„Korrekte Kanonisten“ haben dem Synodalen Weg schon mehrmals unangenehme Tatsachen ins Stammbuch geschrieben. In einem Interview mit dem Domradio spricht der Tübinger Ordinarius für Kirchenrecht, Bernhard Sven Anuth, Klartext: Die Mehrheit der deutschen Bischöfe verweigert mit der Gründung des Synodalen Ausschuss den Rechtsgehorsam. Anuth ist unverdächtig, weil theologisch liberal. Wie ein liberaler Theologe dennoch zu einem solchen kirchenrechtlichen Urteil kommt, ordnet Martin Brüske ein:

Korrekte Kanonisten von Barion bis Lüdecke

Ein „korrekter Kanonist“ konnte aus politischer Überzeugung Mitglied der NSDAP sein, wie der „Erfinder“ dieser Figur, der ebenso geniale wie zutiefst problematische Hans Barion, – und er kann ein kirchlicher Jakobiner sein, der mit Hilfe korrekter Kanonistik eigentlich nichts anderes will, als das normative System des Kirchenrechts in die Luft sprengen, indem er es durch „korrekte“ (und konsequente) Auslegung einer „reductio ad absurdum“ unterzieht. So der langjährige Bonner Kanonist Norbert Lüdecke (der Hans Barion zu rühmen weiss), aber vielleicht noch intensiver darüber hätte nachdenken sollen, wieso Barion den politischen Weg eingeschlagen hat, den er gegangen ist – und ob dies nicht doch auch etwas mit der Art zu tun hat, Kanonistik zu betreiben). Oder irgendetwas dazwischen, wie die amtierenden südwestdeutschen Kanonisten Georg Bier (Freiburg im Br.) und Bernhard Sven Anuth (Tübingen).

Hier wird nicht geschummelt!

Ein „korrekter Kanonist“ zu sein, heißt also keinesfalls politisch, theologisch und nicht zuletzt auch kirchenpolitisch nichts zu wollen. Was aber alle vereint, die sich diesem Ideal verpflichtet wissen, – von einer Schule kann man indes nicht sprechen – ist die strenge Bindung der Rechtsauslegung an den positiven Gesetzestext und an eine streng methodengebundene Entfaltung seines normativen Gehalts. Das Ideal des korrekten Kanonisten ist: Hier wird nicht geschummelt!

Die deutschen Bischöfe verweigern den Rechtsgehorsam

Und Schummelei ist es, wenn die Kirchenrechtswissenschaft sich vor den Karren sachfremder Gesichtspunkte spannen lässt, die ehrenvoll sein mögen, sich aber im normativen Gefüge des kanonischen Rechts nicht niedergeschlagen haben. Wie der „Geist des zweiten Vatikanums“ oder eben der „Geist“ des „Reformprojekts“ „synodaler Weg“. Deshalb schreibt Norbert Lüdecke dem sog. „Synodalen Weg“ ins Stammbuch, dass er ein Nullum und ein Selbstbetrug derer sei, die daran glauben mit ihm kirchlich vorwärts zu gehen, deshalb konstatiert Georg Bier, dass die Verweigerung der geheimen Abstimmung gegenüber den Minderheitsbischöfen letztlich ein schlimmer Rechtsbruch war – und gerade, anlässlich des Papstbriefes an vier ehemalige Synodale, sagt ihnen der „korrekte Kanonist“ Bernhard Sven Anuth aus Tübingen, dass sie durch die Errichtung des sog. „Synodalen Ausschuss“ zu – bei Licht besehen – Rechtsbrechern geworden sind. Denn sie verweigern dem Papst als oberstem Gesetzgeber den Gehorsam, indem sie tun, was er explizit verboten hat. Sie brechen das Recht. Und damit sind sie eben zu Rechtsbrechern geworden.

Ich empfehle jedem dieses Interview zu lesen. Anuths Antworten zeigen einen punktgenauen und luziden Geist. Sein kanonistisches Urteil kann ernsthaft kaum bestritten werden. Und Anuth ist unverdächtig. Denn theologisch ist er gewiss kein Konservativer.

Können die, die die Unkultur des Rechtsbruchs fortsetzen, ernsthaft Missbrauch aufarbeiten?

Die Diskussion um die „korrekte Kanonistik“ ist hier nicht zu führen. Anuth hat sie zuletzt gescheit und lesenswert verteidigt. Der Dogmatiker, der hier schreibt, äußert dazu lediglich die Vermutung, dass sie – wie das Denken Carl Schmitts, das (trotz ihrer intensiven Freundschaft) dennoch nicht mit dem Barions gleichgesetzt werden sollte – jenseits des nominalistischen Bruchs liegt. Darin liegt ihre Grenze – und am Ende ein fundamentaler Einwand (der natürlich erst durchzuführen wäre). Barions Genialität mindert das nicht. Und auch nicht ihre kanonistische Fruchtbarkeit. Ich meine: Ihre Gegner argumentieren in der Regel zu flach. Aber das kann hier nicht gezeigt werden.

Zum Schluss muss aber eines gefragt werden: Aus den Studien zum Missbrauch in den Diözesen gibt es inzwischen zigfache Belege dafür, wie die Vertuschung des Missbrauchs bis hin zu Kardinälen und Erzbischöfen mit permanenter Beugung des Rechts, mit dem Bruch des Rechts oder der – schuldhaften – Ignoranz gegenüber dem kanonischen Recht verbunden war. Können also die, die diese Unkultur des Rechtsbruchs offensichtlich fortsetzen, tatsächlich ernsthaft beanspruchen, dadurch Missbrauch „aufzuarbeiten“ und aus ihm die notwendigen Konsequenzen zu ziehen? Bei der Frage droht mir der Schädel zu platzen. Dieser Mangel an elementarer logischer Konsistenz will einfach nicht hinein.


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.

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