Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.
Der Himmel im Herzen
Auslegung des Evangeliums vom 6. Sonntag der Osterzeit C Joh 14, 23-29
Jesus wird unsichtbar für die Welt und beim Vater vollendet. Sein Vermächtnis: neue Gegenwart für die, die ihn lieben und deshalb sein Wort tun. In dieser Gegenwart ist Friede, Ruhe, Mut. Der Heilige Geist, Gedächtnis und Lehrer der Kirche, schafft den Raum dieser Gegenwart. Die himmlischen Wohnungen öffnen sich schon in den Herzen der Liebenden.
Das Vermächtnis Jesus
Am 5., 6., und 7. Sonntag der Osterzeit liest die Kirche in ihrer Eucharistie Texte aus den Kapiteln 13 -17 des Johannesevangeliums, zunächst aus den sogenannten „Abschiedsreden“. Am letzten Sonntag hörten wir einen Text aus dem Eingangsabschnitt am Ende des 13. Kapitels und dann, am kommenden 7. Sonntag der Osterzeit, aus dem sogenannten „hohenpriesterlichen Gebet“. Reden und Gebet sind Worte des Vermächtnisses, des „letzten Willens“, des Abschieds und der Verheißung. Sie blicken vor auf eine Zeit, in der Jesus den Augen der „Welt“ nicht mehr sichtbar ist, aber in eine neue Gegenwart für seine Jünger eintritt. In dieser neuen Gegenwart spielt der „andere“ Tröster und Anwalt, der Heilige Geist, eine entscheidende Rolle. So sind die Texte von einer neuen österlichen Gegenwart Jesu bestimmt und entfalten zugleich die Rolle des Geistes: „liturgisch ideal“ für die zweite Hälfte der Osterzeit im Ausblick auf Pfingsten!
Kann der Unsichtbare doch gesehen werden?
Unsichtbarkeit für die Welt, neue Gegenwart für die Jünger: das sind tatsächlich Grundmarkierungen, die diese Vermächtnisrede Jesu bestimmen. Sie sind ja wirklich auch die bestimmenden Faktoren unserer Situation – und zwar als schlichte Tatsache wie als herausfordernde Verheißung. Ja, Jesus ist unseren Augen nun unsichtbar und uns wird zugesprochen, aber auch auferlegt: „Selig, die nicht sehen und doch glauben.“ Wir bleiben Teil dieser raum-zeitlichen Welt, in der Jesus nicht mehr einfach greifbar „da“ ist. In dieser Welt also ist Jesus nun nicht mehr sichtbar – eine einfache Tatsache. Ohne Zweifel hat diese Tatsache eine abgründige heilsgeschichtliche Tiefendimension. Aber sie ist eben auch für die Jünger zunächst eine einfache Gegebenheit. Zugleich aber gilt: „Noch eine kleine Weile, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich: denn ich lebe, und auch ihr werdet leben.“ (Joh 14,19).
Das wiederum ist eine große Verheißung. Sie beschränkt sich nicht auf die österlichen Erscheinungen des Auferstandenen. Das „Sehen“ ist begründet im „Leben“ des Auferstandenen und der Teilhabe der Jünger an diesem Leben. Das neue, gegenüber dem Sehen in dieser Welt „andere“ Sehen, eine neue, andere Wahrnehmung, beruht auf der Lebensgemeinschaft mit dem Auferstandenen. Sie macht es möglich. Diese zunächst paradoxe Spannung zwischen „sehen“ und „nicht-sehen“ – paradox, weil sie nicht einfach säuberlich zwischen „Welt“ und „Jüngern“ aufgeteilt ist, sondern, obwohl sie auf dieser Unterscheidung beruht, dennoch auch die Jünger Jesu betrifft – der Meditation der Leserschaft aufzugeben, ist typisch für Johannes. So zieht er sie in seine Tiefenschau Jesu hinein – wenn sie sich darauf einlassen.
Den Weg, diese paradoxe Spannung von „sehen“ und „nicht-sehen“ in die johanneische Tiefenschau überzuführen, zeichnet unser Evangelium. Im Vers unmittelbar davor fragt der Apostel Judas Thaddäus Jesus nach genau dieser Spannung von „sehen“ und „nicht-sehen“: „Herr, was ist geschehen, weshalb du dich uns und nicht der Welt kundtun willst?“ (Joh 14,22). Die Verwirklichung der Verheißung einer neuen Wahrnehmung Jesu geschieht also offenbar nicht allgemein und eben auch nicht automatisch. Deshalb ist diese große Verheißung zugleich eine Herausforderung – auch für Jüngerinnen und Jünger Jesu. Von den geistlichen Bedingungen ihrer Verwirklichung spricht unser Evangelium.
Die Liebe verwirklicht das Wort
Im Buch Deuteronomium, das nichts anderes darstellt als die Abschiedsreden des Mose an Israel vor seinem Tod, wird die Verwirklichung der Tora, der guten Lebensweisung Gottes, motiviert durch die Liebe zu Gott. Die Tora soll das Herz formen und sie soll aus Liebe getan werden. Darauf zielt diese große, meditierende Vermächtnisrede des Mose: Aus Liebe soll das Wort verwirklicht werden.
Für Johannes ist in Jesus der göttliche Grund des Wortes Gottes und seiner Lebensweisung, das ewige, göttliche, personale Wort selbst, Fleisch geworden in der Gestalt von Gnade und Wahrheit, in der Gottes Liebesherrlichkeit aufglänzt. Liebe zu Gott kann jetzt nicht mehr unabhängig von Jesus realisiert werden. Denn er ist der Weg. Lebensweisung Gottes kann nicht mehr unabhängig von ihm realisiert werden. Denn er selbst ist das göttliche Wort, in dem Wahrheit und Leben ist. In ihm ist der personale Grund aller Worte Gottes unter uns Gegenwart geworden.
So heißt jetzt Gott zu lieben, Jesus zu lieben, heißt die Tora zu tun, sein Wort und sein Gebot zu verwirklichen. So aber verwirklicht sich jetzt auch Bundesgemeinschaft und Bundesverheißung: Gott wohnt segens- und lebensspendend inmitten seines Volkes.
In Jesu neuer Gegenwart nach der Erhöhung und Vollendung beim Vater nimmt diese Verheißung eine neue und intime Gestalt an: Wer Jesus liebt und sein Wort hält, auf dem ruht der Liebesblick des Vaters, denn das Wort, das in Jesus Fleisch wurde ist ja sein Wort. Und ihm ist die Einwohnung Gottes im Kommen von Vater und Sohn verheißen.
Am Anfang des Kapitels war von den Wohnungen im himmlischen Haus des Vaters die Rede und von der Stätte, die Jesus den Jüngern bereitet: In Jesu Erhöhung und Verklärung gewinnen wir Raum im Himmel, in Gott selbst, in seinem dreifaltigen Leben. Aber für die, die in der Liebe zu Jesus und im Tun seines Gebots, seines Wortes Jüngerschaft verwirklichen, öffnen sich die himmlischen Wohnungen in ihren Herzen schon hier. Der Brief an die Kolosser formuliert etwas, das dem ganz ähnlich ist, wenn er sagt, dass wir, obwohl wir doch auf dieser Erde, in der Sichtbarkeit, in Raum und Zeit leben, zugleich, auf Grund der Taufe, schon jetzt eine im Himmel verborgene Existenzweise haben.
In dieser äußerlich verborgenen Intimität der Einwohnung von Vater und Sohn im Herzen geschieht also die neue Gegenwart, die im liebenden Tun des Wortes da ist, auch wenn Gott sie uns noch nicht erfahrbar macht. Sie kann aber auch zu neuer Wahrnehmung, neuem Sehen bis zu mystischer Intensität führen. Ein Hauptstrang christlicher Mystik ist hier grundgelegt. Und sie ist nicht isolierte Ausnahme, sondern hat ihre Grundlage in der Liebe zu Jesus, die sein Wort verwirklicht. Ganz ähnlich redet auch die Offenbarung des Johannes: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ (Offb 3,20).
Gedächtnis und Lehrer der Kirche
Können wir aber Jesus einfach so lieben und sein Wort tun? Für Johannes ist klar, dass, nach dem Fall, der „Normalzustand“ des Menschen die Finsternis der Gottvergessenheit ist, dass der Mensch in diesem Zustand dem Wort Gottes fremd und verständnislos gegenübersteht. Zu Jesus kommen die, die der Vater ihm gibt. Wir stehen hier vor dem zuletzt unauflösbaren Geheimnis der Erwählung, das im Johannesevangelium eine wichtige Rolle spielt. Unauflösbar, weil derselbe Johannes, der die Erwählung, als Bedingung dafür Gott in Jesus zu erkennen, so pointiert betont, eine universale Heilsperspektive ebenso betont offen hält. Für unser Evangelium aber ist wichtig, dass wir in Gottvergessenheit und Verständnislosigkeit nur nicht zurücksinken, weil Gott uns den Geist schenkt, der erinnert und lehrt. Lehrend und erinnernd vergegenwärtigt und vertieft er das Verständnis des Wortes Jesu und in der Liebe zum Wort entzündet er auch immer wieder die Liebe zum fleischgewordenen Wort, zu Jesus.
Der Friede des Auferstandenen
Im Geist also wohnen der Vater und der Sohn uns ein, im Geist bleibt das Wort in uns lebendig, im Geist werden wir ermächtigt, das Wort Jesu, sein Gebot zu halten. Und wie uns Jesus im Himmel Raum bereitet, bereitet der Geist unser Herz. Es ist ein neuer Lebenskreis, in den wir hineingezogen werden. Der neue Anfang dieses Lebenskreises liegt so allein in Gott – und all seine Frucht geht von ihm aus. Diese Frucht ist Frieden, Ruhe, Mut, wie sie die Welt nicht geben kann. Und wie sie die Welt doch dringender braucht als alles andere.
Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Weitere Beiträge aus der Serie Fridays for FAITH:
Evangelium des ersten Fastensonntags
Evangelium des zweiten Fastensonntags
Evangelium des dritten Fastensonntags
Evangelium des vierten Fastensonntags
Evangelium des fünften Fastensonntags
Evangelium des 2. Sonntags der Osterzeit
Evangelium des 3. Sonntags der Osterzeit