Die Schleifung der Dogmen – eine molekularbiologische und eine katholisch
Das Buch Die Schleifung der Bastionen[1]von Hans Urs von Balthasar[2] hat sicherlich die Reformen des Konzils mitbewirkt, von Balthasar wurde aufgrund seiner theologischen Leistung gar in den Kardinalsrang erhoben. Jetzt sind drei seiner Schüler daran beteiligt, dieses Lebenswerk auf andere Art und Weise zu schleifen. Bischof Georg Bätzing bekennt sich sogar ausdrücklich dazu[3]. Die beiden anderen sind Bischof Helmut Dieser und Bischof Felix Genn.
Der schöne schiefe Baum von Bischof Bode
Am Morgen nach dem Eklat – am zweiten Tag der Sitzung des Synodalen Weges in Frankfurt – versucht Bischof Bode mit ruhiger klarer Stimme und großer Überzeugungskraft das Reformanliegen des Synodalen Weges im Bild eines Baumes darzustellen. Ein Baum lebe nicht nur aus der Wurzel und dem Stamm, sondern auch aus der Krone, die zum Leben des Baumes nicht Unerhebliches beitrage. Genauso wie die Baumkrone aus der sie umgebenden Atmosphäre solle die Kirche auch aus der kulturellen, gesellschaftlichen und zeitgenössischen Gegenwart Impulse aufnehmen – die vielfach zitierten Zeichen der Zeit – damit auch die Kirche in unsere Zeit hineinwachsen könne. Das schöne, aber schiefe Bild vom Baum mit Wurzel, Stamm und Krone von Bischof Bode (Teil II, 2h, 46’) hat mich und auch viele Synodale beeindruckt – schief ist es trotzdem. Wie komme ich zu dieser Behauptung?
Die „Baumkrone“ steht bei Bode für die gegenwärtigen Erkenntnisse der Humanwissenschaften, die so eindeutig gar nicht sind, wie der Bonner Moraltheologe Sautermeister am Montag danach in seinem Beitragauf katholisch.de behauptete.[4]
Und leider ist das schöne, aussagekräftige Bild baumbiologisch und überhaupt biologisch schief. Jede Baumkrone, so mächtig sie auch ist, lebt aus der Tiefe, und daran orientiert sich jede Baumkrone, so hoch sie auch in den Himmel hineinragen mag.
Aus molekularbiologischer Sicht absorbiert die Krone alles streng nach den Kriterien ihres genetischen Programms, das den ganzen Baum durchherrscht. Es sondiert, filtriert und absorbiert osmotisch alles im Umfeld seiner Krone, nicht nach Maßgabe aus deren Höhe, sondern aus der Tiefe des Genoms. Ebenso sind die Humanwissenschaften in der „Baumkrone“ als „Herrschaftswissen“[5] dem „Heilswissen“ aus der Tiefe– dem biblischen und kirchlichen Menschenbild – als Kriterium der Scheidung der Geister, unterworfen.
Das Dogma der Molekularbiologie
Bis spätestens in das Jahr 2000 etwa gab es Dogmen nicht nur in der katholischen Kirche, sondern auch ein „Dogma in der Molekularbiologie“[6]. Bis dahin war man der Auffassung, dass Umwelteinflüsse nicht in das Genom eindringen. Wie in kirchlichen Auseinandersetzungen hatte man auch unter Biologen ein eigenes Schimpfwort für Abweichler parat: Lamarckist[7]! Seit neuen Erkenntnissen, der so genannten Epigenetik[8], weiß man, dass das so gar nicht stimmt und Umwelteinflüsse nicht nur das Lebewesen konkret schädigen, sondern auch in das Erbgut eingehen, in der Mehrzahl der Fälle zum Schaden des ganzen Baumes. Um Schäden gering zu halten, besitzt jedes Lebewesen ein Immunsystem, um schädliche Einflüsse von außen abzuwehren. Dass das Dogma der Molekularbiologiedas Erbgut schützt, kann so nicht mehr angenommen werden.
Das Lehramt der Bischöfe als ein Garant des „Immunsystems Kirche“
Und jetzt sind wir dabei zu verstehen, was am vergangenen Wochenende in Frankfurt und in dem Kommentar des Bonner Moraltheologen sichtbar geworden ist. Das Immunsystem der katholischen Kirche, das u. a. von der Theologie Hans Urs von Balthasars wunderbar auf den Begriff gebracht worden ist, wurde in Deutschland offensichtlich durch „epigenetische“ Einflüsse geschädigt. Das Lehramt der Bischöfe, das dieses Immunsystem repräsentiert, ist, nachdem es einen Tag zuvor noch leidlich funktioniert hat, massiv beschädigt worden.
Machtmissbrauch und Verfahrensmacht durch Bischof Bätzing
Mit einem Verfahrenstrick, der Ausübung von Verfahrensmacht (!)durch Bischof Bätzing, wurde die Immunabwehr der anderen Bischöfe lahmgelegt. Selbst ein Kommentator von katholisch.de (Steffen Zimmermann) fand diese Vorgehensweise unfair: „die verfahrenstechnischen Lehren, die aus der Ablehnung des Textes [durch eine Minderheit der Bischöfe] gezogen wurden, waren mit Blick auf den synodalen und demokratischen Anspruch des Reformdialogs fragwürdig. Dass Bischof Georg Bätzing, wie er hinterher selbst eingestand, seine Rolle als Vorsitzender der Bischofskonferenz nutzte, um seine Mitbrüder vor den weiteren Abstimmungen jeweils zu separaten Aussprachen hinter verschlossenen Türen zu bitten und die Reformkritiker jenseits des synodalen Prozederes für eine Zustimmung zu den anderen Texten zu gewinnen, irritierte ebenso wie die Aushebelung des Prinzips der geheimen Stimmabgabe. Für das Miteinander von liberaler Mehrheit und konservativer Minderheit dürften solche Tricks wenig förderlich sein. Man kann sich durchaus fragen, warum sich der Synodale Weg überhaupt die Mühe macht, über die erarbeiteten Texte abzustimmen, wenn ablehnende Voten offensichtlich nicht akzeptiert werden und zu den beschriebenen unsynodalen Überrektionen führen. „Wir müssen Synodalität noch lernen“, hieß es in den vergangenen Tagen mehrfach von Synodalen. Dem ist nach den unschönen Vorgängen in Frankfurt am Main nichts hinzuzufügen.“[9]
Am zweiten Tag ist der ganzen Versammlung dann Parlamentarismus als Synodalität verkauft worden, biologisch eine Mimikryform[10], die sich als Synodalität getarnt hat. Synodalität[11] bedeutet eigentlich einen spirituellen und kommunikativen Austausch in der Communio mit Christus als Haupt und seiner Braut, der Kirche. Dieser Austausch geschah von allem Anfang an in der Kirche diachron, aus der Tiefe der Zeit und synchron vermittelnd in jede Gegenwart. Was heißt das? Jedes einzelne Glied normiert sein Gewissen am Haupt und dem bisherigen diachronen Wachstum, um dann synchron in die jeweilige Gegenwart zu wirken. In der Konzilsdeklaration Gaudium et Spes heißt es: „Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist“[12]. Was ist am Wochenende in Frankfurt passiert?
Alleinsein mit Gott im Gewissen und der Einbruch in diesen Schutzraum
Die anonyme Abstimmung am ersten Tag der Vollversammlung – die durch den Schutzraum der Anonymität wahrhaft frei nach dem Gewissen entschieden werden konnte, entsprach synodalen Kriterien und der Definition von Gewissen des Konzils. Das Ergebnis überraschte das Präsidium dermaßen, dass es zu emotionalen Ausbrüchen[13]kam, die man sonst nur im Kindergarten erlebt oder wenn Bayern München ein Spiel gegen eine schwächere Mannschaft verliert, was nach dem ungeschriebenen Fußballgesetz eigentlich nicht sein darf. Eine solche Mannschaft wird beim Fußball für den Sturz eines Favoriten regelrecht gefeiert, nicht so in der Kirche.
In Folge wurden reihenweise absurde Behauptungen in die Welt gesetzt: Anders zu denken als die Mehrheit wurde von Rednern mit Kommentaren wie „Der wissenschaftliche Blödsinn von Ihnen ist keinen Kommentar wert“ (BDKJ-Vorsitzender Gregor Podschun, Teil I, 3h, 18’ gegenüber Dorothea Schmidt)barsch abqualifiziert oder als „heimliche Blockade“, (Stetter-Karp) als Verstoß gegen die Synodalität gewertet. Nach der Synodenversammlung sprachJulia Knop[14]den Bischöfen das Recht auf einen solchen Schutzraum sogar dezidiert ab.
Die Fratze eines schlechten Parlamentarismus statt Synodalität
In Frankfurt wurde die Fratze eines schlechten Parlamentarismus deutlich. Ein treffender Kommentar der Initiative Maria 1.0[15] zog Parallelen zu dem unvergessenen Herbert Wehner, wenn er die Zuchtrute schwang um die eigene Fraktion zu disziplinieren. Bätzing löste den Schutzraum des Gewissensurteils durch namentliche Abstimmung auf, drang in den Raum ein, in dem jeder Mensch, vor allem auch jeder Bischof, sich allein dem Anspruch Gottes stellen muss. Er okkupiert diesen Raum, der eine Minderheit gegen eine aggressive Mehrheit in Form und Ausdruck schützen soll. Dieser klassische Trick des Parlamentarismus wurde aber weiterhin als Synodalitätverkauft, wobei man sehr vielen Synodalen nicht absprechen kann, diese dennoch versucht zu haben.
In einer beispiellosen Blauäugigkeit sind dann im Verlauf der folgenden Abstimmungen gegen die Stimmen weniger Mutiger von der Mehrheit Bastionen geschleift worden, gegen ein ausdrückliches Verbot aus Rom[16]. Unter Vorgabe, Menschen zu schützen und ihnen Freiräume zu gewähren, wurden nicht Brücken zu Menschen gebaut, sondern Brücken zu neuen Prinzipien hergestellt, die – biologisch gesprochen – epigenetisch in das Genom eingedrungen sind und die Erbmasse verändert haben.
Insgesamt wähnte man sich so sicher, im Besitz der Wahrheit zu sein, dass jetzt für die „Mächtigen“ der katholischen Kirche in Deutschland gilt, was der „Machtphilosoph“ Michel Foucault für Linksintellektuelle schon 1977 feststellte: „Seit langem hat der sogenannte ‚Linksintellektuelle das Wort ergriffen und wird als jemand angesehen, dem das Recht zuzuerkennen ist, als Herr der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu sprechen. Man hörte ihn an bzw. er maßte sich an, sich als Repräsentant des Universalen Gehör zu verschaffen. Intellektueller zu sein, war ein wenig das Gewissen aller zu sein.“ (zitiert in: Philipp Sarasin 1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart. Berlin2021, 70).
Bätzing, Knop und viele andere haben diese Macht ergriffen und drohen mit ihr auf der „Straße“ und in den Medien gegen die „Vollmacht“ des Lehramts „vom Himmel“.
Durchhalten: Die katholische Kirche hat schon drei Päpste mit Syphilis überlebt
Aber wir stehen das durch: Die katholische Kirche hat schon drei syphilitische Päpste, Alexander VI. (1431 – 1503), Julius II. (1443 – 1513) und Leo X. (1475 – 1521) überlebt[17]. Diese Tatsache hat nicht unerhebliche dazu beigetragen, dass es zur Reformation gekommen ist, zumal gerade in dieser Zeit Luther einen Rombesuch[18] gemacht hat. Ich überlasse es der Phantasie des Lesers – die jetzige Situation in Deutschland in den „Zeichen der Zeit“ zu deuten. Und schließlich macht uns Ida Friederike Görres Mut, die vor gut 50 Jahren eine ähnliche Situation in Bezug auf die Würzburger Synode erlebt hat:
„Wie, wenn den Rebellen wirklich die Zukunft gehörte?…Leben wir auf einem lecken, zollweise versinkenden Schiff, von dem nicht nur die Ratten, sondern einfach die Vernünftigen, Nüchternen rechtzeitig abspringen? Wer gibt uns Antwort in solchen Stunden? Wen dürfen wir noch fragen? Nur die Kirche selbst. … Die Kirche: das Wort freilich im alten Vollverstand gebraucht, der nicht bloß den zeitlichen Ausschnitt der heute lebenden Katholiken meint, nicht ein System, eine Idee, eine Ideologie, eine Struktur, eine Gesellschaft, sondern das ungeheure Lebens-Gebilde, das von den Aposteln bis heute existiert, seine Geschichte erfüllend von Jahrhundert zu Jahrhundert, wachsend, sich entfaltend, kämpfend, erkrankend, genesend, sein Schicksal bestehend und der Wiederkunft des Herrn entgegenreifend“[19].
An diese Kirche glaube ich.
von Dr. phil. Helmut Müller
Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag, Link: https://www.fe-medien.de/hineingenommen-in-die-liebe
[1]https://www.blogs-kath.ch/hans-urs-von-balthasar-der-grosse-abwesende-am-konzil/
[2]https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Urs_von_Balthasar
[3]https://www.katholisch.de/artikel/31938-baetzing-aendern-wir-nichts-in-der-kirche-gehen-wir-gegen-null
[4]https://www.katholisch.de/artikel/40949-moraltheologe-sautermeister-kirche-hat-immer-ihre-lehre-geaendert
[5]https://neueranfang.online/wenn-der-glauben-fremd-geht-und-sogar-bischoefe-mitgehen/
[6]https://anthrowiki.at/Zentrales_Dogma_der_Molekularbiologie
[7]https://www.wissensschau.de/genom/epigenetik_lamarck_evolution.php
[8]https://www.planet-wissen.de/natur/forschung/epigenetik/index.html#:~:text=Der%20Begriff%20″Epigenetik“%20ist%20zusammengesetzt,wann%20es%20wieder%20stumm%20wird
[9] https://www.katholisch.de/artikel/40967-synodaler-weg-der-umgang-mit-dem-nein-der-bischoefe-war-unsynodal
[10]https://de.wikipedia.org/wiki/Mimikry
[11]https://neueranfang.online/bischof-oster-mit-kritischer-analyse-zum-synodalen-weg/
[12]http://www.intratext.com/IXT/DEU0034/_P1J.HTM
[13]https://neueranfang.online/eklat-beim-synodalen-weg-haltet-stand/
[14]https://www.katholisch.de/artikel/40961-queere-menschen-brauchen-in-kirche-einen-safe-space-nicht-bischoefe
[15] https://www.kath.net/news/79438
[16]https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2022-07/heiliger-stuhl-synodaler-weg-deutschland-lehre-moral-weltkirche.html
[17]Christian Niemeyer, Nietzsches Syphilis und die der anderen, München 2020, 335f
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luthers_Romreise
[19] I.F. Görres, Im Winter wächst das Brot. Einsiedeln 51970, S. 94