Zweimal Freiheit und Gehorsam – einmal Erlösung

Am Fest der unbefleckten Empfängnis Mariens im Schoß ihrer Mutter Anna feiert die Kirche eben dieses Ereignis rückblickend, aber gleichzeitig auch auf ein anderes vorausblickend: Es ist die Anfrage Gottes durch den Erzengel Gabriel an dieses zur Frau gewordene Kind und noch einmal gleichzeitig die Antwort der jungen Frau aus Nazareth nach kritischer Nachfrage mit: „Ja“. Unserem Autor, Helmut Müller, kommt es erstens darauf an, dass diese Anfrage nur an eine Frau – und zwar von Kopf bis Fuß – gerichtet sein kann. Zweitens will er aufzeigen, wie er das römische Schreiben zum Titel Mariens Miterlöserin (Mediatrix) liest und zwar so: Zweimal Freiheit und Gehorsam, aber nur ein Mal Erlösung und die ist umfassend.

Der Gehorsam Mariens

„Sei gegrüßt, Du Begnadete, der Herr ist mit Dir. Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was der Gruß zu bedeuten habe. Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte Dich nicht, Maria; denn Du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst Du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. … Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über Dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird Dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. Auch Elisabeth, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar galt, ist sie jetzt schon im sechsten Monat. Denn für Gott ist nichts unmöglich. Da sagte Maria: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie Du es gesagt hast“ (Lk, 1, 28-38).

Die letzte Reliquie des Paradieses

Maria hat stellvertretend für das Menschengeschlecht den Weg gezeigt. Maria ist der  heilige Rest (vgl. Esra 9,15), der dem alten Bund mit Gott treu geblieben ist. In ihr ist dieser Bund ein einziger geblieben, ursprünglich und zukünftig zugleich: Nach Kardinal Faulhaber ist sie die letzte Reliquie des Paradieses und nach Eph 5,27 das Vorausbild der ecclesia immaculata. Vertrauend auf Gottes Verheißung, hat sie sich auf seinen Heilsplan eingelassen. Sie hat den Weg für die Güte Gottes in unseren Lebensbereich, der seit Adam und Eva vom Bösen infiziert worden und von Bundesbrüchen übersät ist, unsererseits nie gebrochen. Die übermenschliche Mächtigkeit des Bösen, wie sie im Ungehorsam der Engel versucht wird zu erklären, kann nur von Gott niedergerungen werden. Aber wie das Böse nur durch einen Menschen in den Lebensbereich des Menschen eindringen konnte, so kann auch das Gute nur durch einen Menschen wieder in den von Bösem durchsetzten und von Bundesbrüchen gekennzeichneten irdischen Bereich eindringen. Gott macht seinen Heilsplan abhängig vom Ja Mariens. Dieses Ja öffnet den Bereich des Irdischen für einen neuen Beginn. Es ermöglicht unsererseits wieder die Bundespartnerschaft mit dem dreifaltigen Gott. Jeder einzelne ist nun aufgerufen, dieses Liebesbündnis wie Maria mit dem dreifaltigen Gott zu schließen. Dieses Bündnis ist kein Verhängnis über uns, sondern freie Bindung von uns an alle anderen im Bündnis.

Der Gehorsam Jesu

„Dann verließ Jesus die Stadt und ging, wie er es gewohnt war, zum Ölberg; seine Jünger folgten ihm. Als er dort war, sagte er zu ihnen: Betet darum, dass ihr nicht in Versuchung geratet! Dann entfernte er sich von ihnen ungefähr einen Steinwurf weit, kniete nieder und betete: Vater, wenn Du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern Dein Wille soll geschehen. Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und gab ihm Kraft. Und er betete in seiner Angst noch inständiger, und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte“ (Lk 22, 39-44).

Wie schon gesagt: Das Böse ist mehr als nur menschliches Gemächte. Es kann nur von einem Gott niedergerungen werden. Gott selbst wird Mensch im Schoß Mariens und zeigt erneut, dass die Befolgung der Lebensordnung Gottes das Böse in dieser Welt niederringt. Sein Leiden und Sterben hat den Bereich des Irdischen für das Gute wieder freigeschaltet: In und durch Christus wird dem Menschen eine neue Bundespartnerschaft angeboten. Den Willen des Vaters tun heißt, die Gebrauchsanweisung zu befolgen, die Leben gelingen lässt und Schiffbrüche im Leben vermeidet: Es heißt, sich für die angebotene Bundespartnerschaft, das Leben in Fülle zu entscheiden, gegen bürgerliche Sattheit, kurzfristige Befriedigung und vordergründiges Wohlfühlglück.

Die Frucht des Gehorsams oder des Ungehorsams

Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten. Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?“ (Lk 9, 23-26).

Der Baum des Lebens des Salzburger Missale erleichtert die Entscheidung: Eva hat, von der Schlange verführt, vom Baum in der Mitte des Gartens den Tod gepflückt und an das ganze Menschengeschlecht weitergegeben. Maria auf der anderen Seite hat durch ihr Ja zur Menschwerdung Gottes in ihrem Schoß und in der treuen Nachfolge ihres Sohnes ebenfalls von einem Baum, nämlich vom Holz des Kreuzes, das Leben gepflückt und jedem, der sich darauf einlässt, weitergegeben, das Leben im Liebesbündnis mit Gott, das Leben in Fülle. Durch Maria vermittelt, lebt die alte Bundespartnerschaft wieder auf. Das Salzburger Missale macht die Entscheidung leicht und glasklar, was im konkreten Leben unglaublich schwer sein kann, vordergründiges Wohlfühlglück – Eva reicht eine letztlich todbringende Frucht – von Leben in Fülle – Maria reicht die Eucharistie – unterscheiden zu können.

Mutterschoß und Sohn – Geschlechtergerechtigkeit bei der Erlösung

Das Angebot der Bundespartnerschaft mit Gott ist keine Erlösung durch einen Zauberstab, kein Mausklick, hinter dem die Fülle des Lebens aufgeht. Gott nimmt den Menschen als Partner und als Mann und Frau ernst. In der Frau und der Geborgenheit eines Mutterschoßes tritt er dann als Mann ans Licht der Welt. Als Männer oder Frauen sollen wir uns so entscheiden, immer wieder neu unser ganzes Leben lang, den Weg im Bund mit Gott zu gehen. Sakramental gestärkt wird es keine endlose Durststrecke werden, sondern ein waches Aufmerken für die Zusprüche Gottes, denen der Mensch mit Vertrauen, Lob und Dank begegnet, die er aber auch mit Klage und Bitte in Liebesansprüchen einfordern darf.


Dr. phil. Helmut Müller
Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag.  Helmut Müller ist Mitautor des Buches „Urworte des Evangeliums“.


Bild: Berthold Furtmayr „Baum des Todes und des Lebens“
Salzburger Missale, vor 1481, gemeinfrei

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