Dürfen Homosexuelle jetzt katholisch heiraten? Die Aufregung ist groß: immense Freude im Lager der Anhänger einer neuen Sexualmoral, blankes Entsetzen bei den Bewahrern. Medienberichte schüren diese Stimmung. Aber wer hat das römische Schreiben wirklich gelesen? Bernhard Meuser bekennt seine Betroffenheit.

Dem Schrecken folgt Ernüchterung

Die FAZ titelt „Eine kleine Revolution“, und Daniel Deckers weiß dort: „Was vor drei Jahren undenkbar war, soll nun erlaubt sein: Der Papst heißt Segnungen für unverheiratete Paare, wiederverheiratete Geschiedene und gleichgeschlechtliche Partner gut.“ Der liberale DBK-Vorsitzende Georg Bätzing sieht sich voll bestätigt, und die linkskatholische First Lady des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter Karp, ist „froh und überrascht zugleich“ über die Meldung aus Rom, der Papst erlaube künftig offiziell die Segnung homosexueller und unverheirateter Paare. So aufgeschreckt, vertiefe ich mich in den Text von „Fiducia supplicans“, wie das entsprechende Dokument der Glaubenskongregation vom 18.12.2023 offiziell heißt. Ich lese, was wirklich drinsteht und erlange in einer halben Stunde meine Fassung wieder. Ein Papst, der tatsächlich Röm 1,25-28 widerrufen hätte, wäre nicht mehr mein Papst gewesen. Was steht denn nun wirklich in dem Text drin?

Aus Rom nichts Neues

Die Kirche, „bleibt“, so erklärt Kardinal Fernandez, der Chef Glaubenskongregation, „fest bei der überlieferten Lehre der Kirche über die Ehe stehen und lässt keine Art von liturgischem Ritus oder diesem ähnliche Segnungen zu, die Verwirrung stiften könnten.“ Der Text billigt gerade nicht, was sich in Deutschland illegitimer Weise ausgebreitet hat: die Praxis liturgisch-ritueller Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare sowie für andere „irreguläre“ Beziehungen. Sie waren und sind in der katholischen Kirche verboten. Vor dem Altar darf weder im Hinblick auf gleichgeschlechtliche Paare noch in Hinsicht auf Paare, die nach einer unauflöslichen Erst-Ehe noch einmal heiraten wollen, der Eindruck erweckt werden, hier werde ein Sakrament gespendet.

Ein Zeichen pastoraler Zuwendung

Aber hebt Rom nicht doch das zuletzt noch bekräftigte Verbot auf, indem er eine Art Segensfenster aufmacht? Nein, der Papst – er hat sich offiziell hinter das Dokument gestellt – hebt das Verbot nicht auf; er verändert es nicht einmal – er erweitert den kirchlichen Horizont aber sehr wohl um eine pastorale Perspektive. Der Papst erlaubt keine Feiern, keine Riten, keine Liturgien. Er legitimiert in keiner Weise homosexuelle Beziehungen durch einen Segen. Er verändert auch in keiner Weise die Lehre von der Ehe und der moralischen Bewertung homosexueller Handlungen. Der Papst will aber die pastorale Zuwendung zu homosexuellen Menschen auch in Paarbeziehungen und zu Menschen in anderen irregulären Beziehungen.

Geistliches Wachstum im seelsorglichen Dialog

Worum es Franziskus geht, versteht man am besten, wenn man sich einmal eine Situation vorstellt: Da kommt ein gleichgeschlechtliches Paar zu einem Seelsorger, beispielsweise an einem Wallfahrtsort, und bittet spontan um einen Segen. Da wird kein wahrer Seelsorger lange zögern, moraltheologische Analysen vornehmen und indiskrete Fragen stellen. Er wird segnen, in der klaren Intention, dass nur auf etwas hin gesegnet werden kann, was in sich gut ist. Eine Sünde segnen, ist ein hölzernes Eisen, ein Widerspruch in sich. Dem Papst geht es um das geistliche Wachstum im seelsorglichen Dialog mit betroffenen Menschen – und in dieser Perspektive um den spontanen, nicht-liturgischen, nicht-rituellen Segen. Noch einmal: gerade nicht um das „Absegnen“ und die Legitimation gängiger, unerlaubter Praktiken.

Empfehlung:  „Fiducia supplicans“ lesen statt interpretieren!

Freilich kann man sich fragen, ob der Papst klug handelte, jetzt mit einem solchen Dokument pastoraler Weitherzigkeit an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn Missverständnisse sind vorprogrammiert. Die einen (von der liberalen Fraktion) werden den Papst instrumentalisieren und eine angebliche päpstliche Erlaubnis bejubeln, die anderen (im konservativen Lager) werden den Papst im Widerspruch zur Heiligen Schrift sehen und seine Lehrautorität in Frage stellen. Einige sehen eine unerhörte Zerreißprobe auf die Katholische Kirche zukommen. Die Absicht des Papstes ist wichtig und gut. Umso mehr braucht es Menschen, die den realen Text lesen – und nicht seine Interpretationen von interessierter Seite.


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen JugendkatechismusYoucat. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020) formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.


Dieser Kommentar von Bernhard Meuser erschien zuerst bei idea.de


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Die Initiative „Neuer Anfang“ hat kurz nach Veröffentlichung des neuen römischen Schreibens mit einer Pressemitteilung reagiert:

Pressemitteilung der Initiative „Neuer Anfang“

zur heute veröffentlichten Erklärung „Fiducia supplicans“

des vatikanischen Dikasteriums für die Glaubenslehre:

Da heute der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, einige zentrale Aussagen vergessen und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken einige Interpretationen gegen den Wortlaut der Erklärung vorgenommen hat, hier einige Klarstellungen der Initiative „Neuer Anfang“.

(Die Kirche) „bleibt“, so der Wortlaut des Dokuments, „fest bei der überlieferten Lehre der Kirche über die Ehe stehen und lässt keine Art von liturgischem Ritus oder diesem ähnliche Segnungen zu, die Verwirrung stiften könnten“, wie der zuständige Präfekt, Kardinal Víctor Manuel Fernandez, in der Einleitung feststellt.

Der vollständig und korrekt wahrgenommene Wortlaut der römischen Erklärung billigt gerade nicht, sondern delegitimiert die sich in Deutschland ausbreitende Praxis liturgisch-ritueller Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare sowie für andere irreguläre Beziehungen. Gleichzeitig verneint die neue Erklärung alle vom „Synodalen Weg“ geforderten Veränderungen der Lehre von Ehe und Sexualität, wie sie in der Praxis schon in vielen Diözesen vorweggenommen wurden. Sie waren und sind verboten.

Bricht die Glaubenskongregation mit Fiducia Supplicans mit der Morallehre der Kirche?

Nein, der Papst verwirft nicht die Responsio ad Dubium (Antwort auf eine zur lehramtlichen Klärung vorgelegte »Zweifels«-Frage) vom 22.2.21. Er verneint sie nicht, er ändert sie nicht einmal, er erweitert den Horizont um eine pastorale Perspektive.

Nein, der Papst erlaubt keine Feiern, keine Riten, keine Liturgien. Kirchliche Medien hatten die Meldung durch Bebilderung und Überschriften ins Zweideutige getrieben.

Nein, der Papst legitimiert in keiner Weise homosexuelle Beziehungen durch einen Segen.

Nein, der Papst verändert in keiner Weise die Lehre von der Ehe und der moralischen Bewertung homosexueller Handlungen.

Gibt es eine in der kirchlichen Lehrtradition stehende Motivation des Papstes, die die Erklärung ausdrücklich approbiert hat?

Ja, der Papst will die pastorale Zuwendung zu homosexuellen Menschen auch in Paarbeziehungen und zu Menschen in anderen irregulären Beziehungen auch in der Form des spontanen, nicht-liturgischen, nicht-rituellen Segens – ausdrücklich aber nicht zur Legitimation gängiger, unerlaubter Praktiken, sondern im Blick auf geistliches Wachstum im seelsorgerlichen Dialog mit betroffenen Menschen.


Das neue römische Dokument ist in deutscher Originalfassung hier zu finden.

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