Der Bestsellerautor („Irre! Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen“, „Der blockierte Riese“), Diplomtheologe und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Manfred Lütz hat in der aktuellen Ausgabe des Politmagazins DER SPIEGEL unter dem Titel „Alle sind erschüttert – und dann?“ eine fatale Bilanz der bisherigen Missbrauchs-Aufarbeitung der Katholischen Kirche gezogen. Lütz ist Experte in Sachen Missbrauchs-Aufklärung. Im Auftrag von Papst Johannes Paul II. organisierte er 2003 im Vatikan einen Kongress zum Thema Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester und Ordensleute und beriet später auch die Bischofskonferenz.
Im Spiegel zieht er kritische Bilanz für Kirche aber auch Sport in Deutschland. Zitat aus dem Text: „Wie soll der Staat umgehen mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt? Anders als etwa in Irland, Australien oder Österreich hält sich der Staat in Deutschland bisher weitgehend aus der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen heraus. Das Ergebnis: Niemand übernimmt wirklich Verantwortung; die Betroffenen fühlen sich nicht ausreichend gehört und entschädigt. Schlimmer noch. Als Psychotherapeut gewinnt man den Eindruck, dass die Missbrauchsaufarbeitung in Deutschland den Opfern schadet und Täter gefährlicher macht.“
Lütz kritisiert auch, dass die Aufarbeitung zwar Juristen beschäftige und bezahle, aber faktisch niemand zur Verantwortung gezogen wird. Zitat: „In 12 Jahren millionenschwerer »Aufarbeitung« in der katholischen Kirche ist noch kein einziger Verantwortlicher wegen eigenen Fehlverhaltens freiwillig zurückgetreten. Das Scheitern dieser Art von juristischer Aufarbeitung wird erfolgreich durch grandios inszenierte Pressekonferenzen verschleiert, in denen sich Juristen am theatralischen Auftritt versuchen. In Köln war die bühnenreife Darbietung – die immerhin 90.000 Euro kostete – so wirkungsvoll, dass gleich zwei Weihbischöfe zeitweilig abgesetzt wurden und ein Erzbischof seinen Rücktritt anbot, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch niemand eine Zeile des Gutachtens gelesen haben konnte. Die Juristen diktierten den Journalisten sogar die Schlagzeilen. In Köln war es »Brüder im Nebel«, in München »Bilanz des Schreckens«.
Bernhard Meuser, Mitbegründer unserer Initiative Neuer Anfang kommentiert den Beitrag von Lütz mit folgenden Worten: „Für mich ist dieser Artikel im heutigen „Spiegel“ der weitaus wichtigste Beitrag zum Thema seit Publikation der in vieler Hinsicht schiefen MHG-Studie, die mich als persönlich Betroffenen ob ihrer methodischen Mängel und seltsamen Folgerungen („Die grundsätzlich ablehnende Haltung der katholischen Kirche zur Weihe homosexueller Männer ist dringend zu überdenken….“) empörte. Die Schlüsse, die Manfred Lütz zieht, sind radikal – und man kann darüber geteilter Meinung sein. Aber die Sachkunde, die aus jedem Satz spricht, ist das, was ich in der gesamten innerkirchlichen Debatte vermisse.“
Der Beitrag ist im aktuellen Magazin DER SPIEGEL zu lesen und hier unter dem Link abrufbar.