Wer aus irgendeinem Grund frustriert und enttäuscht über sein eigenes Christsein ist oder wer (sein eigenes) Christsein besser verstehen möchte, dem ist diese Kurzkatechese von Helmut Müller empfohlen. Nach seinem Text “Europa neu anfangen” lädt er ein, das Christsein neu anzufangen. Lesen Sie die Erläuterungen um das Geschehen in der Mitte der Zeit – das ist die Geburt, der Tod und die Auferstehung des Mannes aus Nazareth, um das “davor” und “danach” besser verstehen zu können. Denn: Christsein lebt aus dieser Mitte der Zeit heraus.
Adam sagt von Eva: “Sie war das Paradies…”
Deus caritas est – Gott ist die Liebe. Das I. Vaticanum dekretiert: Deus in se et ex se beatissimus est – Gott ist in sich und aus sich ganz glücklich. Warum in aller Welt hat er sich damit nicht zufrieden gegeben, könnte man fragen. Warum hat er uns geschaffen, uns in den Umkreis seines Liebens hinein genommen, wovon wir manchmal wenig spüren? Wir wissen es nicht. Christen glauben – anscheinend wider alle Vernunft – dass er sich so als Liebender offenbart hat. Und sie glauben auch an eine lange Vorgeschichte, nicht nur sprichwörtlich angefangen bei Adam und Eva.
Der erste Mensch, Adam – ein Erdling – so die Bedeutung seines Namens, musste zunächst einmal begreifen, dass er „Zweie“ ist. Als Adam und Eva haben sie dann begonnen sich zu erkennen. Er und sie haben, so wie es in den ersten Kapiteln des Buches Genesis heißt, das Paradies als Leben in Fülle genießen können. Mark Twain, der große Erzähler, lässt Adam am Grab von Eva sagen: “Sie war das Paradies.” Und wenn es umgekehrt gewesen wäre, hätte hoffentlich auch Eva gesagt: “Er war das Paradies.” Aber wie gesagt, das ist Literatur – gute Literatur. In einem schlechten Witz ist mir neulich zu Ohren gekommen, es wäre ein Mann in den Hafen der Ehe eingelaufen und hätte nicht gewusst, dass da ein Kriegsschiff vor Anker liegt. Das könnte „frau“ auch umgekehrt erzählen.
…liegt im Hafen der Ehe etwa ein Kriegsschiff vor Anker?
Ob das nun ein schlechter oder guter Witz ist, es ist was dran. Weil das damals und auch heute verständlich erscheint, hat gleich das folgende 3. Genesiskapitel schon versucht, eine Antwort zu geben, warum wir – wieder sprichwörtlich – jenseits von Eden leben. Die Bibel beginnt mit diesen Geschichten. All das sei „im Anfang“ – der Zeit überhaupt – gewesen. Wie aus dieser Zeit Geschichte geworden ist, bleibt im Dunkel des Rätsels. Auch die Wissenschaften wissen nichts Genaueres, wie das mit uns Menschen begonnen hat. Waren es zwei Exemplare von Proconsul africanus oder zwei von Homo erectus, oder einer Menschengattung, deren Überreste noch gar nicht gefunden wurden? Das liegt alles in archaischem Dunkel.
Die Religionsphilosophen meinen, dass sich irgendwann Menschen Gedanken gemacht haben, dass der Himmel bzw. die Erde nicht leer von Geistern, Göttern und Gespenstern sei und billigten diesen eine Macht über sich zu. Die Theologen Israels gehörten zu den ersten, die der Auffassung waren, Gott wäre ein einziger und hätte sich selbst bei uns „gemeldet“ – offenbart, wie es heißt. Er habe die Sehnsucht Israels erfüllt, indem er am Anfang seiner Geschichte einen Bund, ein vertikales asymmetrisches Bündnis mit ihnen geschlossen habe: der Schöpfer mit seinem Geschöpf.
Gebrauchsanweisungen für das Paradies
Das ging in einer der Geschichten und auch folgenden sehr bald schief, weil die ersten Menschen die Mini-Gebrauchsanweisung für das Paradies – das Leben in Fülle – nicht beachtet hätten. Ab da ging es dann drunter und drüber. In einer ihrer anderen Geschichten hätte es Gott dann leid getan und er hätte eine zweite Gebrauchsanweisung auf dem Berg Sinai für das Leben in Fülle herausgegeben. Dieses Mal komplexer, weil er das Durcheinander, das es nach der Nichtbeachtung der ersten Gebrauchsanweisung gab, nicht beseitigt hatte. Das waren dann zehn Anweisungen, um in allem Drunter und Drüber doch wenigstens ansatzweise ein Leben in Fülle führen zu können.
Es ist aber nicht besser geworden mit der ersten Liebe Gottes – dem Volk Israel. Wie reagiert er, wie wirbt er um seine erste ständig untreue Liebe? Er schickt Propheten, die dem Volk beibringen sollen, die quasi Heiratsurkunde am Berg Sinai seien keine Vorschriften, sondern Ratschläge, die zu beherzigen sind, und nicht bloß – wenn sie die alten Preußen gekannt hätten – nur akribisch beachtet und als erledigt verbucht werden sollten. Zur Zeit Jesu waren daraus dann schon ein paar hundert Gebote und Verbote geworden. Auch das schlug also fehl.
Gott macht die Liebe zur Chefsache
Da machte Gott seine Liebe zur Chefsache: Er kam im Schoß einer Frau als Mann zur Welt – beide Geschlechter gleichwertig, aber asymmetrisch in seinen geplanten Heilsweg einbeziehend. Er bereiste seine Schöpfung nicht bloß touristisch – wie etwa ein griechischer Gott es getan hätte – sondern kam in einem Schafstall auf die Welt und machte als Migrantenkind weiter. Wohl 30 Jahre lebte er als Bauhandwerker. Ein oder drei Jahre lang – die neutestamentlichen Quellen sind sich nicht einig – machte er den Mund auf, sagte und lebte vor, wie dieses Leben auf lange Sicht glücken kann. Dann schlug man ihn ans Kreuz, dem Galgen der Antike. Michelangelo hat in seiner Pietà das offensichtliche Scheitern dieses Projekt künstlerisch unüberbietbar dargestellt: Ein toter Mann – der Sohn – im Schoß einer trauernden Frau – der Mutter – die ihm im gleichen Schoß das Leben geschenkt hatte.
Asymmetrien des Heils und Unheils
Aber nein! Das war kein Scheitern. Denn danach geschah das Unglaubliche, an das Christen glauben. Weil es so unglaublich war, ist es die größte Hürde, die kritische Einsteiger überwinden müssen. Der Gottessohn blieb nicht im Grab, in das man ihn gelegt hatte. Christen glauben nämlich, dass er nicht bloß in den Köpfen seiner Jünger und den Herzen der ersten Auferstehungszeuginnen auferstanden ist, sondern historisch, faktisch, nicht als Gespenst, sondern in Fleisch und Blut „gesehen wurde“ – so das älteste Zeugnis. Die Geschichte, die mit Adam und Eva schon asymmetrisch begonnen hat, endet nicht in der Asymmetrie des Leids der Pietà in Tod und Trauer. Ihr wird eine Asymmetrie des Heils entgegengesetzt. Gott selbst hat sich der irdischen Brüchigkeit ausgesetzt, indem er, wie wir, im Schoß einer Frau das Licht der Welt erblickt hat. Und er hat auch schließlich in einem Grab das Leben mit dem Tod bezahlt, so wie alle Menschen. In der Asymmetrie des Heils werden aber alle, die der Brüchigkeit irdischen Lebens ausgesetzt sind, hineingenommen in die unverbrüchliche Liebe dessen, der Liebe in sich ist. Die Alternative hat Heidegger, der keine Mitte der Zeit kennt, sondern nur ihr Ende – und das ist der Tod, in Sein und Zeit benannt: Hinaushängen ins Nichts.
Wir sind keine Solisten, sondern Gefährten
Was war jetzt das Neue, da es ja Leid weiterhin gibt? Er, der mit uns das Drunter und Drüber des Lebens geteilt hat, gab eine neue Gebrauchsanweisung für das Leben in Fülle. Jeder einzelne konnte durch Abkehr und Umkehr von versklavenden Bedingungen in ein persönliches Liebesbündnis mit Gott – in der Weise wie Maria ihrem Sohn zugewandt war und er ihr – eintreten; nicht als Solist, sondern mit einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die er sich ausgesucht hatte und die ihm folgten. Und in diese Nachfolge sollten sich alle Christen auch begeben.
Empfehlung: Wer sich jetzt doch mehr Zeit nehmen möchte, schaue sich die Verlinkungen an,
- lese die Narnia-Chroniken von C. S. Lewis oder
- den Herrn der Ringe von Tolkien, die beide die Mitte der Zeit als Ausgangspunkt nahmen und das vor und das danach nicht in 5 Minuten, sondern in einem wahren Lesevergnügen ungleich länger bebildern.
- Man kann natürlich auch den Katechismus der katholischen Kirche lesen, der übrigens wärmstens von dem evangelischen Systematiker Heinrich Assel (Greifswald) empfohlen wurde
- oder last not least der Youcat, am besten zum Kennenlernen über young missio, zum Mittun, leben, glauben, lieben und beten.
Dr. phil. Helmut Müller
Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag
Foto: midjourney