Es mangelt an vielem in der Kirche: Priestermangel, Gläubigenmangel und Mangel an Gemeinschaft. Ob ein Strukturwandel hier Abhilfe schafft, ist mehr als fraglich. Patricia Haun skizziert den traurigen Wandel in einer ländlichen Pfarrei und wünscht sich zunächst die Erneuerung der Glaubensgemeinschaft.
Kirche als Communio
Samstagmorgen, eine 2000-Seelen-Gemeinde in einer katholischen Gegend auf dem Land. Eine festlich geschmückte Pfarrkirche, Ankündigung des Festgottesdienstes zur „Eisernen Hochzeit“ für 10 Uhr im Amtsblatt – eine Zeit, zu der die meisten Menschen frei haben. Das Jubelpaar, im Dorf-, Vereins- und vor allem Pfarreileben bestens bekannt, feiert 65 Jahre Eheleben, der Mann zudem seinen kürzlichen 90. Geburtstag. Als gläubige, regelmäßige Gottesdienstbesucher war es deren Wunsch, ja eine Selbstverständlichkeit, das Jubiläum mit einem Dankgottesdienst zu begehen. Dies unter Mitwirkung eines Enkels, ein ehemaliger Regensburger Domspatz, der einen Ohrenschmaus an Sologesang darbot und der örtlichen Musikkapelle, die den Gottesdienst mit der Schubert-Messe feierlich begleitete. Dies hatte Konzertcharakter und verursachte Gänsehautfeeling. Dazu das Vorbild der beiden betagten Eheleute, deren ehrliches und bewegendes Bekenntnis zur lebenslangen Ehe. Ein Augen- und Ohrenschmaus und vor allem was für Herz und Seele, noch dazu in Verbindung mit der Eucharistie, dem größten Liebesbeweis Jesu Christi. Was will man mehr an einem gewöhnlichen Samstag? Das für mich Traurige an diesem Erlebnis: Die (an)teilnehmende Pfarrgemeinde suchte man vergebens. Trotz öffentlicher Bekanntmachung war dieses Fest(angebot) ein rein privates Ereignis.
Wo ist die Kirche als Communio, wie sie in Communio Sanctorum beschrieben ist?
„Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein“ (Joh 17,21)
Gelegenheit zum Gemeindefest
Eins in Christus und eins untereinander. Eine schöne Idee bzw. Vorstellung. Die Taufe ist das erste und grundlegende Sakrament, durch das ein Mensch in die Glaubensgemeinschaft der Christen aufgenommen wird. Doch bei Taufen beobachte ich schon seit zwanzig Jahren, wie dieses Sakrament zur Privatsache geschrumpft ist. Waren bei der Taufe unserer ersten Kinder noch einzelne Nachbarn, Chormitglieder und Pfarrgemeindemitglieder gekommen, so ist heute die Taufgesellschaft in der Regel unter sich. Doch sollte nicht die Glaubensgemeinschaft (möglichst vollständig) anwesend sein, wenn ein neues Mitglied aufgenommen wird? Wie schön wäre es, wenn aus jeder Taufe ein Gemeindefest würde, bei dem alle Gläubigen einer Pfarrei zusammenkommen, das neue Mitglied willkommen heißen und den Beginn eines Glaubens(lebens)weges kennzeichnen. Wie wichtig ist die Begleitung des Glaubensweges durch Glaubenszeugen, Menschen, die man kennt, denen man vertraut und von denen man bereit ist zu lernen! Doch wo sind diese Menschen heute?
Von Kuchenbackgremien und Dienstleistungskirche
Die oftmals mühselig organisierten Pfarrfeste könnte man sich sparen – nach meiner Beobachtung übrigens ein Hauptjahresprojekt des Pfarrgemeinderates. Selbst zwei Perioden Mitglied eines solchen von mir scherzhaft „Kuchenbackgremium“ genannten „Rates“, musste ich traurig feststellen, dass ein Ziel desselben war, die Kirchenkasse zu füllen. Würde man die Kirchenfeste und die Feste der Pfarreimitglieder ernsthaft (mit)feiern, würde sich ein extra Pfarrfest erübrigen.
In manchen Gegenden wird nach einer Bestattung zum sogenannten „Tröster“ in Gemeinschaft eingeladen und der gesellige Teil wird tatsächlich durch Pfarreimitglieder ausgerichtet. Kuchen backen, Pfarrsaal herrichten und Bewirtung wird in diesem Fall zum Liebesdienst an den Mitgläubigen. Ein schönes Beispiel gelebter Nächstenliebe, Anteilnahme und Gemeinschaft.
Spätestens seit Corona sind leider auch Bestattungen zur Privatsache verkommen. Immer öfter liest man in Traueranzeigen „Die Beisetzung fand im engsten Familienkreis statt.“ Dienten früher Traueranzeigen auch der Bekanntmachung des Beerdigungstermins, sind es heute immer öfter Vollzugsmeldungen. Meine Schwiegermutter hat mich gelehrt, dass es Ehrensache sei, dass mindestens ein Mitglied eines jeden Haushaltes am Friedhof anwesend ist, wenn ein Gemeindemitglied verabschiedet wird. Früher konnte man an der Anzahl der Teilnehmer die Bekanntheit oder auch die Beliebtheit eines Verstorbenen ablesen. Schon wenn die Totenglocken läuteten und der Name des Verstorbenen bekannt wurde, mutmaßte man, ob es wohl eine „große Beerdigung“ würde. Auch wenn dies oftmals sicher auch menschlicher Schwäche im Sinne von Dorftratsch geschuldet war, hatte es doch etwas Verbindendes. Man wusste sich wahrgenommen, geschätzt, aufgehoben, verbunden in der Gemeinschaft der Christgläubigen. Im Beitrag von Helmut Müller über Identität und Herkunft scheint dies noch durch, was ich mit etwas Wehmut gelesen habe. In unserem Dorf ist die Teilnahme an Beerdigungen deutlich zurückgegangen, was sicher auch dem demografischen Wandel geschuldet ist. Die traditionsbewussten Schwiegermütter werden weniger, die berufstätigen Frauen mehr. Die Gläubigen an sich werden weniger, die praktizierenden Gläubigen erst recht, was einen weiteren Grund birgt, warum kirchliche Ereignisse in den Hintergrund des Privaten rücken.
Berieselung von der Wiege bis zu Bahre
Die Christen wissen oftmals nicht mehr, wie Liturgie geht, wann man im Gottesdienst sitzt, steht oder kniet. Mitsingen der Lieder wird als peinlich empfunden, wenn überhaupt die Melodien noch geläufig sind. So beschränkt man sich auf Zuhören und Zuschauen, lässt sich quasi berieseln oder hofft, dass das unangenehm Fremde bald vorüber sein möge und man sich dem geselligen Teil widmen kann.
In den 80ern und 90ern hieß es noch: „Unser Leben sei ein Fest!“. Allerhand neues christliches Liedgut wurde kreiert, das vor allem die Gemeinschaft beschwor und Christus selbst an den Rand drängte. Diese Festgesänge sind längst verklungen. Pastoralpläne versuchen die Betreuungskirche zu bedienen so gut es geht, die „Gläubigen“ durch die Lebensstationen Taufe, Erstkommunion und oftmals auch zugleich Letztkommunion, vielleicht Firmung, Eheschließung und Bestattung zu geleiten. So wird die Kirche auch von vielen als Dienstleister wahrgenommen, quasi von der Wiege bis zur Bahre. Wofür zahlt man schließlich Kirchensteuer?
Ich erinnere mich noch an Verabschiedungszeremonien und -rituale, die wenige Jahrzehnte zurückliegen und wie diese sich zunächst schleichend, dann abrupt verändert haben. Früher wurde bei einem Todesfall zunächst der Pfarrer gerufen, heute ruft man oft zuerst das Bestattungsunternehmen an. Früher war es bei uns üblich, zwei Rosenkränze an zwei Abenden im Vorfeld der Beerdigung gemeinsam mit der Pfarrgemeinde in der Kirche zu beten, abwechselnd rechte und linke Kirchenbänke. Später, als die Versammlungen schon kleiner wurden, gab es ehrenamtliche Vorbeter, dann wurde auf zwei Rosenkranzgebete reduziert – einer am Vorabend, einer am Tag der Beisetzung. Heute findet ein öffentliches Rosenkranzgebet nur noch in Ausnahmefällen und bei sehr gläubigen oder traditionellen Familien statt.
Von einer „reichen“ zu einer „armen“ katholischen Kirche
Spricht man mit Angehörigen von Verstorbenen, herrscht oft Erleichterung darüber, dass das Sterben und der Tod inzwischen ins Private zurückgenommen wurde. Man steht nicht (mehr) unter Beobachtung wie früher und kann die Zeremonie individueller gestalten, hört man Angehörige argumentieren. Auch die Bestattung selbst wird immer häufiger von Friedhöfen in Friedwälder mit anonymem Charakter verlegt. Ich erinnere mich, dass Eltern und Großeltern früher etwas spöttisch auf nüchterne evangelische Zeremonien geschaut haben. Wenn man an einer evangelischen Taufe, Hochzeit oder Trauerfeier teilgenommen hatte, wurde im Vergleich der Reichtum der katholischen Kirche in den Riten, Farben, Gewändern, Weihrauch, Liedern usw. gepriesen. Wie festlich war doch ein katholischer Gottesdienst in vollbesetzter Kirche. Wie arm sind wir doch geworden in unserer katholischen Kirche! Nicht arm an Grundstücken, Prunk oder Finanzen – nein, arm an Festlichkeit und Gemeinschaft und vor allem arm an Glauben!
Von der betreuten Volkskirche zu echter Glaubensgemeinschaft
Dabei ist unser Glaube doch gemeinschaftstiftend UND individuell: „Ich habe Dich bei deinem Namen gerufen.“ (Jesaja 43,1) Bei der Taufe wird uns versichert, dass wir einzig, einzigartig und wichtiger Teil der Gemeinschaft sind. Bei der Verabschiedung aus dem Leben wird uns in der Glaubensgemeinschaft ein Übergang in die Ewigkeit geebnet, ein Weg, den schon viele vor uns gegangen sind. Ja, geboren werden und sterben ist immer individuell und persönlich. Doch Anfang und Ende in Gemeinschaft sind tröstlicher, weniger einsam und selbstverständlicher. Ein Ausnahmezustand wird eingebettet ins Gewöhnliche, ins Tagesgeschäft und somit wird auch ein Tag des Willkommens und des Abschieds zu einem Fest für alle – eine Hochzeit oder ein Hochzeitsjubiläum erst recht! Wie schön wäre es, wenn wir zurückfinden könnten zur Communio, zur Gemeinschaft der Glaubenden, die gegenseitig stützt und trägt.
Ansätze, wie dies gelingen kann, finden sich in Neuaufbrüchen in der Kirche, bei überzeugten Gläubigen, die sich auf das Wesentliche unseres Glaubens zurückbesinnen und in dem Buch „Urworte des Evangeliums – für einen neuen Anfang in der katholischen Kirche“. Wie sehr würde ich mich statt eines Strukturwandels in der Kirche über einen Wandel von der Volkskirche zu einer echten GlaubensGEMEINSCHAFT freuen, die voneinander lernt, miteinander feiert und trauert und, vor allem, den Glauben teilt.
Patricia Haun
Jahrgang 1971, ist freie Journalistin, Mutter von vier Kindern und Großmutter zweier Enkel. Sie ist Mitgründerin von EuroProLife und Gründerin der „Gebetsvigilien für das Leben“ in Aschaffenburg und Frankfurt. Sie arbeitete als Redaktionsleiterin für Durchblick e. V. und wirkt mit bei der Initiative „Neuer Anfang“
Bild: Bernhard Schweßinger In: Pfarrbriefservice.de