Der Papstbrief an die vier Frauen und die Note des Staatssekretärs, Kardinal Parolin, haben die strategische Lage für die Protagonisten des Synodalen Wegs fundamental verändert. Alle Manipulations-, Beschwichtigungs- und Vertuschungsmöglichkeiten sind ausgereizt und wirkungslos geworden. Aber noch mehr ist in den letzten Tagen geschehen: Endlich wird die Stimme der deutschen Oppositionsbischöfe – noch verhalten, aber in der Sache deutlich – wieder öffentlich hörbar. Martin Brüske kommentiert.

Die Herde und die Stimme des Hirten

Wer schon einmal eine ziehende Herde mit ihrem Hirten beobachtet hat, der hat nicht nur ein Bild vor Augen, sondern eine Stimme im Ohr. Es braucht nicht nur den Hütehund, der virtuos die Herde umspielt, sondern es braucht ebenso das vertraute Rufen des Hirten, um die Herde gesammelt beieinander zu halten. Wenn Jesus, wie die Propheten Israels, das uralte altorientalische Königsbild des Hirten aufgreift, dann ist er ganz präzise bei der Sache, wenn er von der vertrauten Stimme des Hüters der Herde redet. Ohne die vertraute Stimme des Hirten ist die Herde in der Gefahr der Zerstreuung. Ihr fehlt dann der akustische Sammelpunkt.

Der römische Hirte lockt und mahnt – und lässt seine Hütehunde arbeiten

Nun, auf dem sogenannten „Synodalen Weg“ war die Stimme des römischen Hirten eigentlich seit 2019, seit dem Brief an das pilgernde (Herde unterwegs) Volk Gottes, permanent und deutlich zu hören. Lockend und werbend zunächst, wie es sich für den „guten Hirten“ gehört. (Manchen Hobbyhirten an der Seitenlinie war das alles von Anfang an viel zu sanft. Aber eine Herde in Aufregung sammelt man nicht durch Geschrei und Gefuchtel. Zumindest eine menschliche rennt dann erst recht auseinander.) Aus der Lockung wurde im Laufe der Zeit immer mehr Mahnung. Aber immer noch sanft, immer noch auf die (freiwillige, selbständige – weil menschliche) Reaktion der Herde auf die Stimme des Hirten ausgerichtet.

Verwirrung oder Feigheit?

Aber die Herde reagierte nicht. So verstärkte sich auch permanent der Einsatz der römischen Hütehunde (der Chefs der römischen Dikasterien), die der Herde ja sozusagen von außen eine dynamische Grenze setzen. Aber die zentrifugalen Kräfte, die Stur- und Taubheit der deutschen Herde ist kaum glaublich. Und die deutschen Hirten verweigern den Dienst. Entweder sie verstärkten in unverantwortlicher Weise die Fliehkräfte (die Protagonisten des Synodalen Weges) – oder sie schwiegen aus Verwirrung, Feigheit oder fehlgeleiteter Dialogbereitschaft, auch dort wo längst – ruhige! – Festigkeit gefragt gewesen wäre. Deshalb haben der römische Hirt und seine Hütehunde ihren Einsatz jetzt noch einmal enorm gesteigert. Immer noch ohne Geschrei und Gewalt. Aber nun in einer Deutlichkeit, die weder überhörbar noch manipulierbar ist. Ja, die Möglichkeiten von Verleugnung, Manipulation und Vertuschung der Wirklichkeit, die die Protagonisten des sogenannten „Synodalen Weges“ auf intensivste Weise genutzt haben, sind durch Brief und Note endgültig aufgebraucht. (Übrigens: Dass angesichts von Mithirten, die sich von Anfang an, systematisch und notorisch, die Ohren verstopfen, der römische Hirte an vier Frauen aus dem Gottesvolk postwendend schreibt – Frauen, die ihn hören wollen und offensichtlich seine Sorge teilen – ist weder Zufall oder einer Laune entsprungen, sondern schlicht eines: völlig natürlich und situationsgerecht.)

Ende der Manipulationen

Entsprechend hilflos fallen die Reaktionen des DBK-Vorsitzenden Bätzing und des Präsidiums des ZDK aus. Ihnen bleiben nur noch kindische Verleugnung (Bätzing: „Der Brief des Papstes ist nicht an mich gerichtet.“ Doch Herr Bätzing, der Papst hat ihn durch die Veröffentlichung sehr bewusst zum öffentlichen Dokument gemacht…) oder groteske Umdeutung der Situation (Söding, Stetter-Karp). Beide Reaktionsmuster haben sich bereits jetzt als unwirksam erwiesen. Sie sind gescheitert.

Merkwürdig indes ist, dass, anders als der gesamte Rest der interessierten Öffentlichkeit (egal ob man erleichtert seufzt oder mit den Zähnen knirscht), einzig die Mitglieder der Vollversammlung des ZDK sich weiter manipulieren lassen. Dort war offensichtlich noch nicht angekommen, dass die Ansage aus Rom in Brief und Note nichts an Deutlichkeit zu wünschen übriglässt: Rom bestimmt die Agenda. Und das ist nicht die des Synodalen Weges. Rom schließt verbindliche Inhalte der Lehre von jedweder Verhandlung aus. Und die in der Note ausdrücklich genannten sind ausdrücklich nicht die einzigen. Der Papst sagt klar und ohne Möglichkeit der Umdeutung, dass sich die Kirche in Deutschland vom Weg der Weltkirche wegbewegt. Vulgo: Die Einheit gefährdet und der Bruch – Fachausdruck „Schisma“ – eine reale Gefahr ist. Und der Synodale Ausschuss ist Teil dieser fatalen Bewegung – auch dies vom Papst direkt. Da gibt es nichts mehr, aber auch gar nichts mehr, zu deuteln.

Nur das ZDK lässt sich von seinem Präsidium vorführen

Gerade wenn ich ein Freund des Synodalen Weges wäre, hätte ich diese Situation nicht schweigend hingenommen, hätte eine Diskussion erzwungen über ein Gremium namens „Synodaler Ausschuss“, das nach den römischen Interventionen schlicht sinnlos wird – über dessen Satzung aber möglichst glatt abgestimmt werden sollte. Also wurde die Diskussion erst gar nicht geführt. Und das Präsidium spielte schließlich die Note in einer nur noch grotesk zu nennenden Weise runter: Dass bei der Note eine „Dynamik“ zwischen Papst und Staatssekretariat spiele, die die Hoffnung für die Fortsetzung des Synodalen Weges intakt erhalte, glaubt Irme Stetter-Karp natürlich selber nicht. Sie ist ja nicht dumm. Jedenfalls: Als Mitglied des ZDK hätte ich mich nicht so manipulieren lassen, gerade als Befürworter des Synodalen Wegs. Aber da war nur Schweigen im Walde. Das lässt nur einen Schluss zu: Entweder fehlt der Anstand zum Aufstand oder – noch viel schlimmer – der Bruch, das Schisma ist in den Köpfen und Herzen längst eingepreist.

Die Stimme deutscher Hirten ist wieder da

Aber noch eine weitere Wendung der Dinge hat die Situation in den letzten Tagen grundlegend verändert. Ich wage – anders als bei Note und Brief – noch nicht zu sagen: endgültig! Dazu ist das Pflänzchen noch zu zart und gefährdet. Bei aller großen Wertschätzung und allem Respekt vor einer wirklich herausfordernden Situation will ich es doch klar und deutlich benennen: Die Hirten der Opposition waren bislang – aus vielen einfühlbaren Gründen, aber in der Sache nicht gut – nicht sehr mutig und sie haben – und es tut mir weh, dies sagen zu müssen – nicht eben mit strategischem Weitblick agiert. Man wurde den Eindruck nicht los: Sie warten auf Rom. Ja, wäre man böswillig, könnte man sogar sagen: Sie ducken sich für die Wahrnehmung der Öffentlichkeit weg – und diese Wahrnehmung ist politisch und theologisch entscheidend. Denn Bischöfe sind bestellt nicht als stumme Hunde, sondern als öffentliche (!) Zeugen.

Nun aber haben zwei von ihnen – Stefan Oster und Kardinal Woelki – den Dissens öffentlich benannt. Die Stimme auch der deutschen Hirten wird wieder hörbar. Sie haben sich dazu auf ihr Gewissen berufen. (Ja, ein wenig mehr Luther wäre lange schon nötig gewesen: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen“.) Sie haben den theologischen Kontroversen ihr sachliches Gewicht gegeben, dass es sich eben nicht um Peanuts, sondern um Essentials handelt, die als solche die Gemeinschaft des Glaubens bedrohen. Sie haben den verweigerten Rechtsgehorsam im Blick auf Ausschuss und Rat – und damit in der Sache: den Rechtsbruch – ebenso deutlich ausgesprochen. Sie haben die manipulativen, geradezu anti-synodalen Seiten der Stationen des sogenannten Synodalen Weges klar benannt. Bischof Oster hat darüber hinaus einen wichtigen Punkt fokussiert: Die manipulative Vereinnahmung der Minderheitsbischöfe für den Ausschuss als Projekt der DBK. Denn eben das – ein Projekt der Bischofskonferenz als Institution – kann ein Gebilde nicht sein, das von einer qualifizierten Minderheit der Bischöfe dieser Konferenz und vom römischen Gesetzgeber in seiner primatialen Stellung in der beschlossenen Form rundweg abgelehnt und als einheitsgefährdend (siehe Brief des Papstes) qualifiziert wird. Oster liegt hier moralisch und rechtlich schlicht und ergreifend richtig.

Liebe Bischöfe, folgt dem guten Beispiel!

Für die neue Hörbarkeit wenigstens einiger der deutschen Oppositionsbischöfe bin ich unendlich dankbar. Mit dem Brief, der Note und dieser neuen Hörbarkeit wird von den Schultern vieler Gläubigen eine große Last genommen. Für viele war die Situation schwer zu ertragen, voller Not und Dunkelheit. Liebe Bischöfe, das sind viel mehr Menschen als der Eindruck zeigt, den der offiziöse Katholizismus erzeugt und erzeugen will. Lassen sie sich davon nicht manipulieren! Lassen sie nicht zu, dass die Kirche in Deutschland in der Selbstpulverisierung endet! Dazu braucht es die öffentliche Wahrnehmbarkeit Ihrer Stimme. Sie sind als öffentliche Zeugen des Evangeliums bestellt. Denn ohne Ihre Stimme kann sich die Herde nicht sammeln.


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.


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