Als Fastenserie posten wir jeden Freitag die Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske.

Vom Ernst der Umkehr und von der Liebe des göttlichen Gärtners.
Zum Evangelium des dritten Fastensonntags C Lk 13, 1-9

Zeit ist Frist. Darin liegt der Ernst unserer menschlichen Existenz – aber auch die Würde, die ihr Bedeutung gibt. Zeit ist Frist, denn menschliche Zeit ist begrenzt. Sie ist Zeit der Gnade, aber auch letzte Gelegenheit. Gelegenheit umzukehren und fruchtbar zu werden. Liebevoll versucht der göttliche Gärtner alles, damit wir Frucht bringen.

Massaker, Katastrophen und die menschliche Lust am Entsetzen

Menschen kommen zu Jesus. Sie haben Schlimmes zu berichten: Meister, hast Du schon gehört? Pilatus hat Galiläer massakriert – beim Opfer im Tempel. Ihr Blut vermischte sich mit dem Blut ihrer Opfertiere. Der Tempel ist entweiht. Ein Gräuel also. Schlimm, ungeheuerlich, entsetzlich, sensationell ist diese Nachricht. So etwas kommt nicht alle Tage vor! Was wird Jesus dazu sagen? 

Vielleicht war auch der eine oder andere dabei, der ein wenig stolz darüber war, für Jesus der „Erstüberbringer“ der spektakulären Nachricht zu sein. Wir Menschen sind so. Bei der kürzlichen Amokfahrt in Mannheim kursierten schnell Videos, die auf der Straße liegende abgetrennte Gliedmaße zeigten. Der Boulevard lebt ja zu einem nicht ganz kleinen Teil von der merkwürdigen Lust am Entsetzlichen. Das funktioniert, so lange einem das Entsetzliche nicht zu nah kommt, so lange man innerlich davon Distanz halten kann. Es ist entsetzlich, aber ich selbst bin ja – Gott sei Dank!  –  nicht selbst betroffen. Es ist entsetzlich. Aber mir geht es gut. Das Entsetzliche bestätigt mir das auf befremdliche Weise. Deshalb dringt es nicht bis in mein Herz vor. Da lasse ich es besser auch nicht zu nah heran. Man muss eine gewisse Distanz wahren. Dann gehen Anteilnahme, die Erleichterung darüber, selbst nicht betroffen zu sein und Sensationslust eine merkwürdige Verbindung ein.

Die unausgesprochene Frage an Jesus

Ja, und dann: Die, die Jesus diese Nachricht überbringen, wollen natürlich wissen, wie er die Sache „einordnet“. Hat Jesus, der prophetische Rabbi aus Galiläa, irgendeine plausible Erklärung für das Geschehen? Neudeutsch: Wie wird er es „framen“? Ja, ganz schlimm natürlich dieses verbrecherische Gemetzel, das Pontius Pilatus, das die Römer da begangen haben. Aber was ist mit denen, die es getroffen hat? Sie fragen sich: Was hat das mit Gott und seinem Handeln in der Welt zu tun?. Und was hat die Opfernden „disponiert“, selbst zu Opfern zu werden? Das Ereignis spitzt die Frage zu: Es hat Opfernde – also Religiöse, Fromme – getroffen. Im Haus Gottes! Das ist, wie wenn ein Auto in eine Gruppe Pilger auf Fußwallfahrt nach Altötting rast. Die Informanten kommen aber gar nicht dazu, die Frage und die mit dieser Frage verbundene religiöse Logik auszusprechen. Jesus nimmt sie vorweg und unterstellt diese „Denke“ einfach. Um sie sofort aus den Angeln zu heben.

Tun und Ergehen

Was genau ist das für eine Denke, die Jesus bei seinen Informanten einfach vorauszusetzen scheint? Es ist offensichtlich: Dass aus dem Tun eines Menschen sein Ergehen folgt. Wie einer handelt, bleibt nicht ohne Folgen. Durch sein Handeln bestimmt er sich: Wie er ist, resultiert aus seinem Handeln. Sein Handeln wirkt sich aus. Der Gerechte erntet Segen, der Sünder Fluch. Der Gerechte ist wie ein Baum am Wasser. Selbst in Dürre bringt er Frucht. Der Weg des Sünders verweht im Nichts. So hat Israel gedacht. Und damit gerungen. Denn oft genug scheint die Wirklichkeit, die harten Fakten, diese Sicht zu widerlegen. Der Gute ist der Dumme, der Sünder lacht sich ins Fäustchen. Aber Jesus unterstellt, dass seine Informanten am Zusammenhang von Tun und Ergehen festhalten: Die Opfernden, die zu Opfern wurden, müssen besonders schlimme Sünder sein. Die Stoßrichtung von Jesu Rückfrage: Nehmt ihr das wirklich an? Dann täuscht ihr euch gewaltig. Verneint Jesus damit den Zusammenhang von Tun und Ergehen? Ist unser Handeln für unser Schicksal vielleicht bedeutungslos? Hat das Massaker im Tempel und der Einsturz des Turmes von Schiloach – Jesus doppelt gleich nach, wenn er auf die Informanten reagiert – nichts mit der Situation des Menschen zu tun? Gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Wirklichkeit und unserem guten oder schlechten Handeln? Warten wir noch etwas mit der Antwort, die Jesus gibt! Schauen wir zunächst, wie er jedenfalls nicht antwortet.

Bischöflicher „Deismus“

Etwas zugespitzt: Jesus antwortet nicht, wie deutsche Bischöfe und evangelische Kirchenfrauen und -männer inzwischen stereotyp antworten, wenn nach einer Katastrophe – z.B. nach dem Tsunami von Weihnachten 2004 – die Frage an sie herangetragen wird: Wie kann Gott das zulassen? Ihre Antwort: Gott hat damit gar nichts zu tun. Schon gar nicht hat es etwas mit der Situation des Menschen zu tun. Und in der Tat: Die religiösen Schlauberger, die bei jeder Katastrophe gleich die zugehörige Sünde angeben können, auf die Gott strafend antwortet, haben unser Evangelium ganz offensichtlich auch nicht verstanden…. Aber hilft die Antwort unserer katholischen und evangelischen Kirchenoffiziellen weiter? Sie meinen es gut. Sie wollen Gott im Blick auf das Übel aus dem Spiel nehmen. Aber in Wahrheit nehmen sie ihn aus der Welt. Sie wollen Gott aus der Schusslinie nehmen, aus der Verantwortung – und erklären ihn damit im wahrsten Sinne des Wortes als unzurechnungsfähig. Verbannt ins metaphysische Hinterzimmer, ist er in der Welt nicht mehr da. Die Schöpfung ist sich selbst überlassen. Gott ist in ihr nicht gegenwärtig. Philosophisch nennt man diese Position „Deismus“: Gott hat die Welt geschaffen und sie dann sich selbst überlassen. Er handelt nicht in ihr und ist in ihr auch nicht gegenwärtig. Ein hoher, zu hoher Preis für den kurzschlüssigen Versuch, Gott aus der Schusslinie zu nehmen! Denn dieser bischöfliche Deismus ist metaphysisch dumm und religiös blasphemisch. Dumm, weil die Vorstellung, Gott könne etwas schaffen und das Geschaffene dann, wie ein fertiges Werkstück, sich selbst überlassen, übersieht, dass nichts wirklich sein kann, was Gott nicht in jedem Augenblick im Sein erhält. Zieht Gott seine schöpferische Hand zurück, aus der alles in jedem Augenblick hervorgeht, sinkt es ins Nichts zurück. Blasphemisch aber, weil Jesus uns das gerade Gegenteil sagt: Eure Haare sind gezählt und kein Spatz fällt vom Himmel ohne Gott. Und diese Aussagen stehen nicht am Rand. Sie gehören in die Mitte der Botschaft Jesu. Sie laden ein, sich selbst und alle Sorge loszulassen und fröhlich zuerst Gottes Königsherrschaft zu suchen. Das bleibt herausfordernd, weil Jesus dabei kein religiöser Träumer ist, der den Boden der Realität unter den Füßen verloren hat, sondern um alle menschlichen Katastrophenmöglichkeiten weiß. Seine Jüngerinnen und Jünger sind all dem ausgesetzt. Aber zuletzt gilt: Sie fallen niemals aus Gottes Hand. Täglich gibt es Wunder der Bewahrung. Gott hat das letzte Wort. Aber Jüngerinnen und Jünger genießen auch keinen magischen Sonderschutz, der automatisch funktioniert. Auch sie sind dem Übel ausgesetzt, wie es Jesus selbst war. In seiner Nachfolge sollen sie es annehmen. Er nennt das ziemlich drastisch: sein Kreuz auf sich nehmen. Denn man sollte nicht vergessen: Kreuz – das ist zunächst nicht etwas „Spirituelles“, sondern das brutale römische Hinrichtungsinstrument, an dem er später selbst stirbt. Es ist Jüngerinnen und Jüngern zugemutet. Seine Verheißung: Wir sind durch all das hindurch geborgen in der Hand des guten Gottes.

Jesu Drohbotschaft: Meint nicht, ihr könntet euch raushalten!

Die paradoxe Lust am Entsetzlichen, die nicht erst heute unsere Medienwelt beherrscht, sondern immer schon existierte, wo Menschen mit Nachrichten umgehen, setzt Distanz voraus. Distanz, die mir sagt: Gott sei Dank – ich bin nicht betroffen. Mir geht es gut. Die, die dem römischen Massaker zum Opfer gefallen sind, die müssen „besonders“ gewesen sein. Besondere Sünder. So „besonders“ bin ich nicht. Ich bin nicht betroffen! Jesus hebt diese Haltung aus den Angeln. Er zerstört die Distanz. Ihr könnt euch nicht raushalten, sagt er. Ihr seid in der Gefahr, ebenso katastrophal zu enden wie die Opfernden, die zu Opfern wurden, wie die, über die der Turm in Schiloach zusammenstürzte – und, und, und – wie Judäer und Galiläer und alle. Denn es ist klar: Wie Jesus hier nachdoppelt, das sagt: Keiner kann sich raushalten! Paulus wird sagen: Alle, Juden und Heiden, sind unter dem Zorn Gottes. Und wenn ihr da bleibt, wird es katastrophal enden. Ihr steuert auf die Katastrophe zu. Ob es einem passt oder nicht: Das ist eine Drohbotschaft. Und sie gilt für alle Zeiten. Auch heute. Denn das ist die Situation des Menschen. Und sie ist allenthalben und durchweg die Voraussetzung der Verkündigung Jesu. Aber es ist eine Drohbotschaft um des Lebens willen. Wir müssen den Ernst unserer Situation kapieren. Wir müssen aufhören zu sagen: Ich bin nicht betroffen, damit wir zum Leben finden. Es ist ernst. Aber gerade der Ernst zu begreifen, wie arm ich bin, dass ich Sünder bin, von mir aus verloren, weist auch den Weg zur Rettung, zu der Barmherzigkeit, die in Jesus auf uns zukommt, zu dem Neuanfang, der von ihm her möglich wird. Dabei geht es nicht darum, sich in einer pathologischen Weise „schlecht“ zu reden. Wenn Sie Mühe haben – was ganz natürlich ist -, dann stellen Sie sich eine Frage und nehmen sich Zeit, sie ruhig zu meditieren: Liebe ich Gott so, wie er geliebt werden will, soll und muss, wenn er wahrhaft und wirklich Gott ist? Gebe ich ihm die Bedeutung, das Gewicht, das ihm dann in meinem Leben zukommen müsste? Mit Gottes Gnade werden wir dahin geführt, uns selbst als Sünder zu erkennen und gleichzeitig die unbegreiflich liebevolle Barmherzigkeit, die uns ruft. Und die unsere Antwort, die Frucht der Liebe, will. Verrückterweise endet das nicht in pathologischer Selbstzerstörung, sondern in großer innerer Befreiung von all den Strategien der Selbstrechtfertigung, die viele von uns so virtuos entwickelt haben, und der Erneuerung des Lebens aus der Barmherzigkeit Gottes, in der alles weit und hell, voller Licht, wird. Das Geheimnis dieser Erneuerung heißt Umkehr, Metanoia, Umsinnung, Neuausrichtung der ganzen Existenz. Dazu fordert Jesus uns in allem Ernst auf: Nehmt euch nicht raus! Kehrt um! Nutzt die befristete Zeit, denn sie ist wirklich begrenzt! Sie ist Gnade und letzte Gelegenheit! Und so bringt Früchte der Buße und Erneuerung!

Jesu Frohbotschaft: Vom Weingärtner, der seine Pflanzen liebt

Aber das müssen wir nicht alleine leisten. Das bringt uns Jesus im abschließenden Gleichnis nahe. Es tauchen auf: Ein Weinbergbesitzer und sein Winzer. Ein Weinberg und mitten darin ein Feigenbaum – nicht ungewöhnlich damals. Der Feigenbaum aber hat ein Problem. Er ist auch nach Jahren fruchtlos. Und jetzt muss man darauf achten, wie der Weinbergbesitzer und der Winzer reagieren. Der Weinbergbesitzer fällt aus seiner Sicht ein völlig nachvollziehbares Urteil. Es ist objektiv richtig. Der Feigenbaum bringt sichtlich keine Früchte und damit keine Rendite, nicht einmal etwas zum eigenen Genuss. Und deshalb laugt er sinnlos den Boden aus. Man muss ihn abhauen. Das Urteil ist objektiv, es ist betriebswirtschaftlich richtig – aber es ist ein Urteil aus der Distanz. Der Winzer aber liebt seinen Weinberg und seine Pflanzen darin. Er hat zu ihnen ein Nahverhältnis. Er bestreitet das Urteil nicht. Aber weil er sogar dem fruchtlosen Feigenbaum nah ist, bittet er den Besitzer: Gib ihm noch eine Chance! Ich werde ihn besonders pflegen, düngen und den Boden kultivieren. Vielleicht trägt er doch noch! So wird, wie im Gespräch mit den Informanten vorher, eine letzte Frist, eine Zeit der Gnade als letzte Gelegenheit, sichtbar. Es sind zwei Aspekte im Verhältnis des einen Gottes zu uns, die hier zusammenkommen: Das objektive Urteil über unsere Verlorenheit und die unbegreiflich liebevolle Zuwendung des göttlichen Winzers, auf dass wir doch noch Frucht bringen. Paulus drückt das so aus, ein Text, den die Kirche immer wieder nimmt, um damit auch den besonderen Charakter der österlichen Bußzeit auszudrücken:  „Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht: »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“ (2Kor 6, 1-2). Nutzt sie also – die letzte Gelegenheit der Gnade und lasst zu, dass der göttliche Winzer an euch arbeiten darf!

 


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.

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