Gerade erleben wir einen schmerzlichen Umbruch in der Kirche. Niemand weiß, was in 20 Jahren sein wird. Jetzt in die Prophetenrolle zu springen, ist prekär. Dennoch, wer an die Vorsehung Gottes glaubt, wird nicht umhinkönnen, die Handschrift Gottes in diesen Ereignissen auszumachen. Wo wir nur Niedergang, Abbruch, Verfall sehen, schreibt ER.
Zwei Dinge sind klar. Erstens: Die Pforten der Hölle werden die Kirche nicht überwinden. Zweitens: Es wird keinen Rückweg in scheinbar bessere Zeiten geben. Man darf annehmen: Die besseren Zeiten kommen noch. Die Kirche wird verwandelt aus den Ruinen hervorgehen: kleiner, bescheidener, versteckter, ungeschützter, machtloser – dafür markanter, persönlicher, entschiedener, geisterfüllter und kraftvoller.
Doch der Weg der Läuterungen wird sich strecken, und es wird keine Heerstraße zum Himmel sein; eher schon werden wir uns auf einen „schmalen Weg“ (Mt 7,14) versetzt finden. Die bereit sind zu gehen, werden es tun im Modus des Hörens auf den lebendigen Herrn. Nicht wir retten die Kirche. Es ist Seine Kirche, Er ist es, der uns herausruft aus dem Scherbengericht über das konventionelle Christentum, an dem wir alle Teil hatten. In kleinen Schritten, neugierig und mit wachsendem Mut, gehen wir auf eine Gestalt der Kirche zu, die wir noch nicht kennen.
Die Konzepte, die gerade auf dem Tisch liegen, erscheinen zugleich zu schwach und zu stark. Zu schwach, weil die äußerlichen Reformen, die auf dem Synodalen Weg vorgetragen werden, nicht genügen, um den Erdrutsch in die Pandemie der Gottlosigkeit aufzuhalten. Andererseits erscheinen sie zu stark, weil sie in dem Versuch, aus eigener Kraft das rettende Ufer der Moderne zu erreichen, das Kostbarste im Fluss versenken.
1. Die Zukunft der Kirche wird in der Aufkündigung einer 1500 Jahre alten Interessengemeinschaft von Staat und Kirche bestehen. Christentum wird eine Option sein und keine Konvention.
2. Die Zukunft der Kirche wird sich aus der freien Entscheidung von Bekehrten rekrutieren.
3. Die Zukunft der Kirche wird in der Überwindung der Diastase zwischen einer passiven Zuschauerkirche und einer sie betreuenden Profikirche bestehen – und sie wird ein neues Miteinander von Laien und Klerikern mit sich bringen.
4. Für die Zukunft der Kirche sind die Wohnzimmer wichtiger als die Pfarrheime. Und konkrete Gastfreundschaft wird wichtiger sein als offizielles Mitgliedermanagement.
5. Die entscheidenden Akteure in der Kirche der Zukunft werden die missionarischen Jünger sein. Ein missionarischer Jünger ist Subjekt des Glaubens; er ist entschieden in der Nähe Jesu, lebt aus einer lebendigen Beziehung zu Gott-Vater, aus dem Wort und den Sakramenten (insbesondere Taufe, Eucharistie und Busssakrament) – und er folgt bereitwillig dem Willen des Herrn, den er in der Lehre und Tradition der Kirche erkennt.
6. Die Kirche der Zukunft wird eine Kirche sein, in der es eine Fülle von katechumenalen Prozessen gibt. Das sind ganzheitliche Prozesse der Integration in den Leib Christi. Und da die Kirche sich aus Sakramenten aufbaut, werden die katechumenalen Prozesse rund um die Sakramente stattfinden.
7. Die Kirche der Zukunft wird evangelikal katholisch sein. Sie wird das Wort Gottes neu entdecken und sie wird es gemeinsam mit evangelischen Christen als lebendige Kraft wertschätzen.
8. Die Kirche der Zukunft wird ökumenisch sein, aber die Ökumene am grünen Tisch überholen durch eine Jesus-Ökumene im Gebet, im Bibellesen, in Anbetungszeiten und Evangelisierungen, die es heute schon gibt.
9. Die Kirche der Zukunft wird die Pfarrgemeinden brauchen, aber diese Pfarrgemeinden werden nicht flächendeckend existieren; sie werden auch nicht aus Pastoralplänen heraus entstehen, und sie werden neben anderen Formen von Gemeinschaft existieren, z. B. den neuen Geistlichen Bewegungen.
10. Die Kirche der Zukunft wird ein Netzwerk sein, das von der Digitalisierung profitiert, sich aber an Leuchtpunkten auf der Landkarte und im Terminkalender real trifft.
11. Kristallisationspunkte einer zukünftigen Kirche werden Gemeinschaften der Nachfolge und der Anbetung sein. Um sie herum, werden Gemeinden neuen Typs entstehen. Nicht die Gemeinden produzieren Nachfolge Christi – die Nachfolge Christi produziert Gemeinden.
12. An den Leuchtpunkten einer Kirche der Zukunft wird es als konstitutive Elemente geben:
a) das Amt, das sich neu als Dienst begreift,
b) die Sakramente, die umgeben sind von katechumenalen Prozessen,
c) die Liturgie, die neu belebt und als Feier der Liebe Gottes neu Gestalt gewinnt,
d) der Dienst an den Armen, Schwachen und Benachteiligten,
e) Prozesse der Lehre, des Coachings und der Heilung von Individuen,
f) die Gastfreundschaft,
e) eine oder mehrere Nachfolgegemeinschaften (Gebetsgruppe, Orden, geistliche Gemeinschaft usw.), die das Herz bilden und in der Anbetung sind.
___________________________
Von Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.
Dieser Beitrag erschien erstmalig in der Wochenzeitung Die Tagespost.
Diesen Beitrag als Druckversion herunterladen unter diesem Link