Mitten im deutschen Herbst deutet sich weltweit ein neuer Frühling der Katholischen Kirche an. Aber nicht alle können sich freuen. Statt einzuschwingen in die Dynamik einer geistlichen Erneuerung, wird Papst Leo schlechtgemacht und miese Stimmung verbreitet. Bernhard Meuser analysiert eine Kirche, die nicht tanzen will und sich der Freude verweigert.
Kirche zwischen Aufbruch und Selbstblockade
Die christliche Welt ist in Bewegung. Es riecht nach Veränderung. Die einen sagen: Es geht zu Ende. Die anderen sagen: Ganz im Gegenteil: Wir stehen vor einer weltweiten Erweckung. Mir geht es um die Frage: Wie geht das kirchliche „Establishment“ mit diesem Wandel um? Was meine ich mit „Establishment“? Mir fällt gerade kein besserer Begriff für jene Gruppe der selbstgewissen Professionals, der Beamteten und Besoldeten im Raum der Kirche ein, die sich seit über fünfzig Jahren in gemütlicher Distanz zum Lehramt der Kirche eingerichtet haben und sich die Meckerecke bezahlen lassen. Wenn man den Kreis weit genug zieht, sind nicht nur Hirten im engeren Sinn gemeint; zu denken ist auch an Angestellte, Büros, Leitungen der Verbände, Meinungsmacher, theologische Lehranstalten, kircheneigene Medien usw. Was, wenn diese, tendenziell eher auf Niedergang, Abbruch, Schuldzuweisung und Resteverteilung eingestellte Bärenfellcommunity es plötzlich mit neuen Anfängen zu tun bekäme, die nicht auf ihrem Mist gewachsen sind? Warum fällt mir dann der Begriff der Obstruktion ein? Ich will das gerne erläutern. Zuvor aber will ich sagen, warum ich das Wort so treffend finde.
Die gefährdeten Herzkranzgefäße der Kirche
Was „Obstruktion“ ist, wissen die Mediziner, – vor allem diejenigen, die sich mit Adern und Lymphbahnen befassen. Wenn Blut oder Lymphe nicht mehr fließen kann, liegt das oft an einer Blockade, Verengung oder Verstopfung von Adern, Kanälen oder ganzen Systemen von Versorgungsbahnen. Da spricht man von einer „Obstruktion“. Wenn es sich nicht nur um Krampfadern, sondern um den Verschluss der Herzkranzgefäße handelt, kann daraus ein Infarkt entstehen, der im schlimmsten Fall den Kollaps des gesamten Organismus bewirkt.
Nun ist auch die Kirche ein Leib, der darauf angewiesen ist, dass „es“ fließt. Auch in der Kirche gibt es Obstruktionen, nämlich Flussblockaden, die verhindern, dass der „Strom, das Wassers des Lebens, klar wie Kristall“, der „vom Thron Gottes und des Lammes“ (Offb 22,1) durch die Adern der Kirche pulsiert, fließt. Gemeint ist nicht der Flow im Team; was da fließt, wenn „es“ fließt, ist der Heilige Geist. Zu ihm rufen wir in der Pfingstsequenz:
„Was befleckt ist, wasche rein, Dürrem gieße Leben ein, heile du, wo Krankheit quält. Wärme du, was kalt und hart, löse, was in sich erstarrt …“
In einem schönen Heilig-Geist-Gebet heißt es:
„Sei du das Leben, das ich fühle, sei die Sehnsucht, die mich zieht. Sei du das Feuer, das in mir brennt und das Blut, das in mir fließt.“
Was sind die Herzkranzgefäße der Kirche? Es sind die „Früchte des Heiligen Geistes“, – der Kranz von Gefäßen, die Paulus in Gal 5,22-23 aufzählt:
„Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“
Es sind Gefäße, in denen der Geist aufblühen kann. Diese Gefäße können verstopft oder verkalkt sein. Wo Liebe blockiert oder verlacht wird, wo Freude nicht fließen kann, wo sich Friede und Versöhnung nicht ereignen dürfen, wo die Freundlichkeit versagt wird … dort ist der Geist der Obstruktion in die Kirche eingezogen. Hier wird nicht bloß miese Stimmung verbreitet. Hier wird der Zugang zum Herzen aller Dinge, zu Gott, verbarrikadiert.
Es geschieht etwas Abgründiges, bis hin zur Sünde aller Sünden, der „Sünde wider den Heiligen Geist“ (Mt 12,31-32). Damit ist die bewusste Verhinderung von Gnade, das Aussperren des Heiligen Geistes, die radikale Verkapselung christlicher Subjekte oder Gemeinschaften gemeint. Diese Sünde, sagte der hl. Bonaventura (1221-1274), ist unverzeihlich, „nicht, weil sie nicht vergeben werden könnte, sondern weil diese Sünde sich direkt gegen das Heilmittel richtet, durch das Sünden vergeben werden.“
Hemmen, Erschweren, Blockieren
Aber nicht nur die Mediziner, auch die Juristen kennen den Begriff der Obstruktion; sie verstehen darunter „das vorsätzliche, rechtswidrige Hemmen, Erschweren oder Blockieren von Tätigkeiten, Prozessen oder Entscheidungen.“ (Juraforum) Der Begriff findet Anwendung im Strafrecht, wo es um aktive oder passive Strafvereitelung geht. Wer denkt da nicht an die systemische Vertuschung in der Kirche, den eigentlichen Skandal im Missbrauchsskandal. Die Verfasser von „Juraforum“ hatten gewiss nicht an die „Brüder im Nebel“ gedacht, als sie als Beispiel für obstruktives Verhalten den „Mitarbeiter einer Behörde“ anführten, „der seine Vorgesetzten bei der Aufklärung eines Fehlverhaltens eines Kollegen behindert. Um dies zu erreichen, vernichtet er beispielsweise wichtige Unterlagen oder leitet Informationen nicht weiter.“ Nun hat auch die Katholische Kirche ein Recht und dessen Kodifizierung in einem Gesetzbuch. 2021 hat die Kirche im Kontext der Missbrauchskrise ihr Strafrecht noch einmal verschärft. Danach ist es kirchlichen Verantwortungsträgern in keinem Fall mehr freigestellt, ob sie erwiesene Vergehen bestrafen oder nicht.
Schon das normale Beamtenrecht kennt die „Dienstverweigerung“. Gemeint ist das „vorsätzliche und rechtswidrige Unterlassen von Diensthandlungen, die zur Erfüllung des Aufgabenbereichs gehören.“ Nun ist die Kirche zwar keine Behörde, aber sie ist eine Gemeinschaft, in der „Dienst“ alles ist, – und zwar ein Dienst, der von Innen her im Glaubensgehorsam gründet. Damit ist gemeint: wer zu Jesus gehört, ordnet seinen eigenen Willen aus Liebe, in Freiheit und ohne Bedingungen zu stellen unter den Glauben und die Gebote Gottes unter. Soll das nicht zähneknirschend geschehen, braucht es den spirituellen Flow (siehe oben), und vor allen anderen Früchten des Heiligen Geistes: die Freude. Um wie viel mehr gilt das für diejenigen, die der Herr dazu bestimmt hat, „für den Aufbau des Leibes Christi“ zu sorgen, “bis wir alle zur Einheit im Glauben und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen.“ (Eph 4,12-13) Erleben wir das gerade in der Kirche in unserem Land? Oder ist die reale Wahrnehmung nicht näher an Jer 23,2: „Ihr habt meine Schafe zerstreut und sie versprengt und habt euch nicht um sie gekümmert.“? Muss man die Bischöfe beim Namen nennen, die ihrer eigenen Agenda folgen, sich um die Einheit mit der Universalkirche keinen Deut scheren, den Primat des Papstes unterminieren, sich gar als willfährige Erfüllungsgehilfen antichambrierender Lobbygruppen erweisen?
„Von Verwaltern aber verlangt man, dass sie sich als treu erweisen.“ (1 Kor 4,2)
Freunde, Ihr macht die Kirche schwer!
Ich schreibe das, weil mir die Rede Jesu in Mt 11,16-17 in den Sinn kommt, wenn ich an die Katholische Kirche in Deutschland denke:
„Mit wem soll ich diese Generation vergleichen? Sie gleicht Kindern, die auf den Marktplätzen sitzen und anderen zurufen: Wir haben für euch auf der Flöte gespielt und ihr habt nicht getanzt; wir haben die Totenklage angestimmt und ihr habt euch nicht an die Brust geschlagen.“
Gerade kommt Bewegung in die Kirche, die Zahlen junger Menschen, die sich taufen lassen, schnellen hoch; andere konvertieren. In vielen Ländern nimmt der Gottesdienstbesuch (gerade unter jüngeren Leuten) zu. Das Salzburger Pfingstfestival multipliziert sich von alleine. Ereignisse wie der Weltjugendtag in Rom (bis zu 1 Mio Teilnehmer) strahlen weltweit das Bild einer vitalen Kirche aus. 70.000 Jugendliche und 600 Priester fahren im August nach Medjugorje und berichten von Bekehrungen. Die Mehr-Konferenzen werden zu Magneten für eine neue Generation von Gläubigen. Wir haben einen Papst, der in seiner ruhigen und ausgleichenden Art wie Balsam für eine verwundete Kirche ist. Die 24/7-Bewegung zieht immer weitere Kreise. Immer mehr Gemeinden bauen über Divine Renovation mit Erfolg ihre Gemeinden um. Alpha macht Millionen von Menschen eine Tür zu Jesus auf. Im Allgäu ereignet sich eine faszinierende Erweckung, die immer weitere Kreise um den eucharistisch gegenwärtigen Herrn versammelt. Und ein vergleichsweise kleines Ereignis wie die Adoratio in Altötting zieht von Mal zu Mal mehr Menschen an.
Aber ein bestimmtes katholisches Milieu in Deutschland tanzt nicht. Steht daneben, mäkelt, schwingt nicht ein. Beharrt säuerlich auf einer abgesungenen Reformmelodie, die niemand mehr hören mag. Lästert über die neuen Frommen, die Jesus in die Mitte stellen und die Anbetung entdecken. Macht den neuen Papst madig („… ein Leichtmatrose auf schlingerndem Kirchenschiff“). Umgibt sich mit falschen Freunden. Stellt Lebensschützer in die rechte Ecke.
Der Geist der Obstruktion bringt uns keinen Schritt weiter in der Kirche. Er hemmt die Freude. Blockiert die Mission. Beschädigt das Evangelium. Stößt die Menschen ab. Wann kehrt die Freude wieder überall in die Kirche ein? Die Freude, die – um nur ein Beispiel zu nennen – in Altötting mit Händen zu greifen war.
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral. Bernhard Meuser ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.