Der Synodale Weg in Deutschland wird als Folge sexuellen Missbrauchs in der Kirche dargestellt und soll vorgeblich der Aufarbeitung und dem künftigen Verhindern solcher Straftaten dienen. Erstaunlicherweise werden aber offenkundige Fakten nicht benannt oder sogar aggressiv verdrängt, die grundlegend für das Verstehen der Ursachen des Missbrauchs wären. Synodaler Weg zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Eine Analyse von Bernhard Meuser
Betrachtet man die Forderungen des Synodalen Weges, so fällt sofort auf, dass sie kongruent sind mit einer Kirchenwirklichkeit, die es in den Evangelischen Landeskirchen bereits gibt: Dort stört kein Lehramt; man hat eine entwickelte demokratisch-synodale Struktur; die Kirche ist flächendeckend gegendert; Frauen sind Bischöfinnen; einen Pflichtzölibat für „Pfarrer*innen“ existiert nicht; auch eine auf der Schrift gründende Sexualmoral gibt es nicht (mehr), es sei denn man solle beim Lieben auf die Liebe achten. Gleichgeschlechtliche Paare werden natürlich getraut. Dass „Kirche“ nicht gleich Kirche ist, wird in der Ekklesiologie klar: Katholisch ist sie eine offenbarte Wirklichkeit: ganz und gar menschlich und fehlbar, gleichzeitig aber auch der „gegenwärtige Christus“, wie der Jesuit Jean Daniélou einmal sagte.
Evangelisch kann man die Kirche umbauen, wenn sie nicht mehr in die Zeit passt und man sie nicht mehr recht liebhaben kann. Sünden der Kirche sind evangelisch betrachtet (“carnalis sum, totaliter peccator“) gewissermaßen „normal“ – katholisch gesehen löschen sie die Kirche aus. Sie ist ja eine heilige Präsenz. „Im Maße einer die Kirche liebt“, befand Augustinus, „hat er den Hl. Geist.“
Aus dem Skandal kann nur ein Ruf zur Umkehr folgen
Henri de Lubac hat an Theologen aus der Väterzeit erinnert, die das Geheimnis der Kirche im Bild vom Mond beschrieben. Licht kommt nur von Christus. „Während die Sonne immer in ihrer Herrlichkeit bleibt, durchläuft das Licht der Kirche unaufhörlich verschiedene Phasen … Zu gewissen Zeiten mag sich ihr Zeugnis verdunkeln, das Salz wird schal…“. De Lubac ahnte wohl nicht, in welche scheinbar totale Finsternis die Kirche geraten könnte, dass man keinen Widerschein Christi mehr in ihr erkennen mag. Doch bleibt wahr, dass Christus, der Bräutigam, seinen Leib und seine Braut auch dann nicht verlässt, wenn die sterbende Kirche sich erneuert, um „in der Verfinsterung der Passion erneut zu wachsen und ihre wahre Fruchtbarkeit zu erreichen“. Aber sie muss sich – um wieder in die Anstrahlung Christi zu kommen – in Buße und Umkehr wirklich erneuern und auferstehen, statt sich falsche Lichter aufzusetzen.
Daran erinnerte Jorge Bergoglio im Vorkonklave: „Die um sich selbst kreisende Kirche glaubt – ohne dass es ihr bewusst wäre – dass sie eigenes Licht hat. Sie hört auf, das ´Geheimnis des Lichts´ zu sein, und dann gibt sie jenem schrecklichen Übel der ´geistlichen Verweltlichung´ Raum (nach Worten de Lubacs das schlimmste Übel, das der Kirche passieren kann).“
Der Deal zwischen ZDK und DBK basiert auf einer gemeinsamen Lüge
Die Vorrede war notwendig, um das Dilemma einer Kirche in der Finsternis zu beschreiben, der nur noch eines bleibt: die Wende ins Licht, um wieder Sichtbarkeit und eine Gott bezeugende Relevanz zu bekommen. Aber genau dieses Sterben, um zur Auferstehung zu gelangen, verweigert sie mit einem Trick. Nennen wir ihn „das Machtspiel“. Ich versuche, es in 11 Schritten zu beschreiben:
- Die Kirche erreicht ihre totale Verfinsterung im Missbrauch.
- Dieser Missbrauch trifft die Kirche an ihrem sensibelsten Punkt: der moralischen Integrität der Nachfolger der Apostel.
- Obwohl die Wirksamkeit priesterlichen Handelns in Sakramenten und Verkündigung („opus operatum“) nicht grundsätzlich infrage steht, zerstört der pauschale Verdacht, Priester und Bischöfe könnten an Missbrauch aktiv oder per Komplizenschaft beteiligt sein, die Vertrauensgrundlage einer sakramental-hierarchisch aufgebauten Kirche.
- Die Lösung kann nur in radikaler Aufklärung, harten Folgerungen für die Betroffenen und glaubhafter Prävention bestehen.
- Bis heute verweigert sich die Kirche in Deutschland diesen Forderungen; es gibt starke innerkirchliche Kräfte, die offenkundig um alles in der Welt nicht wahrhaben möchten, „dass 80 Prozent der Opfer in der Kirche Jungen sind, die oftmals zwischen 10 und 13 Jahre alt sind, während es in der übrigen Gesellschaft genau umgekehrt ist (70 Prozent der Opfer sind Mädchen, die eher zwischen 15 und 17 Jahre alt sind)“, wie jüngst wieder die Sauvé-Studie für Frankreich feststellte.
- Statt radikale (von dritter, objektiver Seite zu führende) Aufklärung auf den eigenen Stand zu lenken und im Interesse aller unbescholtenen Priester und der gesamten Kirche an die Wurzel der Missstände zu gehen, haben sich treibende Kräfte in der Bischofskonferenz auf einen „Deal“ eingelassen – den Bau einer Art Umgehungsstraße, die um den Skandal des Missbrauchs herumführt, ohne ihn zu durchqueren.
- Der „Deal“ bestand in einem Arrangement mit dem ZdK namens „Synodaler Weg“, durch den der Missbrauch im größeren Ganzen allgemeinen Reformbedarfs, wie er sich linkskatholisch in „Publik Forum“ oder „Wir sind Kirche“ seit Jahrzehnten artikulierte, aufgehen sollte.
- Das Arrangement war nur zum Preis einer gemeinsamen Lüge und einer illegitimen Abtretung von Verfahrensmacht zu haben.
- Die Lüge besteht im Grundnarrativ des „Synodalen Weges“, wonach Missbrauch eine systemische Folge kirchlicher Machtordnung sei – und nicht etwa zuerst in sexualpathologischen Persönlichkeitsstrukturen von Tätern und dem Schutz durch Komplizen zu verorten sei.
- Dieses Narrativ ermöglichte eine Konstellation, wonach die eigentliche Reform in der Umverteilung von Macht und Kontrolle bestehen müsse, mithin in der Delegitimierung von Priestermacht und einer Installation von demokratisch legitimierter Basismacht von Laien. Dieser Kampf um die Macht in der Kirche, wurde seither in allen vier Foren des Synodalen Weges mit identischer Motivation betrieben.
- Die illegitime Abtretung von Verfahrensmacht bestand in der theologisch unzulässigen Übertragung kirchlicher Lehr- und Leitungskompetenz an gremiale Aufsichtsorgane und schein-synodale demokratische Strukturen.
Im Effekt würde dieser – von zwei Seiten aus durchsichtigen Gründen betriebene – Deal die Protestantisierung der Katholischen Kirche bedeuten, ohne dass die spezifische Missbrauchsproblematik auch nur ansatzweise verstanden, geschweige denn gelöst wäre. Die Katholische Kirche in Deutschland selbst würde einen aktiven Beitrag zu ihrem Verschwinden leisten.
Das gleiche Spiel in allen vier Foren
In Forum 1 geht es explizit um „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“. Im Grundtext heißt es, die MHG-Studie habe „eindrücklich und in verstörender Vielfalt gezeigt, dass sexualisierte Gewalt von Klerikern an Kindern und Jugendlichen, die Vertuschung von Taten und der Schutz von Tätern nicht nur individualpsychologische, sondern auch systemische Ursachen haben. In den Blick kommt vor allem die geltende innerkirchliche Machtordnung, die bestimmte kriminelle und übergriffige Handlungen begünstigt und deren interne Bekämpfung sowie die Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden erschwert hat.“
Daran ist Richtiges und Falsches. Falsch ist zunächst die Verwendung des ideologischen Terminus´ „sexualisierte Gewalt“, als ginge es um die Urtatsache einer in sich bösen Gewalt, die so böse ist, dass sie sich sogar sexuell ausagiert. Richtig muss es heißen „sexuelle Gewalt“; es geht nämlich um beschreibbare Triebtäter, die aus keinen anderen als sexuellen Motiven heraus gewalttätig werden – mit der signifikant katholischen Schlagseite, dass die Opfer halbwüchsige Jungen sind. Richtig ist, dass es offenkundig Seilschaften gab und gibt, die hier Aufklärung verhindern. Dass dies aus Gründen klerikalen Machterhalts geschieht, ist so viel oder so wenig plausibel wie die Annahme, man wolle sich der Peinlichkeit ephebophiler Übergriffe darum entziehen, weil man selbst verstrickt ist aus einer affektiven Solidarität gleichgeschlechtlichen Empfindens heraus.
Das Ergebnis vorauszusetzen, statt es zu untersuchen, gehört zur Umgehungsstraße. Missbrauch wird instrumentalisiert, um einen Machtwechsel hin zu einer laikal dominierten Kirche mit systemisch bedingter Notwendigkeit zu erzwingen. In ihr würde sich das sakramentale Weiheamt marginalisiert und unter Kuratel gestellt wiederfinden – als Fünftes Rad am Wagen einer Kirche der Synoden, Gremien, Büros, Sitzungen, Parteikämpfe und Kontrollgremien. Ex-ZdK-Chef Thomas Sternberg ist sich sicher: „Wenn dann ein Bischof in einem kleinen Bistum eine Regelung nicht umsetzt, dann gibt es schon einen erheblichen Druck und das wird auch nicht ganz ohne Folgen bleiben.“ Notfalls werde sich das biologisch regeln,: „Wenn der nächste Bischof kommt, ist das dann eingeführt…“.
Viele Wörter, keine Fakten
In Forum II geht es um „Priesterliche Existenz heute“. Auch hier wird wieder wortreich der Skandal und seinen Folgen für die Opfer, den Priesterstand im Speziellen und die Kirche im Allgemeinen beschworen, ohne ihn in seiner kruden Faktizität (ceterum censeo: 80 Prozent Jungen) anzuschauen. Und wieder ist die Rede von der „sexualisierten Gewalt“, deren Offenbarwerden zeige, „dass systemische Fehler fatale Folgen haben.“ Dabei habe schon die Würzburger Synode versucht, „den Umgang mit Macht in der Kirche glaubwürdiger, transparenter und gerechter zu gestalten“ – die hilfreichen Erkenntnisse aber „wurden verschleppt und hintangestellt, auch aus mangelndem Mut, nicht zuletzt des Priesterstandes.“
Der monokausale Rattenschwanz will nicht enden. Und so kündigt sich schon in Forum II der Sündenbock „Sexualmoral“ an, der in Forum IV ein menschenfreundlicher Umbau verpasst werden soll; „Gerade auch die Verkündigung und der Umgang mit der Sexualmoral hat auf viele Menschen einen Druck ausgeübt, dem sie nicht folgen konnten. Umso schwerer wiegt, dass in der Gruppe derer, die dies verkündigte, so viel sexueller Missbrauch geschehen ist. Das alles prägte ein Klima, in dem Missbrauch ungeahndet verübt werden konnte.“
Die Formel lautet: Wo Sexualmoral auf die Todsünde von Missbrauch hätte angewandt werden müssen, werden die Täter exkulpiert, als seien sie selbst die Opfer einer unbarmherzigen Sexualmoral – und die wenigen Verkündiger, die noch über die göttlichen Offenbarungen Im Raum der Liebe zu sprechen wagten, werden als die eigentlich Schuldigen hingestellt. Wo die Reise hingehen soll, ist aus Forum I bekannt; auf dem Hintergrund des vom Missbrauch verschatteten Bildes vom Priester, geht es darum „den Dienst des Priesters einzubetten in die vielen Dienste und Geistesgaben in der Kirche“, eine weiche Formel, die vieles zulässt – das selbstverständlich Kirchliche und sein genaues Gegenteil.
Feindbild: Männer in Ämtern
In Forum III geht es um „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“. Sexueller Missbrauch wird nicht eigens thematisiert, ist aber als schwarze Grundierung einer größeren, Frauen allgemein ausgrenzenden männlichen Präpotenz allgegenwärtig. Es steht außer Frage, dass Frauen die unbedingten Gleichstellungsrechte, die sie überall mit Recht erwirken, auch in einer Kirche haben müssen, in der es einen sich verschanzenden männerbündlerischen Klerikalismus gab und noch immer gibt. Es fällt allerdings auf, dass die „Betreiber*innen“ mehr wollen; die Papiere sind um die unsichtbare Hypothese herum gestrickt, die Nichtzulassung der Frau zur Priesterweihe (und deren endgültige lehramtliche Zurückweisung durch Johannes Paul II) habe nicht theologische Gründe, sondern sei Ausdruck archaischer Männermacht.
Als habe es die definitive Lehraussage der Kirche nicht gegeben, wird versucht, das klare Nein via „Gender-Studien in der katholischen Theologie aus feministisch-kritischen und befreiungstheologischen Ansätzen“ als vormodernes, unwissenschaftliches Ressentiment zu unterlaufen. So soll der Synodale Weg „die Themenaspekte Geschlechter-Gerechtigkeit, Gender-Perspektiven, Partizipation von Frauen* an kirchlichen Leitungsdiensten und an den drei Gestalten des sakramentalen Amtes als Beratungsgegenstände“ einfordern. Klar: Über einen „Abschied von einem essentialistischen Geschlechterdualismus“ wird die Frage nach der Frauenordination obsolet. So gesehen stehen nicht nur Frauen* in der Schlange vor dem Amt.
Die Sexualmoral abschaffen, die den Missbrauch bei Beachtung verhindert hätte?
Forum IV endlich will dartun, dass Missbrauch ein zu erwartender Nebeneffekt einer falschen Sexualmoral ist. So heißt es zunächst vorsichtig in der Einleitung zum Grundtext: „Zwar ist die Sexuallehre der Kirche für die furchtbaren Akte sexualisierter Gewalt nicht unmittelbar ursächlich. Gleichwohl bildet sie einen normativen Hintergrund, der solche Taten offensichtlich hat begünstigen können.“ Eine kühne Behauptung, die sich auch dann noch nebulös darstellt, wenn gesagt wird, durch „die Lehre zu Sexualität und die kirchliche Praxis haben sich Mitglieder der Kirche, aber auch die Kirche als Institution und Gemeinschaft der Glaubenden schuldig gemacht.“
Im Hintergrund steht die ebenso fragwürdige wie unhinterfragt übernommene Erkenntnis der MHG-Studie „dass gesellschaftliche Tabuisierung und Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen, individuelle Probleme im Ausdruck von Nähe und Distanz, fehlende Möglichkeiten und Hemmungen, mit anderen Menschen über (eigene) Sexualität zu sprechen, sowie eine für Teile der römisch-katholischen Kirche charakteristische Homophobie zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen beigetragen haben könnten.“ In Anlehnung an den schönen Filmtitel von Rosa von Praunheim könnte man sagen: „Nicht der Missbrauchstäter ist pervers, sondern die Kirche, in der er lebt.“ Bekehrung wird vornehmlich von der Kirche erwartet, die sich zur „Lebenswirklichkeit heute“ bekennen müsse, in der es neben der Höchstform Ehe sexuelle Lebensformen und Lebensäußerungen jeder Art gibt, denen man die „zeichenhafte Wertschätzung“ nicht vorenthalten dürfe.
In der Tat ist die Sexualmoral der Kirche anspruchsvoll bis hin zu persönlicher Überforderung, der man (wie Papst Franziskus) nur mit einer Mischung aus Barmherzigkeit und Prinzipientreue begegnen kann. Sie kristallisiert sich um zwei biblische Kernaussagen. Erstens um die Schöpfungsordnung, in der die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau herausgestellt wird, zudem die Hinordnung der menschlichen Sexualität auf die nur hier mögliche Vereinigung im Fleisch (Gen 2,24) und die daraus resultierende Fruchtbarkeit – eine Matrix, die zweitens noch dadurch aufgewertet wird, als sie das „Realsymbol für die Einheit zwischen Christus und seiner Kirche“ darstellt, „eine Einheit, die nicht zeitlich begrenzt ist oder nur ´auf Probe´ gilt, sondern ewige Treue bedeutet.“ (FC 81).
Der Synodale Weg fordert die Protestantisierung
Ein allgemeines theologisches Wohlgefallen über eine Ethik, die sich auf das je spezifische Begehren von Subjekten und ihre Realisierung in einer unübersehbaren Vielfalt von Lebensformen bezieht, ließe sich nur realisieren unter Sprengung des Granitfelsens von KKK 2390, wonach die sexuelle Begegnung „ausschließlich in der Ehe“ ihre prinzipielle und sinnvolle Beheimatung hat. Den katholischen Bischof möchte ich sehen, der in einem Aufwasch seine Zustimmung zur prinzipiellen Entkoppelung von Sex und Ehe und zur Unterminierung der Unauflöslichkeit der Ehe gibt.
Das nämlich bedeuten die Entwürfe des Synodalen Weges. Sie sind in der Tat „Protestantisierung“ der Katholischen Kirche. Der „Synodale Weg“ sucht nicht Salz und Licht des Evangeliums; eine weithin selbst schon säkularisierte Funktionärskaste dient sich der allgemeinen Säkularisierung durch „Selbstsäkularisierung der Kirche“ (Wolfgang Huber) an und organisiert ein Machtspiel, um im finalen Verteilungskampf ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu ergattern. Mit dem Synodalen Weg wiederholt eine falsch ansetzende Reform den protestantisch gebahnten Gang in immer neue Finsternisse der Irrelevanz. Licht fällt auf die Kirche erst wieder, wenn sie „gelegen oder ungelegen“ (2 Tim 4,2) beim Evangelium bleibt, um von Christus her in die Morgenröte einer Auferstehung zu gelangen.