will ich ausdrücklich betonen, dass ich nicht von Homosexualität allgemein, sondern ausschließlich von der bei Priestern spreche.) Warum stellt man sich dieser Frage nicht mit dem notwendigen Nachdruck?“

Bodo Windolf verweist sodann auf eine Passage aus dem im Januar 2022 vorgestellten Münchener Missbrauchsgutachten: „Unter der Überschrift ´(Erwachsenen-)Homosexualität unter Klerikern´ (S. 423ff) wird hier (unter ausdrücklicher Erwähnung, dass die Gutachter die kirchliche Position zur Homosexualität nicht teilen) ausgeführt, ´dass sich in einer namhaften Zahl (…) Belege für eine ausgeprägte Homosexualität, insbesondere von Priestern (…) ergeben haben´, die ´enge Kontakte pflegten, sodass der Eindruck eng geknüpfter Netzwerke entsteht, die bis hin zu herausgehobenen Positionen in der Hierarchie des Ordinariats unterhalten wurden.´ Von ´Abschottungstendenzen´, wie man sie auch sonst bei Minderheiten kennt, und von ´wechselseitigem Erpressungspotential´ ist die Rede. Die Schlussfolgerung lautet: ´Derartiges Wissen oder Gerüchte haben daher durchaus einen nicht unerheblichen Verbreitungsgrad und müssen als eine wesentliche Mitursache für die ohne jeden Zweifel vorherrschenden Vertuschungstendenzen auch in die vorliegende Bewertung einbezogen werden. Hinzu tritt, dass eine wünschenswerte Kultur der Aufrichtigkeit und Offenheit über den gesamten von den Gutachtern untersuchten Zeitraum auch dadurch massiv verhindert wurde, dass in Fällen erkannter manifestierter und auch praktizierter Homosexualität diese hingenommen und somit entgegen eindeutigem Postulat toleriert wurde.´ Sollte nicht auch dieser Teil der Missbrauchsstudie bei der Aufarbeitung eine Rolle spielen?“

Wie ernst nimmt Bätzing den Kinder- und Jugendschutz?

Ist der Limburger Bischof blind für die Wirklichkeit? Vertritt er eine Lobby? Betreibt er Klientelpolitik auf Kosten der Kirche und der Opfer von Missbrauch? Wie kommt er dazu, die sträflich missachteten vatikanischen Richtlinien zur Zulassung zum Priesteramt noch einmal in Frage zu stellen, wo alle Missbrauchsstudien erwiesen haben, wie sinnvoll sie sind – nämlich als präventive Maßnahmen des Kinder- und Jugendschutzes? Ein offenes Wort am Ende: In meinen Augen ist jede bischöfliche und synodale Rede von Missbrauchsbewältigung, Prävention und Jugendschutz Blech, solange sich die Verantwortlichen nicht endlich die Binde von den Augen nehmen und sich der Realität stellen.

Und noch etwas:

Es ist ein berechtigtes Anliegen, Menschen mit homosexuellen Neigungen in die Kirche zu integrieren. Man kann es aber auch übertreiben. Hat die Katholische Kirche kein anderes Thema mehr? Bestimmte Kreise tun so, als sei die Kirche nicht die Kirche, bevor nicht die Rainbowflag vor dem Fronleichnamshimmel weht und die letzte Maiandacht „safe space“ ist. Es könnte nämlich leicht sein, dass die Leute den Eindruck gewinnen, es ginge den Betreibern der Kampagne nicht um die Verkirchlichung von Homosexualität, sondern um eine Homosexualisierung der Kirche.


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.

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