Das volkskirchliche Betreuungsmodell ist am Ende. Der Versuch des synodalen Weges, es durch Modernisierung zu retten ist tödlich und wird in der Katastrophe enden. Eine Alternative muss her. Papst Franziskus hat sie längst formuliert: Die Kirche der missionarischen Jüngerschaft. Der Text zeichnet knapp, nüchtern und sachlich Grundlinie und Hintergrund.

Der Hintergrund: Ende der Betreuungskirche durch Enttraditionalisierung und Individualisierung

  1. Der statisch gedachte Rest des volkskirchlichen Betreuungsmodells von Kirche – zwischen ca. 1850 und ca. 1960 hochwirksam, politisch schlagkräftig und sozial integrativ, große Leistung mit hohem Preis – ist unter der Bedingung einer individualisierten, enttraditionalisierten Gesellschaft mittlerweile hochgradig dysfunktional geworden. Es funktioniert nicht mehr und blockiert Erneuerung und Evangelisierung. Es verhindert, dass Menschen in eine heilende Beziehung zu Jesus Christus finden. Denn es vermittelte Zugehörigkeit primär durch Sozialisation und nicht durch personale Plausibilisierung. Seine die Subjekte integrierende Disziplinierungskraft hatte zugleich von Fall zu Fall neurotisierende Wirkung.
  2. Die Erhaltung dieses Modells ist auch durch „modernisierende“ Anpassung nicht möglich, noch wäre dies theologisch oder geistlich wünschenswert. Sein Bild steckt aber noch tief in den Köpfen und vor allen Dingen in den Herzen. Die Vorstellungen etwa von Autonomie, Pluralität und einer begleitenden Kirche auf dem synodalen Weg bleiben diesem Modell verhaftet, weil sie das authentische biblische Modell der Jüngerschaft nicht in den Blick bekommen. Und das erzeugt den fundamentalen Denkfehler so vieler Synodaler.

Die Freisetzung der Individuen ist in ihrer Tiefe Folge des Christentums und kein Grund zur Klage

Enttraditionalisierung und Individualisierung sind in der Tiefe Folgen des Christentums selbst, dabei in den faktischen sozialen Auswirkungen höchst ambivalent (es gibt beispielsweise eine aus der Überlastung der Individualisierungs-Zumutung entstehende neue Uniformierung etwa bestimmter ästhetischer Milieus). Man muss sie jedoch überhaupt nicht beklagen. Vielmehr haben sie zu tun mit der Freisetzung der menschlichen Person durch die personale Selbstoffenbarung Gottes. Unsere Kirche steht aber seit Jahrzehnten vor dem Phänomen wie der sprichwörtliche „Ochs vorm Berg“. Es ist historisch alles andere als Zufall, dass evangelikales Christentum hier wesentlich kreativer und erfolgreicher agiert. Denn es ist wesentlicher Teil der religiösen Individualisierungsgeschichte. Aber auch wir haben die Potenzen (nur ein Beispiel: der ursprüngliche ignatianische Impuls) dafür in den Genen. Wir müssen sie nur freisetzen. Und: Zwei große Vordenker des Vaticanum II – Möhler und Newman – sind ohne ihre direkte oder indirekte Begegnung mit dem evangelikalen Impuls in ihrer Kirchenvision nicht verstehbar: Möhler indirekt durch Schleiermacher als „Herrnhuter höherer Ordnung“, Newman ganz direkt durch die nie verleugnete evangelikale Bekehrung noch vor der Phase der Oxfordbewegung.

Das Franziskus-Modell als Alternative: Kirche der missionarischen Jüngerschaft

Zukunftsfähig ist allein die uns von Papst Franziskus (in der Kontinuität mit Paul VI., JP II., Benedikt XVI. – bei allen lassen sich die Ansätze belegen, die bei Franziskus ausformuliert sind) vorgeschlagene Kirche der missionarischen Jüngerschaft. Im Kern heißt das: Aus religiös Betreuten werden Subjekte ihres Glaubens, die fähig sind ihren Glauben bezeugend weiterzugeben und die gar nicht anders können, weil ihr Herz davon voll ist.

Der römische Brunnen

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt

Er voll der Marmorschale Rund,

Die, sich verschleiernd, überfließt

In einer zweiten Schale Grund;

Die zweite gibt, sie wird zu reich,

Der dritten wallend ihre Flut,

Und jede nimmt und gibt zugleich

Und strömt und ruht.

Conrad Ferdinand Meyer

Kernelemente einer Kirche der missionarischen Jüngerschaft:

  1. Kirche als Weggemeinschaft lernender Jüngerschaft. Ursprünglicher Name der frühesten Christen: der (neue) Weg. Christ sein heißt, einen Weg (in Gemeinschaft) gehen. Der Weg hat den Charakter einer auf Wachstum, Wandlung und Heilung angelegten, konturierten, wahrnehmbaren und unterscheidbaren Lebensform. Nur Lebensformen sind plausibel.
  2. Kirche des geteilten geistlichen Lebens in konkreten, kleinen Gemeinschaften. Kirche als Gemeinschaft von Gemeinschaften.
  3. Das apostolische, sakramentale Amt, das die Einheit dieser Gemeinschaft von Gemeinschaften sicherstellt, hat sein Kriterium der rechten Ausübung im Dienst an der Subjektwerdung im Glauben, d.h. an der geistlichen Selbständigkeit von Jüngerinnen und Jügern, die einen Weg gehen und in Glaube, Hoffnung und Liebe, in der Beziehung zum erhöhten Jesus und im Vertrauen auf seinen Vater im Heiligen Geist wachsen.
  4. Kirche in missionaler Dynamik. Dezentriert (Papst Franziskus über die Jesuiten, aber so sieht er auch, sachgerecht, die Kirche insgesamt) – das heißt im Heiligen Geist, vom Kyrios Jesus als dem Erhöhten, Auferstandenen, jetzt Gegenwärtigen her in der Sendung. Kirche ohne diese Dynamik zerfällt. Kirche ohne diese Dynamik kreist um sich selbst. Sie gerät in die tödliche Falle der reinen Selbsterhaltung: „Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; weraber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.“ (Lk 9,24 u.ö.). – Wohlgemerkt: Nur eine Kirche der geistlichen Selbständigkeit, die wegkommt von ihrer Selbstfixierung, reagiert nachhaltig und tiefenwirksam auf die Herausforderung des Missbrauchs.
  5. Kirche, die offen und geduldig sein kann, weil sie einen geistlich starken, konturierten und vergemeinschafteten Kern hat. So ist sie fähig unterschiedlichste Lebenswege auf Wachstum hin gelassen zu begleiten. So entgeht sie der schlechten Alternative von Exklusion versus Konturlosigkeit.

Dominik A. Thomas

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