Ist Gott vielleicht nicht ganz gescheit? – Jedenfalls glaubt die deutsche Delegation bei der aktuell stattfindenden Zusammenkunft der kontinantalen Phase des internationalen synodalen Prozesses in Prag mit ihren theologischen Bodyguards, dass die deutsche Theologie zukunftweisend für Europa und die Welt sei. Sogar die Allwissenheit Gottes scheint dabei schlecht abzuschneiden. Diesen Eindruck wird unser Autor Helmut Müller nicht los, wenn man die Einlassungen verschiedener Theologen und seit geraumer Zeit auch mancher Bischöfe wahrnimmt.

Auf breiter Front meinen sie, Korrekturen an seinem Schöpfungs- und Erlösungswerk vornehmen zu müssen. Ganz aktuell soll vom Bistum Limburg aus auch seine Kirche neu konzipiert werden. In Galiläa war es offenbar am falschen Ort und im Mann aus Nazareth ist Gott offenbar auch zur falschen Zeit Mensch geworden. Wenn er nach 1781, dem Erscheinungsdatum von Kants kritischer Vernunft Mensch geworden wäre, müsste man aus der Perspektive mancher offenbar erheblich weniger nachbessern oder drüber weg sehen.

In einer Welt von Narrativen trifft nur noch Satire die Wahrheit

Schon Kurt Tucholsky – vermutlich mit Blick auf die evangelischen Kirchen – war einst aufgefallen, wie sie „der Zeit atemlos hinerher jappen“. Unsere Zeit ist nicht weniger verrückt geworden, wenn man altmodisch die Zeitung aufschlägt, im Internet unterwegs ist und in Social Media mitdiskutiert. Wie im Mittelalter die Hofnarren die Wahrheit sagten, tun es in unserer Zeit nur noch Kabarettisten, die dann nicht selten dafür massiv abgestraft werden. Manchmal sind Wahrheiten aber dann doch so eklatant offensichtlich, dass auch Satire es nicht retten kann: Gerade in den letzten Wochen wurde mit unserer Verteidigungsministerin die Kirsche auf der Sahnetorte der Unfähigkeit des Kabinetts Scholz, beseitigt.

Das Ansehen der katholischen Kirche sieht nicht besser aus. Aus diesem Grund, kann ich auf oben genannte Theologen und Theologinnen nicht mehr theologisch antworten, sondern nur noch satirisch mit einem Hauch von Kabarett. In einer Welt von Narrativen treffen nur noch Satire und Kabarett Sachverhalte, an denen sich Wahrheit – eben in diesem Narrengewand, orientieren muss. Mir ist beim Schreiben dieser Zeilen sehr unwohl, diesen Stil wählen zu müssen, weil er Menschen verletzen kann und auch eine ganze Zunft, zu der ich mit einer theologischen Grundausbildung auch gehöre. In einer „Kleine(n) Kritik der polemischen Vernunft“ habe ich ausgeführt, weshalb ich es dennoch tue.

Eine Unklugheit sondergleichen: ein weiblicher Messias

Ich beginne die Überlegungen mit dem immer weiter sich verbreitenden Narrativ Gott sei Mensch geworden und nicht Mann. Gottes Handeln sei bloß angesichts der damaligen Zeitumstände klug gewesen.
Vor 2.000 Jahren wäre es nämlich unklug gewesen, den Messias weiblich zur Welt kommen zu lassen, da er einer patriarchalen Gesellschaft zur Zeitenwende nicht zuzumuten gewesen wäre. Gott sei Mensch geworden und nicht Mann. Letzteres sei unwesentlich gewesen. Immerhin haben sich dieser Auffassung auch einige Bischöfe angeschlossen.

Wenn diese Überlegungen zutreffen, darf doch nachgefragt werden: War Gott vielleicht nicht ganz gescheit gewesen bei den folgenden „Zumutungen“? Wie ist es überhaupt zu diesen Zumutungen gekommen? Was war eigentlich das erste Ereignis, auf das sich die erste Interpretation bezieht, wenn das Evangelium nur eine Interpretation dieses ersten Ereignisses bzw. der ersten Ereignisse geworden ist, die in heutigen Narrativen einfach nur Zumutungen sind? (Man vergebe mir meinen Zynismus, er ist nur methodisch, um die Konsequenzen solchen Denkens drastisch aufzuzeigen.)

Zur falschen Zeit am falschen Ort?

Denn es ist eine Zumutung, den Messias am Kreuz, dem Galgen der Antike, sterben zu lassen. Selbst seine Jünger verlassen daraufhin in Panik Jerusalem und verdrücken sich nach Galiläa. Paulus hat wohl als erster diese Zumutung glasklar festgehalten: für Juden ein Ärgernis, für die Griechen eine Torheit (1 Kor 1,23), also eine Dummheit sondergleichen sich gerade in jenen beiden Kulturen, in die das Christentum räumlich und zeitlich alsbald hineinwachsen sollte, sich jedes Verständnis zu verbauen. Ein antikes Graffiti, eingeritzt in die Wand einer römischen Kaserne, bestätigt diese Dummheit. Ein Soldat wird verhöhnt, weil er Christ ist und einen Eselskopf anbetet.

Er bleibt nicht im Grab liegen und läuft mit unheilen Knochen umher

Und ist das dann in Folge eine gute Idee, diese erste Torheit dann durch ein Mirakel zu beseitigen? Drei Tage später nach diesem Ereignis kommt die nächste Zumutung: Er bleibt einfach nicht im Grab liegen und läuft wieder mit sämtlichen unheilen Knochen herum. Das ist selbst kritischen Jüngern wie Thomas zu viel des Guten. Auch alle anderen schütteln die Köpfe, die damit zu tun haben. Der französische Autor Eric-Emmanuel Schmitt hat das in seinem Roman Das Evangelium nach Pilatus in brillanter Weise als wahrhaftiges Lesevergnügen dargestellt.

Warum Mann/Frau und nicht Zwitter wie bei den Schnecken?

Dabei hätte sich Gott ja all diese Probleme sparen können, wenn er es schon gleich am Anfang mit Adam, dem ungeschlechtlichen Erdling, hätte gut sein lassen. Aber nein, er teilt den Erdling und macht Zweie daraus. Aus dem unspezifischen Erdling wird Adam, ein Mann, und der anderen Hälfte, Eva, eine Frau. Warum diese Asymmetrie schon am Anfang? Zumal er ja in seinem Schöpfungsdesign gute Alternativen gehabt hätte, z. B. Seepferdchen, da gibt es schwangere Männchen. Und noch besser Schnecken, die sind Zwitter, wie es Judith Butler seit neuestem, nämlich binär, sein möchte? Warum um alles in der Welt hat der allwissende Gott es von Anfang an vermasselt?

Schwanger werden ohne Mann?

Ist es da noch ein Wunder, dass auch der Neuansatz um die Zeitenwende, dieses Mal bei einer leibhaftigen Bio-Frau, schlicht eine Zumutung ist? Eine Jungfrau, die es in der christlichen Dogmatik zu allem Überfluss bleiben wird – wird ohne Mitwirkung eines Mannes schwanger. Das war sogar so ungehörig, dass schon die Evangelisten Matthäus und Lukas, die nur ein paar Jahrzehnte (!) nach Markus geschrieben haben, aus dem Zimmermann, dem Sohn der Maria (Mk 6,3), mit wenig Aufwand den Zimmermannssohn Josephs machten. Das entsprach einem Dorfnamen, wie das in meinem Heimatort noch üblich ist. Er würde bei uns „(d)em Schreiner-Jupp oder Sepp, sei(n) Bu(b)“ heißen. (Im Übrigen ist die Jungfrauengeburt eine solche Zumutung, dass das bis heute immer weniger glauben.)

Kranke heilen ohne Aspirin und Impfung?

Und dann geht`s im selben Stil weiter: Er läuft übers Wasser, heilt ohne Aspirin, Impfung, Quarantäne, mit Lehm, klarer Ansage, quasi per Mausklick Kranke dutzendweise, holt Tote aus dem Bett, von der Bahre und aus dem Grab, versenkt 2.000 Schweine im See, feiert mit fünf Broten und zwei Fischen ein Festmahl in der Wüste und legt sich mit beinahe jedem an, der was zu sagen hat. Geht´s noch, fragt man sich da?

Mit Analphabeten, kleinen Leuten und Frauen ausnahmslos, versteht er sich aber gut. Beim Verteilen von Pöstchen übergeht er aber die Frauen. Es ist einfach nur zum Kopfschütteln! Kein Wunder, dass er das nicht lange überlebt hat, vielleicht ein Jahr, maximal drei Jahre. Flavius Josephus ein kluger zeitgenössischer Historiker, erwähnt ihn nur nebenbei, vermutlich weil er ihn für einen Spinner gehalten hat oder wenigstens die Leute, die solches erzählen.

Eine Lebensgeschichte so seltsam wie Weihnachtsbäume im August verkaufen

Klar, diese Geschichte lässt sich so schlecht verkaufen wie Dick und Doof einmal Weihnachtsbäume im August verkaufen wollten. Paulus hatte das schon richtig erkannt. Sicherlich lässt sich auch einiges noch gerade rücken. Aber insgesamt war der Nazarener – was wir über ihn wissen – eine einzige Zumutung für den damals herrschenden Mainstream.

Im Laufe der weiteren Geschichte haben diese Zumutungen nicht abgenommen, sofern nicht Vorteile mit der Annahme der Botschaft verbunden waren. Nehmen wir nur einmal unsere kriegerischen Vorfahren und überlegen wie diese Geschichte bei ihnen angekommen ist. In anderen Kulturen wird es wohl nicht leichter gewesen sein und in unserer heutigen ebenfalls nicht, wenn wir noch einmal von vorne anfangen müssten. Und das müssen wir denke ich. Vielleicht mit gängigen Narrativen?

Aber zurück zu unseren kriegerischen Vorfahren. Im 9. Jahrhundert wird im „Heliand“ die Botschaft von diesem – mittlerweile als friedfertig verkündeten – Nazarener, in altsächsischen Reimen zu verkaufen versucht. Da wird jedes Ereignis, das mit Waffen zu tun hatte, richtig ausgeschlachtet. Eine Kostprobe:

„Da erboste mächtig der schnelle Krieger Simon Petrus, wild walt der Mut ihm, kein Wort da sprach er, so voll Harm ward sein Herz, als sie den Herrn hier zu greifen begehrten. Blitzschnell zog er das Schwert von der Seite und schlug und traf den vordersten Feind mit voller Kraft.“

Wer erkennt nicht die Szene mit Malchus im Garten Gethsemani als mächtigen Theaterdonner?

Warum mit der Menschwerdung nicht bis 1781 warten?

Bei all diesen Dummheiten und Unklugheiten hätte sich Gott bei seiner Menschwerdung sicherlich auch eine ebensolche mehr durchaus erlauben können, nämlich als Frau in jener Zeit auf die Welt zu kommen. Oder aber auch warten können, bis das keine Dummheit mehr war? Auf ein paar tausend Jahre kommt es bei diesen katastrophischen Verläufen in seiner Schöpfung doch wirklich nicht mehr an! Vielleicht bis 1781 warten auf Kants Kritik der reinen Vernunft? Oder bis zu Judith Butlers Gender Trouble 1990 ? Aber nein. Den, die (?), das, uns und alles was wir kennen, gäbe es ja gar nicht!

Warum nicht alles umschreiben, dass Klugheiten daraus werden?

War Gott vielleicht doch (historisch) so gescheit wie gängige Narrative annehmen? Sollten wir dann wie die karolingischen Missionare der Sachsen alles so umschreiben, dass heute Klugheiten daraus werden? Sollen wir das? Andererseits müssen wir ja das Rad nicht neu erfinden. Wir könnten z. B. (unhistorisch) dem Rat eines Kirchenvaters folgen, der vor ähnlichen Problemen stand: „Wenn du in den Evangelien nur das glaubst, was du magst, und das ablehnst, was du nicht magst, dann glaubst du nicht an das Evangelium, sondern nur an dich selbst.“ (Augustinus)


Dr. phil. Helmut Müller

Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag, Link: https://www.fe-medien.de/hineingenommen-in-die-liebe

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