Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.
Friede – Sendung – Bekenntnis.
Evangelium des 2. Sonntags der Osterzeit Joh 20, 19-31
Österlicher Friede, Teilnahme an der Sendung, das Bekenntnis zu Jesus: „Mein Herr und mein Gott!“. Kann ein Evangelium noch reicher sein? Und: Thomas zweifelt für uns, Thomas bekennt für uns. Suchen auch wir den auferstandenen Herrn und bekennen wir: „Mein Herr und mein Gott!“. Er schenkt uns Frieden. Er sendet uns, sein Heil zu verbreiten.
Frieden
Erstarrt sind die Jünger Jesu nach seiner Hinrichtung. Erstarrt in Angst: Geht es jetzt auch ihnen an den Kragen? Wird man auch sie als Anhänger eines (vorgeblichen) messianischen Aufrührers denunzieren? Oder gibt man sich zufrieden, Jesus beseitigt zu haben?
Sie wissen es nicht. Und so haben sie sich eingeschlossen, so wie der tote Jesus in einem Grab hinter einem schweren Rollstein eingeschlossen lag. Sie sind eingeschlossen, erstarrt und gefangen im Grab ihrer Angst.
Was sie noch nicht wissen, noch nicht realisieren können – trotz der Botschaft der Frauen, trotz Maria Magdalena, trotz Johannes und Petrus am Grab: Der Tote lebt. Er ist nicht mehr am Ort des Todes. Er ist frei und lebendig, um Freiheit und Leben zu schenken.
Der Lebende und Freie wird zu ihrem Befreier aus der Gefangenschaft und Leblosigkeit der Angst. Er schenkt Frieden. Österlichen Frieden. In unserem Evangelium fällt dieser Gruß betont dreimal. Es ist der gewöhnliche, alltägliche Gruß: Shalom! Aber es ist immer ein großes Wort. Alltäglich wird umfassendes Wohl- und Heilsein in allen Dimensionen zugesprochen. Durch die markante Wiederholung in unserem Evangelium wird der alltägliche Gruß mit dem großen Wort durch den Auferstandenen gefüllt und vollendet. Der, der souverän und frei, durch verschlossene Türen, in die Mitte der Jünger tritt, spricht seinen österlichen Frieden zu. Er selbst, der Auferstandene, Lebendige und Freie ist dieser Friede. Indem er ihn zuspricht, gibt er Anteil an sich selbst.
Sendung
Der, der durch geschlossene Türen in die Mitte seiner Jünger tritt und sich als Frieden zuspricht, ist kein Phantom. Er identifiziert sich als der, der hingerichtet wurde, er zeigt Hände und Seite. Der österliche Friede, den der Auferstandene zuspricht und selbst ist, ist durch die Liebeshingabe des Kreuzes gegangen. Dort hat sich Gottes Liebe verherrlicht: Letzte Tat einer Liebe, die das Leben einer in der Dunkelheit verlorenen Welt will. Von dort her wird der österliche Frieden dessen überhaupt möglich, der kein Phantom ist. Die Reaktion der Jünger: Freude. In Frieden und Freude löst sich die Erstarrung der Angst und wandelt sich in die Bereitschaft zu neuer Bewegung: in die Bereitschaft zur Sendung.
In Freude und Friede wird das Herz der Jünger geöffnet für die Einhauchung des Heiligen Geistes, der zur Sendung ermächtigt. In Freude und Friede wirkt schon die Gnade des Geistes, die offen macht für ihre eigene, in die Sendung überfließende Fülle. Die Sendung besteht in der verbindlichen Mitteilung des Werks der Sündenvergebung. So sehr hier auch der Ort ist, in dem die sakramentale Vollmacht der Kirche zur Sündenvergebung begründet liegt: Wir sollten diese Stelle nicht darauf reduzieren. Die frühen Kirchenväter haben sie zunächst auf die Taufe als Sakrament grundlegender und umfassender Heilsvermittlung bezogen. Noch mehr ist hier also gemeint: Hier geht es um die ganze Kirche und das ganze Werk der Erlösung. Dafür sollen die Jüngerinnen und Jünger gute Werkzeuge der Vermittlung sein. Wir alle.
Bekenntnis
Einer fehlt am Abend des Ostersonntags, einer, der leidenschaftlich ist, realistisch und direkt: Thomas, der Zwilling. Er fehlte – und so sah er nicht. Das, was man ihm erzählt, erscheint ihm abwegig, verrückt, märchenhaft: Ein Hingerichteter, der lebt – was soll das sein? Thomas ist Realist. Er begreift sofort die abgründigen Gefahren, die drohen, als Jesus nach dem Tod des Lazarus beschließt nach Jerusalem zu gehen: „Thomas, den man auch den Zwilling nannte, sagte zu den anderen Jüngern: ‚Ja, lasst uns mit Jesus nach Judäa gehen und dort mit ihm sterben.‘“ (Joh 11,16). Das charakterisiert ihn: Realismus, Direktheit, aber auch eine Bindung an Jesus, die bereit ist, mit ihm zu gehen und zu sterben. Thomas war also auch bereit, ganz und gar das Schicksal des Meisters zu teilen – weil er ihn liebte. Jetzt will der liebende, leidenschaftliche, direkte Realist sich Enttäuschung ersparen. Er verschließt sich dem Wort der anderen. Er will, er muss sehen – um zu glauben.
Jesus kommt auf ihn zu, er verschließt sich ihm nicht, er zeigt sich auch Thomas: Streck deine Hand aus – und glaube! Thomas ist überwältigt. Er braucht die Berührung nicht mehr. Seine gläubig gewordene Liebe bricht in das Bekenntnis aus, das zugleich das Bekenntnis aller einzelnen Jüngerinnen und Jünger ist und das der Kirche als Gemeinschaft des Glaubens. Intim und öffentlich zugleich: „Mein Herr und mein Gott!“. Auch römische Kaiser ließen sich als Dominus et Deus, Herr und Gott anreden. Die politische Sphäre, die für den handelnden, den aktiven und sozialen Menschen immer wieder eine letzte, totale Größe zu werden droht, droht deshalb auch immer wieder, sich götzenhaft mit religiöser Energie aufzuladen.
In dem intimen und zugleich öffentlichen Bekenntnis des Thomas, der Kirche, jedes einzelnen Christen wird diese ideologische, götzendienerische Aufladung und Totalisierung des Politischen aufgebrochen. Das ist ein Paradox: Der christliche Glaube ist hochpolitisch, gerade indem er mehr als politisch ist. Und gerade so ist er politisch heilsam.
Wir
Da sind wir hineingenommen. Wir lassen uns hineinnehmen, wenn wir das Wort des christlichen Glaubens hören und selber glauben, auch wenn wir – noch! – nicht sehen. Denn wenn Jesus dem Thomas sagt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ – dann meint er nicht einen blinden, irrationalen Glauben oder ein Opfer der Vernunft. Im Gegenteil! Das Wort, das uns die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens mitteilt, bietet gute Gründe, sich ihm glaubend anzuvertrauen. Aber mehr noch: In dem inneren Raum, der sich im gläubigen Hören auf das Wort öffnet, will uns der auferstandene und jetzt lebendige, gegenwärtige Herr begegnen, uns seinen österlichen Frieden schenken, uns Anteil an seiner Sendung zum Heil der Welt geben, auf dass wir bekennen: „Mein Herr und mein Gott!“
Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Weitere Beiträge aus der Serie Fridays for FAITH:
Evangelium des ersten Fastensonntags
Evangelium des zweiten Fastensonntags
Evangelium des dritten Fastensonntags
Evangelium des vierten Fastensonntags