Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.
Herrlichkeit und Liebe
Auslegung des Evangeliums vom 5. Sonntag der Osterzeit C Joh 13, 31-33a.34-35
In der Nacht des Verrats, und gerade darin, beginnt sich die göttliche Liebe in Vater und Sohn zu verherrlichen. Ihr Glanz und ihr Gewicht strahlen auf. In dieses österliche Geheimnis wird die Kirche hineingenommen: Aus der Liebe Jesu vermag auch die Kirche zu lieben – solche Liebe ist das Gebot, das sie leitet. So wird ihre Jüngerschaft erkennbar.
Nacht leuchtet wie der Tag
Judas ist hinausgegangen, um den Herrn auszuliefern. Im Vers zuvor heißt es ebenso lapidar wie abgründig: „Und es war Nacht.“ Es ist die Nacht des Verrats. Und doch: Dieses Wort bereitet ganz leise etwas vor, das dann in unserem heutigen Evangelium ebenso kraftvoll wie paradox ausgesprochen wird: Die Nacht des Verrats ist zugleich die Nacht des Heils, das sich durch den Verrat des Judas hindurch zu verwirklichen beginnt.
Tatsächlich verwendet Johannes hier sehr auffallend das griechische Wort nyx für Nacht, nicht skotia, Finsternis. Im ganzen ersten Hauptteil hatten sich skotia, Finsternis und phos, Licht ringend gegenübergestanden – und skotia war Ausdruck einer sich heillos gegenüber Gott abschottenden Welt. Die Nacht des Verrates ist zwar furchtbar, ja äußerster Vollzug dieser Finsternis. Aber gerade bei Johannes bleibt Gott auch angesichts größter menschlicher Verlorenheit, Verschlossenheit und Bosheit in der Verwirklichung seines Heilsplans für die Welt vollkommen souverän: Auch den tiefsten Abgrund kann Gott noch in sein Heilswirken aufnehmen. Das ist eine Wahrheit voller Trost. So wird jetzt offenbar und wirklich, dass Gottes Heils- und Rettungswillen gerade mitten in der Nacht des Verrats seine erlösende Liebe zu dem äußersten Punkt gehen lässt, der sich am Kreuz vollendet und Ostern in den offenbaren Sieg der Liebe wandelt. Mitten in der Nacht des Verrats leuchtet wuchtig die Liebesherrlichkeit Gottes auf: „Nacht leuchtet wie der Tag“, heißt es im Psalm 139.
Glanz und Gewicht
Und so beginnt unser Evangelium – angesichts dieser Nacht des Verrats, in die Judas gerade hinausgegangen ist – mit der im ersten Augenblick fast befremdlich paradoxen Bemerkung, dass der – verratene! – Menschensohn verherrlicht sei und Gott in ihm und der Menschensohn sehr bald auch in Gott verherrlicht werde. Mitten in der Nacht des Verrats beginnt Gottes Herrlichkeit um sich zu greifen! Gerade hier ist sie präsent und beginnt wahrhaft und wirklich alles neu zu machen. Ihr erster Zielpunkt ist die Herrlichkeit Jesu, des Menschensohns, beim Vater, seine österliche Erhöhung, in der er für die Welt wieder verborgen ist, für seine Jünger aber im Geist neu gegenwärtig wird. So beginnt er die ganze Wirklichkeit – unter der Oberfläche der Sichtbarkeit, aber völlig real – zu sich zu ziehen und zu verwandeln.
Was aber bedeutet dieses biblische Grundwort „Herrlichkeit“ (gr. doxa, hebr. kabod)? Das hebräische kabod, das zugrunde liegt, ist gar nicht leicht zu fassen, wenn man neben seiner Standardübersetzung mit „Herrlichkeit“ seine Bedeutung aufschließen will. Versuchen wir es ein wenig!
Zunächst: Herrlichkeit umschreibt die Weise, wie Gottes Wirklichkeit präsent und dann vor allem für uns präsent und offenbar wird. Es ist also die Weise seiner Erscheinung und Offenbarung. Gottes offenbarende Präsenz ist aber einerseits wuchtig und machtvoll, überwältigend heilig und dann auch voller Licht und Glanz. Gottes Erscheinen überwältigt, wirft zu Boden, lässt den Menschen seine Nichtigkeit und seine absolute Unzulänglichkeit erfahren. Zugleich aber überwältigt auch die unermessliche, licht- und glanzvolle Schönheit seiner Erscheinung. Im Wort kabod stecken tatsächlich Schwere, Wucht, Gewicht wie auch Licht, Glanz, Schönheit. Herrlichkeit ist so etwas wie die Wucht des göttlichen Glanzes, wenn sich Gott sehen lässt.
Dann: Bei Johannes spielt dieses Wort „Herrlichkeit“, „verherrlichen“ eine zentrale Rolle. „Wir haben seine Herrlichkeit geschaut“ ist Leitwort des Johannesevangeliums. Zu seinem Höhepunkt kommt dieses Offenbarwerden der Herrlichkeit des fleischgewordenen Wortes nun gerade im österlichen Mysterium von Kreuz und Auferstehung. Und zwar gerade auch im Kreuz! Das Kreuz ist bei Johannes bereits Ort der Erhöhung und Verherrlichung, vom Kreuz aus werden die Heilsgaben der Sakramente und des Pneumas, das der sterbende Jesus „übergibt“, frei. Wenn man so will, findet bei Johannes die erste Stufe von Pfingsten, das Freiwerden des Heiligen Geistes, am Kreuz statt.
Angesichts der gewaltigen Brutalität dieser schrecklichsten Form von Hinrichtung bei den Römern ist das eine ziemliche Zumutung, ein Paradox: Vielleicht geradezu absurd? Nein, denn Johannes legt zugleich frei, was die innerste Mitte der Herrlichkeit Gottes ist: Es ist die Liebe, die bereit ist, sich kreuzigen zu lassen, den Tod der Verlorenheit im Fleisch zu sterben, um die Verlorenen zu retten. So wird für den Blick des Glaubens, der in Jesus die Liebe Gottes erkannt hat, die Passion Jesu vom Verrat bis zum Kreuz, das äußerlich eine brutale Hinrichtung bleibt, zum unüberbietbaren Höhepunkt der Offenbarung von Gottes Liebesherrlichkeit. Gottes Liebe lässt sich kreuzigen, um einen verlorenen Kosmos – und jeden Einzelnen darin – zu sich zurückzuziehen: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. Das sagte er, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben werde.“ (Joh 12,32 – hier sieht man übrigens sehr schön, wie Kreuz und Erhöhung in eins gesehen werden.)
Gemeinschaft der Liebe
Der erhöhte Jesus ist in gewisser Weise nun auch für seine Jünger verborgen, nicht mehr in der Unmittelbarkeit der Sichtbarkeit. Aber er tritt im Heiligen Geist, in dem anderen Parakleten, den Jesus verheißt, in eine neue Präsenz ein. Und das heißt auch: Seine Liebesherrlichkeit bleibt! Aus dieser bleibenden Präsenz heraus sind wir als Kirche zur Liebe ermächtigt und zur Liebe verpflichtet. So ist das neue Gebot uralt und doch tatsächlich ganz neu. Von der Schöpfung an hatte jede echte menschliche Liebe ihr Urbild in Gott. Die Tora (Lev 19,18) hatte die Liebe zum Nächsten geboten. Jetzt aber ist das Urbild der Liebe unter uns erschienen und bis zum Kreuz gegangen. Und darin ist auch das alte Gebot neu geworden. Wir können und sollen dieser neuen Logik der Liebe folgen und sie realisieren. Dann – sagt unser Evangelium – bleibt Gottes Liebesherrlichkeit in der Welt. Dann ist unsere Jüngerschaft erkennbar. Dann sind wir in der Nacht dieser Welt die leuchtende Stadt auf dem Berg, ja dann leuchtet Nacht wie der Tag.
Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Weitere Beiträge aus der Serie Fridays for FAITH:
Evangelium des ersten Fastensonntags
Evangelium des zweiten Fastensonntags
Evangelium des dritten Fastensonntags
Evangelium des vierten Fastensonntags
Evangelium des fünften Fastensonntags
Evangelium des 2. Sonntags der Osterzeit