Kardinal Walter Kasper erklärt in seinem Vortrag zum Online-Studientag von Neuer Anfang, warum die aktuellen Selbstverpflichtungen der Bischöfe auf Verzicht der Anwendung von Kirchenrecht nur ein „fauler Trick“ sind, der einem kollektiven Rücktritt der Bischöfe gleichkäme und warum Synoden nur außerordentliche Unterbrechungen sein können und keine synodalen Kirchenregierungen.
1. Die Kirche braucht Erneuerung und Reform
Das Thema, um das es im Folgenden geht, liegt mir persönlich am Herzen. Es geht um wahre und falsche Reform. Es begleitete mich durch meine ganze Lebensgeschichte. Ich bin als Gymnasiast nach dem II. Weltkrieg mitten in der damaligen Reformdebatte groß geworden. Wie viele Altersgenossen hat auch mich ein Wort von Romano Guardini geprägt, das dieser schon nach dem I. Weltkrieg 1922, also vor genau 100 Jahren formuliert hatte, und das nun nach der Katastrophe des Dritten Reichs und des II. Weltkrieges neu aktuell wurde: „Ein religiöser Vorgang von unabsehbarer Tragweite hat eingesetzt: Die Kirche erwacht in den Seelen.“
Das würde heute kaum jemand wiederholen. Heute gilt eher: Die Kirche stirbt in vielen Seelen. Doch damals nach dem Ende des Krieges, als Deutschland nicht nur physisch, sondern auch moralisch in Trümmern lag, war die Zeit der Nachblüte der kirchlichen Jugendbewegung zwischen den beiden Weltkriegen; es war die Zeit der liturgischen Bewegung und der Bibelbewegung. Uns prägte – und es prägt mich noch – das Leitwort von der neuen Lebensgestaltung in Christus. Es ging uns um eine Erneuerung der Kirche von Jesus Christus her.
In den Vorlesungen hörten wir mit Interesse von Erneuerungsbewegungen in Frankreich, das sich bereits damals als Missionsland definierte und mit der Mission de France und der Mission de Paris gegenzusteuern versuchte. Der damalige Erzbischof von Paris, Kardinal Suhard, schrieb 1947 den berühmt gewordenen, geradezu prophetischen Pastoralbrief: Essor ou déclin de l’Église, Aufbruch oder Niedergang der Kirche. Er könnte ihn heute, 75 Jahre später, fast ebenso schreiben, er wäre heute so aktuell wie damals.
Aufbruchsstimmung und Reformbegeisterung 1959
So waren wir innerlich vorbereitet, als wir am 25. Januar 1959 bei den Abendnachrichten völlig unerwartet hörten, Papst Johannes XXIII habe an diesem Tag in St. Paul vor den Mauern in Rom die Einberufung eines ökumenischen Konzils angekündigt und gleichzeitig eine römische Synode als auch eine Reform des Kirchenrechtes. Das schlug ein wie eine Bombe. Die Aufbruchstimmung und die Reformbegeisterung von damals kann man heutigen Jugendlichen kaum mehr vermitteln und noch weniger verständlich machen. Mich prägt sie bis heute, und ich wüsste nicht, wie ich ohne diese frühen, positiven Erfahrungen heil durch die gegenwärtige Krise käme.
Das II. Vatikanische Konzil (1962-65) war ein Aufbruch. Mit Liturgiereform, der Neuentdeckung der Bedeutung des Wortes Gottes, einer erneuerten Sicht der Kirche und ihres Verhältnisses zur modernen Welt. Mit dem Ja zur Religionsfreiheit, zum ökumenischem Aufbruch, zur Versöhnung mit dem jüdischen Volk. Das alles waren Jahrhundertereignisse. Es ist darum schlicht falsch, wenn ich heute höre, die Katholische Kirche sei nicht reformfähig. Keine andere Kirche hat im 20. Jahrhundert eine vergleichbare Reform vorgelegt, wie es die Katholische Kirche getan hat.
Selbst ein flüchtiger Blick in Kirchengeschichte zeigt: Sie ist eine einzige Reform- und Erneuerungsgeschichte. Der Satz Ecclesia semper reformanda, d.h. die Kirche ist immer reform- und erneuerungsbedürftig, beschreibt die Wirklichkeit von fast 2000 Jahren Kirchengeschichte. Deshalb hat uns das letzte Konzil diesen Grundsatz gleich mehrfach ins Stammbuch geschrieben. Ausdrücklich sagt das Konzil: „Sie (die Kirche) ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung“ (LG 8; vgl. UR 4; GS 21; 43; AG 37).
Die Kirche ist also keine versteinerte, starre Institution, sondern vielmehr das wandernde Gottesvolk, das in der Geschichte bußfertig und umkehrbereit unterwegs ist.
2. Wahre und falsche Reform unterscheiden.
Doch nun die Frage: Was bedeutet Erneuerung? Was bedeutet Reform? Es ist wichtig, gleich von Anfang an zu sagen: Erneuerung ist nicht Neuerung. Erneuerung meint nicht eben einmal etwas Neues ausprobieren und eine neue Kirche zu erfinden. Erneuerung meint vielmehr, wie schon im Alten Testament verheißen, sich vom Geist Gottes neu zu machen und sich ein neues Herz schenken zu lassen (Ez 36,26 f).
Genau das meint auch Reform. Reform bedeutet, die Kirche wieder in Form zu bringen – in die Form, die Jesus Christus gewollt und die er der Kirche gegeben hat. Jesus Christus ist der Grundstein, einen anderen kann niemand legen (1 Kor 3,10 f) und er ist zugleich der Schlussstein, der alles zusammenhält (Eph 2,20). Er ist der Maßstab, das A und O jeder Erneuerung.
Kirchenreform macht die Kirche nich zu einer Verfügungsmasse, die man situationskonform jeweils neu kneten und gestalten kann. Wahrer Reform geht es nicht darum, möglichst zeitgemäß zu sein, sondern darum, möglichst Christus-gemäß zu sein. Schon die Würzburger Synode (1971-75) formulierte:
„Die Krise des kirchlichen Lebens beruht letztlich nicht auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber unserem modernen Leben und Lebensgefühl, sondern auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber dem, in dem unsere Hoffnung wurzelt, …Jesus Christus mit seiner Botschaft vom Reich Gottes“ (Unsere Hoffnung II,3).
Die Identität der Kirche ist uns in Jesus Christus in allen Zeiten und für alle Zeiten vorgegeben. Er ist gestern, heute und in Ewigkeit derselbe (Hebr 13,8).
Wenn wir von Jesus Christus sprechen, dann meinen wir nicht den sogenannten historischen Jesus. Wir meinen den in den Himmel erhöhten, den lebendigen Herrn Jesus Christus. Der historische Jesus ist ein Konstrukt, das wir mit Hilfe unserer heutigen, historischen Methoden aus den historischen Quellen rekonstruieren. Was dabei herauskommt ist, wie Albert Schweitzer in seinem berühmten Werk über die historische Jesusforschung sagte, meist der Herren eigener Geist.
Jesus hat uns bei seinem Weggang aus dieser Welt kein Buch und keinen Kodex hinterlassen, aus dem wir herausklauben sollen, was Jesus wollte und sagte. Er hat uns den Hl. Geist, den Geist, den Geist der Wahrheit verheißen, der uns an alles erinnert, was er gesagt und getan hat und der uns in alle Wahrheit einführt (Joh 14,16; 15,26; 16,13). Das letzte Buch der Bibel, die Apokalypse bzw. die Geheime Offenbarung des Johannes, hält uns darum als Vermächtnis für die Zukunft insgesamt sechs Mal an, zu hören, was der Geist den Gemeinden sagt (Offb 2,7 u.a.).
Keine ideologischen Antworten nach Mehrheitsabstimmungen
Eine Synode ist die Unterbrechung der normalen Geschäfte der Kirche, um sich Zeit zu nehmen, um gemeinsam zu hören und sich darüber auszutauschen, was der Geist uns heute zu sagen hat. Genauer, was er uns über die Korrekturen sagt, die wir vornehmen müssen, und über die Richtung, welche wir einschlagen sollen. Auf diese Fragen kann es keine ideologisch vorgegebenen Antworten geben, die man durch Mehrheitsabstimmungen durchsetzt. Das Ergebnis muss vielmehr im gemeinsamen Hören und Beten und im aufmerksamen Gespräch miteinander wachsen und reifen.
Synoden sind ein geistliches Ereignis. Sie waren in der Geschichte ein liturgisches Ereignis, bei dem zu Beginn das Evangeliar feierlich inthronisiert und im Hymnus „Komm Schöpfer Geist“ der Hl. Geist angerufen wird. Das im Hl. Geist heutig ausgelegte Evangelium Jesu Christi soll den Vorsitz haben; es soll der Maßstab sein, an dem sich alle orientieren, um die Kirche neu in Form zu bringen.
Außerordentliche Unterbrechung statt Dauerinstitution
Die Synode ist demnach eine außerordentliche Unterbrechung. Synoden lassen sich nicht institutionell auf Dauer stellen. Die Tradition der Kirche kennt keine synodale Kirchenregierung. Ein synodaler, oberster Rat, wie er jetzt in Aussicht genommen wird, hat in der gesamten Verfassungsgeschichte keinerlei Anhalt. Er wäre keine Erneuerung, sondern eine unerhörte Neuerung.
Nicht ein Theologe, sondern ein Politologe hat das kürzlich etwas boshaft ausgedrückt, indem er einen solchen Synodalen Rat, als einen Obersten Sowjet bezeichnet hat. Sowjet ist ein altrussisches Wort, das genau das meint, was wir in deutscher Sprache als Rat bezeichnen. Ein solcher Oberster Sowjet in der Kirche wäre offensichtlich keine gute Idee. Ein solches Rätesystem ist keine christliche, sondern eine aus ganz anderem Geist oder Ungeist kommende Idee. Es würde die Freiheit des Geistes, der weht, wo und wann er will, abwürgen und die Struktur zerstören, die Christus für seine Kirche gewollt hat.
3. Evangelische Kriterien der Erneuerung und Reform
Nun zur dritten Frage: Wie können wir wissen, was das Evangelium uns heute sagt? Die exegetische Forschung ist dafür zweifellos wichtig, aber sie ist sich in vielen Fällen nicht einig, sondern vielstimmig. Die Theologie hat zur Antwort auf diese Frage die Lehre von den loci theologici entwickelt, d.h. die Lehre von den Fundstellen. Heute sagen wir, die Lehre von den Bezeugungsinstanzen des Evangeliums.
Diese findet sich schon bei den Kirchenvätern und bei den mittelalterlichen Theologen; systematisch entfaltet wurde sie erstmals von Melchior Cano (16. Jh.), der im übrigen ein strenger Thomist war und allen Neuerungen zutiefst abhold war. Er hat 10 solcher Fundorte aufgezählt, sieben eigentlichen (loci proprii) (Hl. Schrift, apostolische Tradition, Konzilien u.a.) und 3 fremde (loci alieni) (menschliche Vernunft, Philosophie, Geschichte).
Wider die kirchliche Demenz
Diese Lehre ist wichtig, weil sie uns sagt: Wenn wir das Evangelium einmütig auslegen wollen, dann genügt nicht eine Einmütigkeit, die wir heute untereinander finden, es bedarf auch einer Einmütigkeit mit dem Glauben früherer Zeiten der Kirche. In der theologischen Fachsprache redet man von einer synchronen Einmütigkeit heute und zugleich von einer diachronen Einmütigkeit mit der Tradition. Wir dürfen nicht geschichtsvergessen sein und meinen, an einem Nullpunkt neu anfangen zu können.
Solche Geschichtsvergessenheit ist eine der schlimmsten Krankheiten, mit denen ein Mensch geschlagen sein kann; wie nennen sie Demenz. Auch als Kirche dürfen wir nicht dement werden und unsere Identität verlieren. Wir dürfen aus dem Glauben schöpfen, in dem in der Vergangenheit unzählige Menschen gelebt und auch gestorben sind. Aus dem Glauben vieler heiliger Frauen und Männer, vieler Märtyrer und Märtyrerinnen.
Die Ursünde des Synodalen Weges
Es ist es darum gut, dass der Synodale Weg an diese Lehre erinnert und sie aufgegriffen hat. Es ist aber fatal, dass er dabei einer falschen Interpretation aufgesessen ist, die meint, dass die loci alienei gleichgestellt sind mit den loci proprii. Das ist schon vom Wortgebrauch her abwegig und völlig verkehrt, wenn menschliche Gesichtspunkte dem Evangelium gleichgestellt werden. Eine solche Gleichstellung bedeutet eine tektonische Verschiebung in den Grundfesten der Theologie, die dann notwendig zu einem kirchlichen Erdbeben führen muss.
Wenn man die kritischen Einwände anderer Bischofskonferenzen zu unserem Synodalen Weg liest, dann geht es in der Sache genau um diesen Punkt, nämlich um den Vorwurf, dass unsere Texte in manchem nicht dem Evangelium, sondern unserer vermeintlichen, menschlichen Weisheit folgen. Der Synodale Weg täte gut, diesen Einwand ernst zu nehmen.
Es ist die Ursünde des Synodalen Wegs, dass er gleich am Anfang den Brief des Papstes und sein Vorschlag vom Evangelium und vom Grundauftrag der Evangelisierung auszugehen, mehr oder weniger zur Seite gelegt hat, und einen eigenen Weg mit teilweise anderen Kriterien eingeschlagen hat. Dieser Einwand wird sich wiederholen und sich verstärken und er wird, wenn wir ihn nicht beachten, dem Synodalen Weg das Genick brechen.
Es genügt nicht, den guten Willen zu bezeugen. Ihn bestreite ich niemandem. Doch gut gemeint ist oft das Gegenteil von richtig. Es geht um die Wahrheit des Evangeliums. Es geht darum, in der Spur des Evangeliums zu bleiben. Genau das hat jeder Bischof bei seiner Bischofsweihe öffentlich versprochen. Darüber werden wir einmal Rechenschaft abgeben müssen. Dabei werden wir mit rein taktischen Gesichtspunkten nicht durchkommen. Ich habe nicht über andere zu urteilen; ich kann nur sagen, dass ich nicht sehen kann, wie ich beim letzten Gericht einzelne, schon beschlossene Aussagen, als mit dem Evangelium vereinbar vertreten könnte.
4. Offene Grundstruktur einer Synode
Damit stehen wir am vierten Punkt. Nachdem wir von den Kriterien gesprochen haben, müssen wir auf die Struktur der Synode zu sprechen kommen, so wie sie Jesus Christus für die Kirche gewollt hat. Der irdische Jesus hat keine hierarchischen Ämter eingerichtet, er hat den Hl. Geist verheißen und der ist an Pfingsten auf alle herabgekommen: auf Frauen und Männer, auf Junge und Alte, auf Sklaven und Mägde, Juden und Heiden (Joel 3,1-5; Apg 2,17 f). Pfingsten ist sozusagen die Geburtsstunde der Kirche.
Die soziologischen, kulturellen und nationalen Unterschiede spielen keine Rolle; alle Christen haben die gleiche Würde. Doch jeder hat sein Charisma, seine Aufgabe, sein Amt (1 Kor 7,7). So, wie der menschliche Leib unterschiedliche Glieder mit unterschiedlichen Funktionen hat, die aufeinander angewiesen sind und einander brauchen, so ist auch die Kirche (1 Kor 12). Nicht jeder und nicht alle können alles – alles können nur alle zusammen.
Diese Verfasstheit als communio, als gemeinsame Teilhabe an dem einen Geist, kam im sogenannten Apostelkonzil von Jerusalem zum Ausdruck (Apg 15). Es ist sozusagen der Urtyp einer Synode als Weggemeinschaft der Kirche. Die Apostel Petrus, Jakobus und Paulus hatten dabei ihre besondere Rolle, beteiligt war aber die ganze Gemeinde. Alle haben zu der abschließenden, einmütigen Entscheidung beigetragen. Danach musste auch noch die Gemeindeversammlung von Antiochien zustimmen. In der theologischen Fachsprache ausgedrückt: Die Jerusalemer Entscheidung hat eine Rezeption gebraucht und gefunden. Entscheidend war also das Zusammenspiel aller, die dann zur Einmütigkeit aller führte.
Der Leib ohne das Haupt wäre kopflos, das Haupt ohne Leib ein Totenkopf
Das II. Vatikanische Konzil spricht vom wunderbaren Einklang der Hirten und der Gläubigen (DV 10). Die Synode hat einer Ellipse mit zwei Brennpunkten vergleichbar, die in einer Spannung zueinander stehen: Die Bischöfe, welche nach den Aposteln keine neuen Apostel waren, sondern apostolische Aufgaben wahrnehmen – und die Gemeinde. Nur wo Spannung ist, ist auch Leben. Der Leib der Gemeinde kann nichts tun, ohne diejenigen, welche das Haupt repräsentieren. Das Haupt aber ist nichts ohne den Leib der Kirche. Die Gemeinde hat also nicht nur eine beratende, sondern eine mitbestimmende Funktion. Der Leib ohne das Haupt wäre kopflos, das Haupt ohne Leib ein Totenkopf, ein Torso. Die Gemeinde soll hören, was der Bischof sagt, der Bischof wiederum soll hören, was die Gemeinde zu sagen hat. Nur beide zusammen sind das eine Volk Gottes.
Damit ist ein entscheidender Punkt, das Verhältnis von Bischof und Gemeinde berührt. Die Kirche der ersten Jahrhunderte hatte nicht nur den alten, heidnischen Religionen und in den Christenverfolgungen der kaiserlichen Staatsreligion zu widerstehen. Viel schwieriger war es, sich gegenüber der damals weit verbreiteten, und sich in vielen Sekten ausdrückenden Grundmentalität der Gnosis, durchzusetzen. In dieser Auseinandersetzung ging es um das Überleben, um Leben und Tod des Christentums.
Das Bischofsamt als Grundpfeiler der alten Kirche
Drei Kriterien, gleichsam drei Grundpfeiler hat das frühe Christentum aufgestellt. Das Symbolum, das Taufbekenntnis, das wir bis heute im Credo sprechen, den Kanon der Hl. Schrift und das Bischofsamt. Das Bischofsamt wurde so zum Grundpfeiler der alten Kirche, der bis heute in Ost und West allen Kirchen des ersten Jahrtausends gemeinsam ist. Wer an diesem Pfeiler sägt, der bricht der Kirche das Genick.
Ich weiß, niemand will das – aber faktisch geschieht das. Denn die Bischöfe können die ihnen übertragene Aufgabe und Autorität faktisch nicht mehr ausüben. Wenn sie in einem Akt der Selbstverpflichtung freiwillig darauf verzichten und erklären, den Entscheidungen der Synode oder des künftigen Synodalrats zu folgen.
Selbstverpflichtung als fauler Trick
Ich halte diese Idee einer Selbstverpflichtung für einen Trick – und dazuhin für einen faulen Trick. Denn sich so verpflichten könnten sich bestenfalls die aktuellen Bischofe für Ihre eigene Person, nicht aber für ihre Nachfolger. Man stelle sich einmal einen Beamten vor, der sich ernennen lässt und dann auf die Ausübung seine Rechtspflichten verzichtet. Ein dienstrechtliches Verfahren wäre ihm sicher. Letztlich käme eine solche Selbstverpflichtung einem kollektiven Rücktritt der Bischöfe gleich. Verfassungsrechtlich könnte man das Ganze nur als einen Coup, d.h. als einen versuchten Staatsstreich bezeichnen.
Also: Das Bischofsamt geht nicht ohne Synode und die Synode nicht ohne Bischof. Sie hat den Bischof zu stärken und zu stützen und ihm den Rücken freizuhalten. Sie kann zugleich eine missbräuchliche und willkürliche Ausübung der Autorität des Bischofs verhindern. Eine starke Synode braucht einen starken Bischof und ein starker Bischof kann nur mit einer starken Synode seiner Leitungsverantwortung gerecht werden. Die synodale Struktur ist die kirchliche Form der Gewaltenteilung in der Kirche.
5. Die Freiheit des Geistes und die prophetische Dimension
Mit einem letzten 5. Kapitel möchte ich schließen, um dem Vorwurf zu entgehen, es gehe doch nur wieder um die Begründung und Rettung der hierarchischen Struktur der Kirche. Um das geht es gerade nicht. Es geht um die konstitutive Spannung zwischen Bischofsamt und Synode. Sie besagt, dass das synodale System kein geschlossenes, sondern ein offenes System ist. Es lässt sich nicht von einem Punkt her konstruieren, in die Hand nehmen und insofern manipulieren. Als solches, offenes System gibt es der Freiheit des Heiligen Geistes Raum. Die Kirche ist nicht nur Institution. Als sakramentale Größe ist sie immer Institution und Ereignis.
Vor kurzem hat mich ein Kirchenhistoriker zurecht daran erinnert, dass in schwierigen Situationen der Kirchengeschichte die Synoden zwar zur Erneuerung beigetragen haben; doch sie waren nie die eigentliche Quelle der Erneuerung. Diese ging meist von einzelnen, vom Hl. Geist gepackten Christen, Männer und Frauen aus. Schon beim ersten Konzil, der Synode von Nizäa (325), war es ein junger Diakon, Athanasius, der als Sekretär seines Bischofs dabei war und der die entscheidende Rolle spielte.
Später waren es jeweils große, heilige Frauen und Männer. Nach der Katastrophe des Karfreitags war es eine Frau, Maria von Magdala, welche die verschüchterten, sich nur hinter verschlossenen Türen versammelten Apostel, aufrüttelte und die den Petrus und Johannes erst in Trab setzte musste. Später sind die hl. Hildegard von Bingen, Katharina von Siena, Jeanne d’Arc, und viele andere große Frauen zu nennen. Meist waren es Ordensgründer: Benedikt vom Nursia, Bernhard von Clairvaux, Franz und Dominikus, Ignatius von Loyola, Charles de Foucauld u.a..
Kurzum, wir dürfen die prophetisch-charismatische Dimension nicht außer Acht lassen. Doch niemand kann sich selbst zum Propheten machen. Wer das versucht, kann nur ein falscher Prophet sein. Propheten werden geschmäht und verfolgt. Denken sie an die Klagen des Propheten Jeremias. Letztlich liegt die Leitung der Kirche beim Hl. Geist. Wir können letztlich nur beten, dass uns solche prophetischen Gestalten immer wieder geschenkt werden.
Ich bin überzeugt, wir werden eine Erneuerung der Kirche aus der Krise finden, in der wir uns befinden. Ich weiß nicht wer, nicht wann und wie die Kirche wieder als Kirche in den Seelen erwacht. Ich weiß auch nicht, ob ich es selbst noch erleben werde. Wir können die Erneuerung nicht machen, aber sie wird kommen. Gott ist treu.
von Kardinal Walter Kasper, geb. 1933, em. Kurienkardinal, ehem. Dogmatik-Professor und Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und Autor zahlreicher Standardwerke, die in alle Weltsprachen übersetzt wurden. Manuskript zum 4. Online-Studientag der Initiative Neuer Anfang über das Thema „Wahre und falsche Reform“.
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