Einen dankbaren Blick auf das Pontifikat des Papstes vom anderen Ende der Welt wirf Bernhard Meuser in seinem Nachruf auf Papst Franziskus. Der Papst ging heim, nachdem er mit schwacher Stimme noch einmal am Ostersonntag die Welt segnete. Der Gründer der Initiative Neuer Anfang erinnert an das Apostolische Schreiben „Evangelii gaudium“ und bezeichnet diese als Ratifizierung von „Lumen gentium“.
Nun ist er also doch schon heimgegangen, dieser väterliche Mann Gottes, heimgegangen am zweiten Ostertag des Jahres 2025, heimgegangen nachdem er sich noch einmal ins Leben zurückgekämpft hatte, heimgegangen in lichtloser Zeit, nachdem er am Ostersonntag die Welt noch einmal segnete, in einem mühsamen Ringen nach Luft und Stimme. An diesem Ostersonntag empfing er noch J.D. Vance um bis zuletzt das zu tun, was ein Papst tun muss: die Welt an die Friedensbotschaft Christi zu erinnern.
Jorge Bergoglio, der Papst aus einem armen, fernen Land, der als erster Pontifex den Namen „Franziskus“ wählte, hinterlässt eine noch ärmere Welt als er sie vorgefunden hat. Wie sein Namenspatron, der dreimal nackt starb – bei seiner Geburt, als er seinem irdischen Vater die Kleider vor die Füße warf und als er sich zum Heimgang nackt auf die Erde betten ließ – so kommt auch dieser Papst als nackter Bettler vor seinen Gott. Seine Hände sind leer. Er hat die Kirche nicht hinter sich gebracht. Er hat die Völkerwanderung vor Lampedusa nicht aufgehalten. Er hat das Klima nicht gerettet. Er hat den Krieg nicht verhindert. Er war nicht Gott. Er war nicht der Messias. Er war nicht der Erlöser.
Eine arme Kirche
Er war einer von uns: fehlbar so oft, unfertig, am Ende mit seinem Latein. „Wie sehr wünschte ich mir eine arme Kirche für die Armen!“ sagte er 2013, als er vom Ende der Welt quasi aus dem Nichts auftauchte, um das Erbe des überragenden Theologen Benedikt XVI, des machtvollen Mannes Johannes Paul II, des liebevollen Johannes Paul I, des hochgebildeten Paul VI, des demütigen Johannes XXIII, des souveränen Pius XII anzutreten. Wie alle seine unmittelbaren Vorgänger mochten ihn die Deutschen am Ende nicht. Nicht die Konservativen, die ihm seinen abenteuerlichen Gang an die „Grenzen der menschlichen Existenz: die des Mysteriums der Sünde, die des Schmerzes, die der Ungerechtigkeit, die der Ignoranz, die der fehlenden religiösen Praxis, die des Denkens, die jeglichen Elends“ nicht verziehen.
Die ihm sein weites Herz nicht vergaben, nicht seine politischen Ansichten und nicht seine Abneigung gegen leeren Ritualismus. Die ihn am Ende gar für eine Fehlbesetzung des Lieben Gottes hielten. Nicht die säkularisierten Liberalen, die von ihm den großen Bruch mit der Tradition, die katholische Bekehrung zur Welt und den schillernden Errungenschaften der Moderne erwarteten, aber mit bodenloser Enttäuschung reagierten, als Franziskus sich als ungehorsam erwies. Er machte die Diversität ihrer Häresien, ihren Glaubensabfall, ihren Götzendienst am Zeitgeist nicht mit. So verlor er durch sein störrisches Festhalten an den Bastionen von Lehre und Moral auch die Gefolgschaft der Modernegläubigen.
Um für einen Moment privat zu werden: Als überzeugter Bewunderer von Benedikt XVI musste ich lange mit mir ringen, um Franziskus anzunehmen und ihn am Ende als ein unverhofftes Geschenk Gottes zu begreifen. Zeitweise rettete mich nur der Glaube, dass nicht politische Intrigen Päpste machen, sondern der Heilige Geist. Mit dem da, der auf die Veranda tritt, will Gott uns etwas sagen, so falsch, merkwürdig, komisch, unpassend, stillos und kontraproduktiv er uns im ersten Moment auch vorkommt. Der Moment kam für mich mit der verspäteten, aber umso intensiveren Lektüre eines wahrhaft epochalen Dokuments; ich spreche von „EVANGELII GAUDIUM“.
Pastorale Vollendung
Ich fand darin nicht nur den Schlüssel zu Herz und Kopf von Franziskus. Ich fand, dass auch andere sich einer durstigen Relecture hingaben und nicht fertig wurden mit den Lichtern, die ihnen aufgingen. Ich fand eine Entdecker-Community von Theologen und Liebhabern der konkreten Kirche, denen es wie mir ging, – denen nämlich die Schuppen von den Augen fielen, weil ihnen nach und nach das Revolutionäre dieses großartigen Schreibens aufging. Dieser Community – ich spreche nun von „Neuer Anfang“ – ging gesprächsweise und in der Auseinandersetzung mit dem fatalen Reformgewürge in Deutschland auf, dass wir es bei „EVANGELII GAUDIUM“ mit der pastoralen Vollendung des Zweiten Vatikanischen Konzils, genauer gesagt: mit der Ratifizierung von „LUMEN GENTIUM“ zu tun hatten.
Nichts würde die kranke, seit Generationen um sich und ihren institutionellen Selbsterhalt kreisende Kirche Westeuropas vor dem Versinken in die Bedeutungslosigkeit retten, als der Ruck einer neuen Evangelisierung, als eine existenzielle Mutation von passiven, konsumptiven Kirchenmitgliedern in brennende „missionarische Jünger“. In wortgottesverliebte Christen, die in Würde und Freiheit Subjekte ihres Glaubens sind! Christen einer anderen Art, die in geistlicher Synodalität auf neue Weise „Kirche“ sind. Diese Kirche wird aus Christen bestehen, die keinen Mitgliederausweis, sondern eine Mission haben. Gott habe Franziskus selig dafür, dass er eine große Brandfackel in das Stroh unserer Glaubenserosion warf, so zerstörend wie mit Geist befeuernd: die gottvergessene Kirche verbrennend, das Feuer der Hingabe entfachend.
Was wir – Christ für Christ, Schritt für Schritt – begreifen müssen: „Die Mission im Herzen des Volkes ist nicht ein Teil meines Lebens oder ein Schmuck, den ich auch wegnehmen kann; sie ist kein Anhang oder ein zusätzlicher Belang des Lebens. Sie ist etwas, das ich nicht aus meinem Sein ausreißen kann, außer ich will mich zerstören. Ich bin eine Mission auf dieser Erde, und ihretwegen bin ich auf dieser Welt. Man muss erkennen, dass man selber „gebrandmarkt“ ist für diese Mission, Licht zu bringen, zu segnen, zu beleben, aufzurichten, zu heilen, zu befreien.“ Für solche Sätze liebe ich diesen Mann, der nun heimgegangen ist, und ich danke Gott für ihn.
Was bleibt von ihm, ruht nicht in Santa Maria Maggiore.
Was kommt für ihn und uns?
„Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude.“
Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral. Bernhard Meuser ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Beitragsbild: Marco Campagna / Alamy Stock Foto