Angesichts der zwiespältigen Haltung des ZDK und ihrer Vorsitzenden Irme Stetter Karp zum Thema Lebensschutz und Selbstbestimmungsrecht, und der jüngsten Aufforderung des BDKJ in Köln, den „Marsch für das Leben“ zu boykottieren, stellen Katholiken immer häufiger die Frage: Warum distanziert sich die Kirche nicht von diesen Personen und Gruppierungen, die nicht einmal mehr das Fünfte Gebot kennen? Warum schließt man nicht einfach diese Einrichtungen, die in der Kirche gegen die Kirche arbeiten, warum entzieht man ihnen nicht einfach das Geld? Ein Kommentar von Bernhard Meuser

Die Kirche – eine gut finanzierte plurale Bewegung?

Wenn man einen Bischof danach fragt, bekommt man Antworten etwa dieser Schießklasse: Weil es nicht geht. Weil die Bischöfe nicht in das ZDK hineinregieren können. Weil wir im Konsens mit allen Bischöfen handeln müssen. Weil die Kirche kein klar strukturiertes Wirtschaftsunternehmen mit Durchgriffsrechten ist. Weil es doch freie Meinungsbildung in der Kirche geben muss, usw. Am Ende hat man den Eindruck, die Kirche sei eine gut finanzierte plurale Bewegung, eine Art Partei, die alle umfasst, die sich unter dem Etikett noch irgendwie fassen lassen, sagen wir: von Lebensschützer bis Abtreibungsbefürworter. Von den Kirchensteuerzahlern freilich wird eine an Schizophrenie grenzende Toleranz erwartet. Das kann nicht gutgehen. Die Kirche verliert immer mehr an Profilschärfe. Die Heiligen und die Sünder, Kreti und Pleti mit dem lieben Jesus zu umarmen, ansonsten keine Lehre und keine Linie, keinen Anspruch und kein Ideal mehr zu haben, keine Option des Evangeliums mehr zu sein, sondern das fromm garnierte Spiegelbild der allgemeinen Verluderung – das zerstört die Kirche. Wo liegt der Systemfehler? Ist die Katholische Kirche in Deutschland irreparabel? Muss dieses immer gestaltlosere Ganze, dessen widerständige Härte nur noch in einem bizarren Apparat besteht, erst von außen gesprengt werden, bevor es wieder aus den Ruinen einer großen Zeit neu erstehen kann?

Aus Bund wird Bunt

Ich weiß es auch nicht. Ich habe nur ein wenig betrachtet, wie der BDKJ nach dem Krieg entstanden ist, und zwar aus den Erfahrungen im Dritten Reich heraus, als sich der Widerstand der katholischen Jugend aus ihrer Geschlossenheit ergab. Die Vereinzelung wäre der Tod gewesen. An Festen wie Fronleichnam und Christkönig kam es zu eindrucksvollen Aufmärschen; und wenn es je eine „acies ordinata“ (geschlossene Schlachtreihe) gab – hier wurde sie ansichtig. Aus dieser Erfahrung heraus suchte man nach dem Krieg die Kraft der Erneuerung aus maximaler Einheit heraus zu gewinnen. Alles, was katholisch und jung ist, sollte in einen Bund eingehen: Pfadfinder und Ministranten, studentische Jugend, Landvolk usw., wobei im Wort „Bund“ wohl theologische Konnotationen mitschwangen – etwas jenseits der Pragmatik, etwas Unauflösliches. Tatsächlich kann ein Bund, der sich gebunden weiß in der Einheit der Kirche und in Loyalität zu ihrer Lehre und Praxis, ein großes Zeichen und Zeugnis sein, wenn er nicht missbraucht wird und am Ende zu einem Bund nach Art der SED degeneriert und aus Zwangskollektivierungen besteht, deren Elemente sich den Ansagen herrschender Kräfte und der jeweils proklamierten Parteilinie zu fügen haben. Einheit in freier Loyalität, in stolzer wie demütiger Unterwerfung unter die in Schrift und Überlieferung bezeugte eine Wahrheit Gottes – das ist eine höchst fragile Basis. Sie setzt Menschen und menschliche Gemeinschaften voraus, die individuell und sozial das Wort in ihrem Herzen bewegen und für das „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5) bereit sind. Was aber, wenn der Sensus Fidelium, dieses zarte spirituelle Momentum der Einheit, das den Bund innerlich trägt, so verfälscht erscheint, dass man eher von einem Sensus Infidelium sprechen könnte? Fragen über Fragen.


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.


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