Als Fastenserie posten wir jeden Freitag die Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske.
Von jungen Eseln und schreienden Steinen.
Auslegung des Evangeliums vom Palmsonntag C Lk 19, 28-40
Lastenfahrrad statt Airforce one. Junger Esel statt stolzer Araber. Kurzer Jubel um einen galiläischen B-Promi. Das ist die Außensicht. Die Wahrheit: Der König Israels, Heiland der Heiden und Herr des Kosmos zieht in seine Stadt ein. Und trauert: Schweigt der messianische Jubel, dann bleiben nur noch Trümmer.
Jerusalem vor Pessach
Pontius Pilatus war nervös. Pessach stand bevor. An und vor den großen jüdischen Pilgerfesten hasste der römische Ritter seinen Job. Jedesmal drohten in dem vollkommen überfüllten Jerusalem diese verrückten Juden, die einfach keine Ruhe geben wollten, neuen Ärger zu machen. Wieso liebten die nur ihre „Freiheit“ so? Er verstand das nicht. Wer Roms Herrschaft anerkannte, konnte doch weitgehend seinen Bräuchen folgen… Aber diese Provinz ließ sich bisher einfach nicht befrieden…. Schon unter Caesar Augustus hatte es Unruhen wegen der Steuern gegeben. Und unruhig war es geblieben. Zumeist konzentrierten sich diese Unruhen um eine zentrale Gestalt, die die Juden ha maschiach, den Messias, den Gesalbten, nannten. Für die Römer einfach einer, der das Imperium nicht anerkannte und Aufstand inszenierte. Und mit Aufständen und ihren Anführern wussten die Römer umzugehen. Man war da nicht eben zimperlich… Aber angenehm war das nicht….
So also „the same procedure as every year“: Aufbruch von Caesarea am Mittelmeer, dem Amtssitz, mit einer Truppe Soldaten zur Verstärkung der Garnison in Jerusalem. Dort gab es in der „Antonia“, dem befestigten Stützpunkt mit direktem Zugang zum Areal des Tempels, eine schnelle Eingreiftruppe. Und Pilatus hatte für seine Aufenthalte in Jerusalem auch hier einen eigenen Amtssitz, vermutlich den ehemaligen Herodespalast. Auch der Herodessohn Antipas, Jesu Landesherr aus Galiläa, war in der Stadt. Pilatus musste also in Jerusalem anwesend sein, nicht so sehr aus Reverenz gegen die Juden, sondern primär aus Sicherheitsgründen, um auf eine brenzlige Situation unmittelbar reagieren zu können.
Und noch eines ist wichtig, um ein Bild zu bekommen: Jerusalem war zu den Wallfahrtsfesten wirklich, wie erwähnt, fürchterlich überfüllt. Nicht alle fanden Platz im Stadtgebiet. Sie erinnern sich: Jesus übernachtet bei Freunden auf dem Ölberg. Man kann die Dimensionen in etwa errechnen: Aus einigen zehntausend Einwohnern wurden massiv über 100.000. Vielleicht etwa 140. Man versteht die Nervosität des Pontius Pilatus…
Ein seltsames, paradoxes Ereignis am Ölberg
Pontius Pilatus war also vom Mittelmeer aus unterwegs oder schon in Jerusalem eingetroffen, als es von der anderen Himmelsrichtung, von Osten, von Jericho im Jordangraben her, mitten unter den nach Jerusalem strömenden Mengen von Pilgergruppen, und zwar an der Jerusalem zugewandten Seite des Ölberges, gegen Ende des Weges von Jericho nach Jerusalem also, zu einer seltsamen, ja befremdlichen und höchst paradoxen Szene kommt. Es geschieht dort, wo man vom Ölberg aus erstmals den Blick auf den Tempelberg hat. Bei Betfage also.
Ob Pontius Pilatus durch seine Spitzel von der Szene, die sich hier abspielt, Wind bekommen hat? Wenn die Spitzel die Szene richtig hätten einordnen können, dann hätte sich seine Nervosität wohl erheblich gesteigert: Hier wird ein König proklamiert, schon wieder so ein Messias… Droht Gefahr? Aufstand? Muss man eingreifen?
Aber wahrscheinlich ist das nicht: Der Pilgerstrom war zu unübersehbar, als dass die Szene besonders aufgefallen wäre. Vielleicht waren einige Dutzend der Jüngerinnen und Jünger daran beteiligt. Man darf sich da kein Großereignis im äußeren Sinn vorstellen. Die Menschen – Bewohner wie Pilger – waren vor dem Fest zu gut mit allen möglichen Dingen beschäftigt, als dass die Szene die großen Massen bewegt hätte. Man darf vermuten, dass Jesus erst mit der spektakulären Tempelaktion, die wir als Tempelreinigung kennen, in aller Munde war. Denn die stellte die Grundlagen des Tempelbetriebs infrage….
Unsere Szene liegt also für die äußere Wahrnehmung eher am Rand des Geschehens. Allerdings ist sie hochsymbolisch. Die Bedeutung liegt deshalb unter der Oberfläche, dort aber ist sie umso dichter. Unser Spitzel hätte deshalb überdies ziemlich schriftgelehrt sein müssen, um den Sinn der Szene wirklich zu entschlüsseln, obwohl er tatsächlich das Stichwort „König“ hätte hören können. Aber die Szene war so überhaupt nicht martialisch. Eher im Gegenteil. Kein Reiter auf stolzem Ross, sondern ein junger Esel als Reittier. Wie wenn Trump nicht mit der „Airforce one“, sondern mit dem Lastenfahrrad zum Antrittsbesuch nach Berlin, London oder Paris käme. Und keine Bewaffneten. Aber auch keine Geheimaktion. Völlig öffentlich, offen und ungeschützt. Und gerade so leicht zu übersehen, weil die Aktion in paradoxer Weise alle Vorstellungsschemata sprengte.
Ein demütiger König auf einem Esel, messianischer Jubel und ausgebreitete Kleider
Nehmen wir einmal an, ein tatsächlich geradezu idealer schriftgelehrter Spitzel der Römer, so wie heute ein Analyst und Experte bei einem Geheimdienst, wäre doch auf die Szene aufmerksam geworden und hätte sie – vielleicht, weil er schon das Gespräch Jesu mit seinen Jüngern belauschen konnte – von Anfang bis Ende beobachtet. Und nehmen wir an, unser perfekt vorgebildeter Spitzel hätte Jesus schon länger aufmerksam beschattet: Wie hätte er die Szene einordnen können?
Vielleicht hätte er unsere Szene so gelesen: Als Jesus nach einem ereignisreichen Weg – Lukas hat ihn in einem ausführlichen Reisebericht beschrieben – von Jericho nach Jerusalem geht und schließlich in die Nähe der Stadt zum Ölberg kommt, will er seine Ankunft in die Stadt offensichtlich zu einer Zeichenhandlung nützen. Er will demonstrieren, wer er ist und wer hier kommt. Aus einer Ankunft wird ein messianischer, königlicher Einzug. Aber nicht mit Pauken und Trompeten und vor allem mit nichts, das auf Aufstand gegen die Römer und bevorstehender Gewalt hinweist. Gerade im Gegenteil: Die Zeichensprache, die er wählt, weist auf Demut und Friedfertigkeit hin. Hier kommt keiner, dem es um gewaltsame Befreiung vom Römerjoch geht, sondern ein Friedenskönig.
Tatsächlich proklamieren ihn seine Jüngerinnen und Jünger ganz direkt als König: „Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe.“ Der zweite Teil des Verses spiegelt den Gesang der Engel in der Weihnachtsgeschichte, aber der Friede ist jetzt im Himmel. Das fällt auf: Vielleicht ein Hinweis auf die bevorstehende Passion und dass Jerusalem das Momentum des messianischen Friedens verpassen wird. Dennoch im Kommen dieses Königs liegt Frieden und himmlische Herrlichkeit. Und das ist entscheidend.
Und tatsächlich spielen sowohl das Ausbreiten der Kleider als auch das Reittier des Esels in der Proklamationsgeschichte der Könige Israels eine Rolle: „Und als sie hineinkamen vor den König, sprach der König zu ihnen: Nehmt mit euch die Großen eures Herrn und setzt meinen Sohn Salomo auf mein Maultier und führt ihn hinab zum Gihon.“ (1Kön 1, 32f.) Das ist keine normale Situation, sondern der Hintergrund ist eine heftige Krise, in der David seine Nachfolge in seinem Sinne gerade noch retten kann. Das verwendete Verb ist aber genau das, das auch Lukas verwendet, als die Jünger Jesus auf den jungen Esel setzen – und nur dort im Neuen Testament zu finden! Und hier die ausgebreiteten Kleider: „Da nahm jeder eilends sein Kleid und legte es vor ihn hin auf die bloßen Stufen, und sie bliesen die Posaune und riefen: Jehu ist König geworden!“ (2Kön 9, 13). Das verdeutlicht also: Es handelt sich wirklich um eine Königsproklamation!
Aber unser in der Schrift ideal bewanderter Spitzel findet noch eine andere Schriftstelle, die sozusagen die messianische Tiefendimension unserer Königsproklamation ausleuchtet: „Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.“ (Sach 9, 9f.) Der, der da kommt, ist demütig. Er ist ein König, der endgültigen Frieden stiftet – eben messianischen Frieden. Aber in seiner demütigen Verborgenheit ist seine Herrschaft zugleich universal.
Der Herr und die schreienden Steine
Auch die in der Demut Jesu verborgene Hoheit deutet aber unser Text an. Denn die Feststellung, dass die vorausgeschickten Jünger – es sind immer zwei, die vorausgeschickt werden, wenn Jesus kommt! – einen angebundenen Esel finden werden, ist prophetische Ansage. Sie erfolgt aus einer göttlichen Klarsicht. Und dann wird der, der hier handelt, zweimal einfach „Herr“ schlechthin genannt: „Der Herr braucht ihn.“ Und die, denen der Esel gehört, lassen zu, dass er weggeführt wird ohne jeden Widerspruch. Hier zeigt sich eine Souveränität und Autorität, der zu folgen selbstverständlich scheint.
Deshalb ist auch der, der hier kommt, der, an dem sich das Schicksal Jerusalems entscheidet. Unmittelbar nach dem Einzug – im Blick auf die Stadt und den herrlich ausgestatteten herodianischen Tempel – weint Jesus über Jerusalem. Jerusalem verliert die Möglichkeit des Friedens. Sie wird ihm verborgen. Denn Jerusalem hat den messianischen Moment des Kommens Jesu verpasst. Es wird am Ende der Spur der Gewalt folgen, die zu seiner Zerstörung im Aufstand von 66-70 n. Chr. endet.
So ist auch das letzte Wort Jesu zu verstehen! Wohlmeinende Pharisäer wollen Jesus warnen: Meister, pass auf, durch die Messiasproklamation deiner Jünger bringst du dich in größte Gefahr. „Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien“. „Werden“ steht dort, nicht „würden“! Also nicht, wie es oft verstanden wird: Der messianische Lobpreis ist nicht zu unterdrücken. Sondern: Dort, wo der messianische Lobpreis schweigt, führt der politische Weg zum Schluss in Gewalt und Zerstörung. Nur die Klage der Trümmer wird dann am Ende bleiben. Gilt das auch heute, so frage ich mich: Wo der Lobpreis Jesu schweigt, geht der Weg zur Gewalt, weil der Weg des Friedens sich verbirgt und verschließt? Ja, das glaube ich! Und so, weil ich das glaube, will ich nicht aufhören den Herrn zu preisen!
Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Weitere Beiträge aus der Serie Fridays for FAITH:
Evangelium des ersten Fastensonntags
Evangelium des zweiten Fastensonntags
Evangelium des dritten Fastensonntags