Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.

Einheit in Herrlichkeit
Auslegung des Evangeliums vom 7. Sonntag der Osterzeit C Joh 17, 20-26

Jesus betet für uns! Sein letzter Wille: Einheit in Herrlichkeit, Einheit in der Einheit von Vater und Sohn, Einheit in beider Liebe. Im Aufstrahlen des Glanzes solcher Einheit in Liebe wird die Welt – die verlorene, die gottlose, blinde – zur Möglichkeit des Glaubens befreit. Bergen wir uns in der Bewahrung, die Jesu Gebet uns schenkt!

Hohepriesterliches Gebet

Nach dem intimen Vermächtnis Jesu an seine Jünger in den „Abschiedsreden“ folgt bei Johannes eine nochmalige Steigerung und Konzentration. In Johannes 17, dem sog. „Hohepriesterlichen Gebet“ tritt Jesus in die betende Intimität mit dem Vater ein. Und nimmt die Jünger in diese Intimität hinein, ohne sie zu verletzen. Da geschieht tatsächlich eine einzigartige Synthese aus Intimität und Öffentlichkeit. Denn auch wir – als Leser- und Hörerschaft unseres Evangeliums – gehören ja zu dieser Öffentlichkeit, die bis zum Ende der Zeit währt; auch wir sollen uns dieser Intimität öffnen, in ihren inneren Raum eintreten, ja uns darin bergen. Andernfalls gleitet dieser Text an uns vorbei, bleibt leer und konturlos oder wird z.B. auf ornamentale Schmuckzitate für ökumenische Anlässe  („dass alle eins seien“) reduziert. Er ist öffentlich – aber sein Geheimnis, sein innerer Raum, ist bewahrt. Schauen wir also zunächst etwas in den Gesamtzusammenhang des hohepriesterlichen Gebets, dann wird sich unser Evangelienabschnitt viel leichter erschließen!

Die paradoxe Einheit aus Intimität und Öffentlichkeit im Gebet zum „Vater“ und zum „Heiligen Vater“ ist eine Spiegelung der Sendung Jesu. Jesus ist in die Welt gekommen, um vom Leben Gottes entfremdete Menschen zurückzuholen in das „Beziehungsleben“ Gottes, in die Liebesbeziehung von Vater und Sohn im Geist, in die innere, beziehungsreiche Wirklichkeit des Dreifaltigen, Lebendigen und Einen. Ewiges Leben liegt deshalb in der die ganze Existenz ergreifenden (nicht bloß kognitiven) Erkenntnis des Vaters und seines Gesandten: „Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“ (Joh 17, 3). Denn diese „Erkenntnis“, die ewiges Leben schenkt, ist nur möglich, weil darin – von Gott her – die Teilhabe am Lebenskreis von Vater und Sohn bereits geschieht: Der Erkennende ist schon in die Intimität hineingenommen. „Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.“ (Mt 11, 27): Dieser Vers aus Matthäus bringt genau auf den Punkt, wovon auch im hohepriesterlichen Gebet und an vielen anderen Stellen bei Johannes die Rede ist.

Die Offenbarung des Vaternamens durch den, der schlechterdings und von Ewigkeit her Sohn ist und die Hineinnahme aller Menschen, die dem Sohn glauben, in den Raum dieser Beziehung ist also die Sendung des Sohnes, sein Werk, das sich in der Erhöhung Jesu in Kreuz und Auferstehung vollendet. Das hohepriesterliche Gebet beginnt mit der Feststellung: Die „Stunde“ dieses Geschehens ist jetzt da, jetzt wird die Erhöhung geschehen, die im Geist, im anderen Parakleten (wie in den Abschiedsreden deutlich wurde), die Teilhabe an der Beziehung von Vater und Sohn endgültig möglich macht.

Und deshalb ist Jesu letzter Wille für seine Jünger ihre Bewahrung im Namen des Vaters, d.h. in der Wirklichkeit der Beziehung, die durch ihre Offenbarung durch den Sohn möglich geworden ist. Darum bittet er den Vater. Und da diese Beziehung immer wieder durch den Bösen und das Böse bedroht ist, bittet Jesus den Vater zugleich um die Bewahrung vor dem Bösen. Die Bewahrung im Namen und die Bewahrung vor dem Bösen bewirkt zugleich das Bleiben im Wort. Dieses Wort aber ist Wahrheit, Lebenswahrheit, die Wirklichkeit vermittelt, die Wirklichkeit wiederum von Vater und Sohn, ihrer Beziehung und unserer Teilhabe daran. Wer darin bleibt, ist geheiligt. So ist das dritte Element von Jesu letztem Willen die „Heiligung in der Wahrheit“.

Jesus betet für uns!

Auf diesem Hintergrund wird unser Evangelienabschnitt nun ganz durchsichtig. Er umkreist drei Wörter, die alle Ausdruck unserer Teilhabe an der Beziehung von Vater und Sohn im Geist sind und die deshalb ganz eng zusammenhängen: Einheit, Herrlichkeit und Liebe.

Aber vorweg ist noch etwas anderes festzuhalten. Etwas, das zutiefst berührt: Jesus betet für uns! Für Dich und mich und für uns als Gemeinschaft! War bisher der Blick auf die gegenwärtigen Jünger gerichtet, öffnet sich jetzt der Blick Jesu ins Unabsehbare. Er schaut betend auf die, die durch das Wort der gesendeten Zeugen glauben werden. Niemand glaubt durch sich selbst! Christ wird man nicht durch religiöse Erfahrungen, die dem einzelnen unmittelbar möglich sind (so wertvoll sie sein mögen, so mehrdeutig sie aber oft auch sind). Christ wird man durch die Begegnung mit dem in der Gemeinschaft der bezeugenden Kirche überlieferten Wort. Dieses Wort freilich kann uns bis in unsere innerste Mitte berühren. Es entfremdet uns nicht, sondern recht und in Wahrheit ausgerichtet, ruft es uns zu uns selbst, ruft es uns gerade aus der Gottentfremdung, die unsere tiefste Not ist, heraus.

Jesus betet also für die, die bis zum Ende der Zeit durch die Zeugen des Wortes glauben werden. Also auch für Dich und mich und seine Kirche heute. Und er hat nicht aufgehört damit. Alle trägt er vor das Antlitz des Vaters. Alle begleitet er. Um alle ringt er – auch und gerade in diesem Augenblick. Ja, er ringt, weil die Gottentfremdung, die Blindheit und die Verhärtung Wirklichkeit sind. Dies nicht zu sehen wäre selbst ebenso Blindheit wie zu übersehen, dass Gott das Heil aller will. Und deshalb ringt er, geht jedem nach, weil er keine Gewalt, sondern das – vielleicht noch ganz schwache und zaghafte – liebende Ja der Hingabe will. Über allem schwebt das unauflösbare Geheimnis von Gottesfinsternis, uneingeschränktem Heilswillen und Erwählung. Und deshalb trägt Jesus als Fürsprecher jeden Einzelnen von uns im Gebet vor den Vater.

Einheit

So werden unsere drei Wörter – Einheit, Herrlichkeit und Liebe – auf diesem Hintergrund ganz durchsichtig. Jesu letzter Wille zur Einheit meint keine Einheit, die Menschen herstellen können. Die Einheit der Jünger Jesu, die Einheit der Gemeinde, jeder Ortskirche und der universalen Kirche ist Gabe und Geschenk der Teilhabe an der Einheit von Vater und Sohn. Unser Evangelium bringt es auf den Punkt: Wir, als Kirche, sind eins in ihnen, in Vater und Sohn – und immer ist hinzuzufügen: durch den Geist, wie es die vorangehenden Abschiedsreden deutlich gemacht haben. Jede andere Einheit wird zerfallen. Jede andere Einheit wird starr und gewaltförmig, um dann zu zerbröseln.

Wir können diese Einheit also nicht „machen“! Aber gerade deshalb hat die ökumenische Bewegung, so wie sie sich auch die katholische Kirche zur Pflicht gemacht hat, sich diesen Vers – „dass alle eins sein sollen“ – völlig zu Recht zum Motto gewählt. Die Einheit ist Gabe. Genau deshalb ist sie aber auch Aufgabe! Der Einheit, die uns in Christus und in der Taufe immer schon geschenkt ist, sollen wir entsprechen. Das ist unsere Pflicht! Und dort, wo die Einheit verletzt ist, müssen wir alles tun, damit in Wahrheit und Liebe die Verletzungen heilen können. Auch das wiederum können wir nicht einfach „machen“. Aber für die Bedingungen, unter denen Einheit zur vollen Gemeinschaft wachsen kann, sind wir verantwortlich: „auf dass die Welt glaube“.

Herrlichkeit und Liebe

Dieser Glaube der „Welt“, der durch die Einheit der Kirche möglich wird, ist der Glaube, der Jesus als den Gesandten des Vaters erkennt. Hier ist viel mehr gemeint, als dass durch Zerstrittenheit eine Botschaft, die vermittelt werden soll, unglaubwürdig wird und eine solche Botschaft umso glaubwürdiger wird, je mehr alle an einem Strang ziehen (und Konflikte besser hinter verschlossenen Türen ausgetragen werden). Diese Klugheitsregeln der politischen Kunst und Kommunikation sind ohne Zweifel richtig. Und auch die Kirche täte gut daran, sie zu beachten. Allerdings gilt auch: Wenn es wirklich um grundsätzliche, prinzipielle Fragen geht, verliert man wiederum an Glaubwürdigkeit, wenn man sie nicht fair, grundsätzlich und öffentlich austrägt. Unsere Klugheitsregel hat also durchaus Grenzen.

Aber in unserem Evangelium geht es um eine viel tiefere Wirklichkeit, die ohne Ausnahme gilt: Dort, wo die Einheit der Kirche in Wahrheit und Liebe, in Glaube, Sakrament und Leiterschaft zerbricht, dort wird die Teilhabe am Leben des Dreifaltigen beschädigt und deshalb leuchtet aus der Kirche nicht mehr die Liebesherrlichkeit Gottes, die selbst für die „Welt“, die gottverschlossene und finstere, eine hinreißende Attraktivität entwickeln kann, eine Anziehungskraft, die sogar ihre Verhärtung aufzubrechen vermag. Denn nach Liebe und Glanz sehnt sich irgendwo tief noch die verfinstertste Seele. Aber nur verwurzelt in der Liebesherrlichkeit des dreifaltigen Lebens Gottes kann die Kirche als Stadt auf dem Berge leuchten. Sie kann Salz der Erde nur sein, wenn sie ihre eigene Einheit lebt aus der Einheit von Vater und Sohn. Nur so ist sie im guten Sinn Herausforderung, die die Sehnsucht nach Einheit, Wahrheit, Herrlichkeit, Glanz, Licht und Liebe weckt. Ansonsten sollte man sich über Indifferenz nicht wundern. 

An uns liegt es also nun, ob Gottes Liebesherrlichkeit in der Welt aufleuchtet, ob wir in unserer Einheit in der Liebe die Einheit Gottes so spiegeln, dass sie in der Welt aufglänzt. Aber es kommt nicht aus uns. Wir können es nicht machen. Wir können uns nur der Wirklichkeit öffnen, die der Dreifaltige uns schenkt. Hören wir Jesu Bitte an den Vater. Bergen wir uns in der bewahrenden Kraft seines Gebets. Lassen wir zu, dass er uns in seinem Gebet vor das Antlitz des Vaters trägt. Dann leuchten unter uns Einheit, Herrlichkeit und Liebe.


Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.


Weitere Beiträge aus der Serie Fridays for FAITH:

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Evangelium des zweiten Fastensonntags

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Evangelium des 2. Sonntags der Osterzeit

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Evangelium des 4. Sonntags der Osterzeit

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Evangelium des 6. Sonntags der Osterzeit

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