Gott denken – heute. So lautete der Titel der Antrittsvorlesung des neuen Erfurter Religionsphilosophen Holger Zaborowski. Wie das – wenn er im Denken immer mehr verblasst? Dieses Verblassen im Denken unserer Gesellschaft (Peter Sloterdijk) ist auf dem „Synodalen Weg“ der Kirche in Deutschland seit 2019 kein Thema der Überlegungen. Gott scheint den Freiburger Fundamentaltheologen Magnus Striet sogar regelrecht zu stören, wenn er seinen Begriff von Freiheit dezidiert ohne Gott begründen will. Damit ruft er einen Ausspruch Nietzsches erneut ins Bewusstsein: Gott – ein Fehlgriff des Menschen. So kann natürlich nur jemand formulieren, der es lieber selbst sein wollte: Es gibt keinen Gott, wie hielt ich’s aus, es nicht zu sein. In dieser Tradition spricht Peter Sloterdijk dann vom Verblassen Gottes in unserer Gesellschaft.
Gott – ein Fehlgriff des Menschen
Gegen dieses Verblassen Gottes in unserer Gesellschaft war die Antrittsvorlesung im beginnenden Wintersemester des neuen Erfurter Religionsphilosophen Holger Zaborowski gerichtet: „Gott denken – heute“. Das ist das Geschäft eines gläubigen Religionsphilosophen. Das Geschäft eines Theologen sollte aber sein: Gott im Heute glauben. Es gereicht Holger Zaborowski zur Ehre, dass er gegen Ende seiner Antrittsvorlesung darauf hingewiesen hatte, dass eine Annäherung im Denken, der Wirklichkeit Gottes nicht gerecht werden könne.
Dieser Wirklichkeit Gottes wird die „Theologische Sprechstunde“ es in der Schweiz lehrenden Theologen Martin Brüske sehr viel gerechter, wenn er an der ErklärBar quasi als Barkeeper „hochprozentige theologische Drinks“ verabreicht, die auch ein Glauben im Heute ermöglichen. Es handelt sich hierbei um eine originelle Aktion der Initiative Neuer Anfang, Gott und den Glauben der Kirche wieder ins Gespräch zu bringen in einer Ernsthaftigkeit, die sich mit der Originalität der Idee messen kann.
Von lästigen Göttern zum Freiheit gewährenden Gott Israels
In den Überlegungen Brüskes wird deutlich, dass im Alten Orient irgendwann im Glauben Israels eine religionsgeschichtliche Revolution stattgefunden hatte. Haben die Völker im Zweistromland, im Nildelta und überhaupt weltweit Gott durch Opfer, Bitten, Riten und Gebete regelrecht nötigen wollen, ihnen gnädig zu sein, die Herausforderungen des Lebens zu bestehen, Fruchtbarkeit zu schenken, vor Krankheiten, Krieg, Hunger und Wetterkapriolen beschützt und sicher zu sein, wird im Glauben Israels Erstaunliches sichtbar: In einer Zeit, in der man vielleicht in orientalischen Großstädten schon eine gewisse Lebenssicherheit erreicht hatte und möglicherweise nur noch Opfer brachte, um die Götter zu besänftigen und einfach in Ruhe gelassen zu werden, erzählt Israel in einer merkwürdigen Erzählung die Geschichte seines Stammvaters Abram.
Abram, aufgewachsen in einer dieser orientalischen Großstädte, Ur in Chaldäa, war wohl auch aus dem Gröbsten raus. Die gewaltigen Ruinen im Irak zeigen heute noch, dass in dieser Großstadt angenehmes Leben durchaus möglich war. Vielleicht wurden Götter tatsächlich eher als lästig empfunden, weil sie mit Wetterkapriolen sogar das großstädtische Leben stören konnten. Möglicherweise wendete man sich weniger bittend an sie, sondern besänftigend, um einfach in Ruhe gelassen zu werden.
Gott kommt selbst und ungerufen
Aber genau da, wie man heute sagt „im fruchtbaren Halbmond“ zwischen Euphrat und Tigris meldet sich in der Erzählung Israels ein Gott ohne angerufen, gebeten oder besänftigt worden zu sein bei Abram, dem Großstädter des Zweistromlandes! Kein Gott der Sumerer, sondern wie es sich herausstellen wird, Gott selbst, wie er von Israel, später dem Judentum, den Christen und noch später von den Muslimen differenzierend wahrgenommen wird.
Vielleicht wollte Abram auch wie viele Bewohner des fruchtbaren Halbmondes einfach in Ruhe gelassen werden. Noch im 20. Jahrhundert klagt der Milchmann Tevje im Musical Anatevka, dass Gott mit seinen ständigen Katastropheneinsätzen einmal aufhören soll. So etwas traute sich damals niemand zu sagen, auch heute im Islam nicht. Bemerkenswert, dass das durch die Jahrtausende israelitischen und jüdischen Glaubens nicht ungewöhnlich ist, dass Israel so mit seinem Gott sprechen durfte, der sich bei Abram erstmals als ein dialogischer Gott offenbart.
Der sumerian way of life Abrams im Zweistromland
Zu allen Zeiten wollten Menschen ihr Leben genießen, damals den sumerian way of life, ebenso wie zu Zeiten des Kalten Krieges der american way of life, einem Leben in Unfreiheit und Güterknappheit entgegengehalten wurde. Dieser nicht angerufene Gott, der sich aus freien Stücken Abram offenbarte, forderte aber, dass dieser sein komfortables Großstadtleben aufgeben und seinen Anweisungen folgen sollte. Abram sollte seine Sachen packen und Gott folgen, wohin er ihn führt.
Das hieß praktisch, das Großstadtleben für ein unstetes Vagabundierenden-Dasein – das nichts von Entspannung und Urlaub an sich hatte – aufgeben, ohne gefragt zu werden, wo es denn hin geht und wo die Zelte aufgeschlagen werden. Christen erinnern sich noch heute in ihrem wichtigsten Gebet daran, wenn sie beten Dein Wille geschehe, wie im Himmel (das könnte einem ja egal sein) so auf Erden.
Letzteres ist alles andere als egal. Die Erde ist nämlich der Ort unserer Wünsche, Ängste, Sorgen, aber auch unserer Sehnsüchte, Freude und unseres Glücks. Da folgt man nicht ohne Weiteres der Willenskundgabe eines bis dahin fremden Gottes, wenn alles um einen herum glaubt, es gäbe noch andere Götter, die man mit Opfern bestechen kann. Aber die Erzählung beginnt schroff: „Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus“ (Gen. 12,1a) und es geht zunächst nicht besser weiter „in das Land, das ich dir zeigen werde.“ Und erst dann wird es positiv: „Ich werde dich zu einem großen Volke machen. Ein Segen sollst du sein.“
Wenn Dein Wille geschehe keine Einbuße meiner Freiheit ist
Was heißt das religionsgeschichtlich? Abram wird aus der Knechtschaft altorientalischer Gottesvorstellungen befreit, in denen man Göttern zu Diensten sein und deren Zorn man bisweilen besänftigen musste, eigentlich eine Projektion irdischer Verhältnisse in himmlische Vorstellungen. Der Ruf an Abram, der zu Abraham – dem Vater vieler Völker – werden sollte, erweist sich als ein Ruf in eine geradezu verwandtschaftliche Beziehung zu Gott, später im Christentum sogar in eine Liebesbeziehung zu Gott. Erst so ist die Vaterunser-Bitte „Dein Wille geschehe wie im Himmel (und jetzt selbstverständlich) so auf Erden“ keine Einbuße an Freiheit und Autonomie mehr. Carlo Carretto hat einmal gesagt: „Wenn man liebt, ist es mehr als selbstverständlich, dass man den Willen des Geliebten auch tut“. Ja, man sucht sogar im Voraus, ihn zu erkennen.
Gott – biblisches Interpretament und philosophischer Grenzbegriff
Dagegen ist der Gedanke neuzeitlicher Autonomie von Vorbehalten und Misstrauen geprägt. Es ist so, als würde jeder seinen Claim abstecken: Man sichert sich selbst gegen Übergriffe ab und im Gegenzug dem anderen dessen Autonomie zu. Selbst Gott wird so zu einem meine Freiheit und Autonomie bedrohenden empfunden, oder wenigstens zu einer meine Freiheit begrenzenden Begrifflichkeit. Tatsächlich begegnet einem Gott in der „Theologie“ eines Magnus Striet biblisch nur noch als ein Interpretament und philosophisch als Grenzbegriff, entweder als kantische Ideeoder absolutes Ich, wenn er sich auf Fichte hin bewegt, am ehesten aber nistet Gott noch – nach einem berühmten Ausspruch Nietzsches – in unserer Grammatik. „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben.“
Gott hinter Gittern – im Sprachgitter unserer Grammatik
Ich dagegen fürchte, wir werden Gott los, wenn wir ihn in den spanischen Stiefeln Striet’scher Begriffslogik suchen, und der so auf die Folter gespannte Gott sich uns entzieht. Wenn Holger Zaborowski als Religionsphilosoph in seinem Vortrag einräumt, dass wir Gott im Denken nur marginal fassen können, tun leider immer mehr Theologen nichts dagegen, dass er so in theologischem Denken „verblasst“ (Sloterdijk) oder sogar stört, wenn wir wie Striet Freiheit ohne Gott definieren.
Gott – heute denken fordert also auch nach Holger Zaborowski eine andere Begegnungsweise, etwa wie sie Martin Brüske anbahnt und anmahnt Gott – im Heute glauben, etwa so wie es die Vaterunser-Bitte voraussetzt. Der Mann aus Nazareth, der Mensch gewordene Gott, bei Striet nur noch der Jude Jesus, er allein garantiert, wenn nämlich Gottes Wille geschieht, dass es letztlich der Heilswille Gottes ist und nicht etwa der erbarmungslose Weltgeist Hegels am Ende der Zeiten steht. Christlicher Glaube markiert an jedem Tag des Kirchenjahres den Heilswillen Gottes bis er sich am Christkönigstag am Ende des Kirchenjahres sieghaft zeigt und durchsetzt.
Jetzt im Advent wird er in jeder der Tageslesungen von uns erhofft, ersehnt und schlussendlich geglaubt. Mehr oder weniger ist dieser Glaube stark in der Erkenntnis, dass sich Gottes liebender Heilswille gegen unsere von IHM zugelassenen Freiheitstaten durchsetzt, wenn wir unserem eigenen Willen gefolgt sind, obwohl wir die Möglichkeit hatten, den Willen Gottes in seiner Kirche zu erkennen.
Herr erbarme dich unser, dass wir uns im Leib Christi – der Kirche – an SEINEM Haupt orientieren und auf IHN hören und nicht behaupten – wie Bischof Overbeck – Hörende zu sein und dabei schwerhörig das Gegenteil dessen tun, was uns gesagt wird.
Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag, Link: https://www.fe-medien.de/hineingenommen-in-die-liebe
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