Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.

Hirt und Herde auf dem Weg in die Ewigkeit. Auslegung des Evangeliums vom 4. Sonntag der Osterzeit C Joh 10, 27-30

Höre den Hirten und folge ihm – und Du wirst auf ewig geborgen sein. Das ist die Verheißung unseres Evangeliums. Aber wie geht das: die Stimme des Hirten hören? Das geistliche Erlernen dieser Fähigkeit gegen Stumpfheit und Lärm ist die große Herausforderung für unsere Gegenwart. Denn der Hirt spricht deutlich, aber leise. Die Stimme der Liebe.

Das Mausoleum der Galla Placidia

Eines der schönsten Hirtenbilder der Spätantike findet sich im Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna. Es zeigt den ewigen Hirten, wie Orpheus unter den Tieren, inmitten einer paradiesischen Landschaft. Es ist eine Ewigkeitslandschaft, ein Bild der Hoffnung auf Vollendung. Wir befinden uns ja im Zusammenhang eines Grabdenkmals. Was dort in unserem Hirtenbild zu sehen ist, strahlt vollkommene Geborgenheit aus und zugleich intime Vertrautheit: Mit der Rechten umfasst dieser Hirte der Ewigkeit den Hirtenstab, der als Kreuzstab gestaltet ist, mit der Linken krault er eines der Schafe. Dieser Hirt kennt seine Schafe und seine Schafe kennen ihn. Nichts mehr bedroht sie. Diese himmlisch-paradiesische Weide wird sie auf ewig nähren. Sie sind endgültig angekommen.

So trägt dieser Hirt auch nicht die Arbeitskleidung spätantiker Hirten, die kurze tunica exomis, die allein für einen Hirten, der mit seiner Herde unterwegs ist, praktisch infrage kommt. Sondern er trägt reichste Kleidung, eine volle Tunica, golden leuchtend, wie Stab und Nimbus. Das heißt: Hier wird nicht mehr gearbeitet. Hier ist Ankunft in der Geborgenheit des Himmels.

Die Herde auf dem Weg

Die vier knappen, dichten Verse zeigen dagegen den Weg zu diesem Ziel. Die Herde ist unterwegs mit ihrem Hirten. Er muss sie führen. Sie müssen folgen. Er kennt seine Tiere – jedes einzeln. Die Herde ist noch bedroht. Aber der souveräne Hirte – eins mit dem Vater, der größer als alle ist – schützt seine Herde. Niemand kann sie ihm entreißen. Sie ist noch bedroht, aber schon geborgen in der Führung durch seine Hand. Der Weg steht schon unter der Verheißung des Zieles, das in unserem Hirtenmosaik in Ravenna so herrlich aufstrahlt.

Unsere vier Verse bringen dabei in verdichteter Weise entscheidende Grundmotive der sog. „Hirtenrede“ noch einmal zu Gehör. Sie ist im Johannesevangelium kurz vorher breiter entfaltet und durch das Motiv der „Tür zu den Schafen“ kontrapunktiert zu lesen. An diesem 4. Sonntag der Osterzeit, dem Sonntag des Guten Hirten, werden in allen Lesejahren Ausschnitte aus der Hirtenrede gelesen.

Nennen wir diese Grundmotive noch einmal: Das die Schafe unterscheidende und deshalb alles andere grundlegende Hören auf den Hirten; die Kenntnis des Hirten von jedem einzelnen Schaf, die „Nachfolge“ der Schafe; die Gabe des ewigen Lebens; der Schutz durch den Hirten, der absolut ist („niemand“ kann diesen Schutzbereich überwinden und die Schafe herausreißen: man kann an ein Wolfsrudel denken). Am Ende steht in unserem Abschnitt eine „Spitzenaussage“ über Jesus, die über die Hirtenrede hinausgeht: Er und der Vater sind eins. In dieser lapidaren Wucht korrespondiert diese Stelle mit anderen Spitzenaussagen, die sich immer wieder bei Johannes finden: „Und das Wort war Gott.“ „Ehe Abraham war, bin ich.“ „Mein Herr und mein Gott.“ usw. Der Grund des Wirkens Jesu ist die vollkommene Einheit mit dem Vater. Das fleischgewordene Wort ist die vollkommene Offenbarung und Gegenwart Gottes in der Welt. Wer Jesus begegnet, der begegnet wahrhaft und wirklich Gott. Der Mensch Jesus von Nazareth ist das fleischgewordene, selbst göttliche Wort, das am Herzen des Vaters geruht hat von Ewigkeit her und nun seine Liebe – hier seine Hirtensorge – offenbart in vollkommener Einheit des Wirkens und deshalb auch des Seins, der Wirklichkeit.

Keine „dummen“ Schafe

Manchmal hört man angesichts der biblischen und kirchlichen Rede von Herde, Hirt und Schafen, man wolle doch kein „dummes“ Schaf sein. Aber das ist ein sehr oberflächlicher, ja törichter Einwand gegen diese Bildrede. Denn wer schon die oben aufgeführten Motive anschaut, die in der Bildrede mitschwingen, wird jedenfalls eines nicht finden: „dumme Schafe“. Ganz im Gegenteil. Das Bild vom Hirten ist in der Tat uralt. Es reicht weit in die Kultur des Alten Orients zurück. Und es ist ein königliches Bild. Das Bild des Hirten ist ein Bild der Verantwortung und Sorge, es ist ein Bild einer tief um das Leben und Gedeihen des Anvertrauten besorgten Ausübung von Herrschaft und Führung. Schlimm, wenn es den Hirten nur um sich geht. Wie in der Hirtenrede des Ezechiel, in der Gott den Hirten Israels genau dies vorwirft – und Gott ankündigt, dass er jetzt selbst diese Aufgabe des Hirten Israels übernehmen wird. Genau das – sagt nun unser Evangelium – ist in Jesus Wirklichkeit geworden.

Also: Diese Schafe sind alles andere als dumm, die sich der Hirtensorge des königlichen Hirten anvertrauen. Und sie haben etwas gelernt, in der sich gerade ihre Klugheit manifestiert: Sie haben gelernt, die Stimme des Hirten zu unterscheiden und so auf ihn zu hören. Das ist die Voraussetzung der „Nachfolge“ und damit der Bewegung, die zur Ruhe unseres Mosaiks in Ravenna führt.

Hören

Aber wie geht das? Wie lernt man die Stimme des Hirten zu unterscheiden? Wie kann man dem helfen, der sagt: Ich würde ihm gerne folgen – aber ich höre seine Stimme einfach nicht? In der Tat: Fast alles in unserer Kultur scheint der Unterscheidung der leisen Stimme des Hirten zuwider zu laufen. Es braucht Stille – und nicht Lärm. Ruhe statt Hast. Achtsame Aufmerksamkeit statt Hetze. Ja, unsere Kultur ist dem zuwider. Deshalb muss man es wollen! Es ist doch in Wahrheit das, was wirklich wichtig ist, oder? Wenn es das noch nicht geworden ist, wenn diese Sehnsucht nach Gott noch nicht in einem brennt, dann ist es noch nicht so weit. Weil es das nicht als ein bloßes „auch noch“ in unserem Leben gibt. Dann ist der Ernst, der nötig ist, und die Unbedingtheit, die es braucht, noch nicht da. Denn Gott ist doch die Fülle des Guten schlechthin. Ist er nicht der einzige, der wirklich lohnt?

Deshalb sag ich das ganz persönlich: Es lohnt sich wahrhaftig und es lohnt sich allein! Und alles andere, das schön, gut und reich ist, ist deshalb gut, schön und reich. Und deshalb nicht die letzte Wirklichkeit, die zählt. Wenn die Sehnsucht also nach der Stimme des Hirten in Dir erwacht: Unterdrück‘ sie nicht! Mach Dich auf! Beginn mit der Suche nach der Stimme des Hirten! Lerne sie zu unterscheiden! Und übe! Kein geistliches Leben ohne die Bereitschaft, lange und geduldig zu üben. So geh und übe die Wege der Kontemplation, der lectio divina, des inneren Gebets, des Herzensgebets usw. Aber sei sicher: Der Hirte ist – wo immer Du sein magst, wo immer Du Dich verloren hast oder glaubst – längst zu Dir unterwegs. Ja, am Ende wirst Du feststellen, seine Stimme, seine Gnade, er selbst, war schon da. Du musstest seiner Wirklichkeit und seiner Stimme nur innewerden. 

Stück für Stück werden die Wege des geistlichen Lebens auf diesem Blog vorgestellt werden, Wege, auf denen zu lernen ist, die Stimme des Hirten zu unterscheiden.

Evangelium des ersten Fastensonntags

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Evangelium des 2. Sonntags der Osterzeit

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