Um das Klima in der Kirche zu retten, gibt es auch dort eine selbsternannte „Letzte Generation“, die Erfahrung mit dem kreativen Einsatz von Klebstoff hat. In der Missbrauchskrise der katholischen Kirche sprechen wir von Bischöfen, die an ihrem Amt kleben. Ein namhafter Vertreter dieser Generation, der zuletzt mit einiger Gewalt von der Fahrbahn geschnitten werden musste, ist der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode. Zur letzten Bischofs-Generation gehören aber noch andere Bischöfe, wie wir gleich sehen werden.

Bäuchlings in die Lernkurve

Der Mann, den der SPIEGEL 2012 angesichts klerikalen Missbrauchs noch als Inbegriff der Umkehr in den Himmel lobte, weil er sich „bäuchlings vor das Kreuz“ legte, „die sogenannte Prostration“ vollzog, und endlich „Demut und Buße angesichts des Missbrauchsskandals in seiner Kirche“ demonstrierte – von diesem Mann stellte der im Herbst 2022 publizierte Zwischenbericht zum Missbrauch im Bistum Osnabrück fest: „Bischof Bode hat in den ersten Jahrzehnten seiner Amtszeit mehrfach Beschuldigte, auch solche, an deren Gefährlichkeit kaum Zweifel bestehen konnte, in ihren Ämtern belassen oder in Ämter eingesetzt, die weitere Tatgelegenheiten ermöglichten, z. B. als Subsidiar und Pfarradministrator oder sogar mit Leitungsaufgaben in der Jugendseelsorge betraut.“ Immerhin stellt auch der Bericht „erkennbare Lerneffekte“ in der Bistumsleitung seit 2010 fest, bevor auch Bode sich selbst eine „Lernkurve“ attestierte. Doch selbst eigene Mitarbeiter, die ihn offen zum Gehen aufforderten, prallten damals an dem Mann ab, der alles dafür tat, sich als Lösung zu inszenieren, wo er doch das Problem war.

Erst als der norddeutsche Betroffenenrat im Dezember 2022 den Vatikaneinschaltete und kirchenrechtlich Anzeige gegen Bode erstattete, kam Bewegung in die Sache. Die Missbrauchsopfer machten Rom so einiges klar, etwa dies: Bode hatte einen Fall von sexueller Gewalt an einem Minderjährigen als „Beziehung“ deklariert! Der empathische Täterversteher lag ganz auf der Linie seiner Behörde, wo (laut Missbrauchsbericht) „das Leid, die Bedürfnisse und die Interessen der Betroffenen“ zu keinem Zeitpunkt „im Mittelpunkt des Handelns standen und in vollem Umfang berücksichtigt wurden. Betroffene wurden minimalistisch mit dem jeweils geltenden Verfahren zur Anerkennung erlittenen Leids abgefunden.“

Der Palazzo Apostolico, 00120 Città del Vaticano, Rom, scheint doch eine hilfreiche Adresse für Opferverbände und Betroffenenräte zu sein. Rom schnitt Bode auf die Weise von der Fahrbahn, wie man das unter allseitiger Gesichtswahrung von Rom aus so ins Werk setzt. Die Interpretation, dass man ihm noch Zeit gelassen habe, sein großes Reformwerk „Synodaler Weg“ zu vollenden, halte ich für übertrieben.

Bätzings Lobrede

Wie wenig der Fall Bode aber ein Einzelfall ist – wie sehr er vielmehr ein System repräsentiert, zeigt die spezihafte Lobrede, die Bischof Bätzing seinem langjährigen Weggefährten hinterher schob: Den „engsten Mitstreiter auf dem Synodalen Weg“ verliere er: „Du warst und bist ein Bischof für die Menschen auf Augenhöhe.“ Das sehen die abgebügelten Missbrauchsopfer in Osnabrück anders. „Unvergessen“ bleibe, wie Bode „vor dem Altar auf dem Boden ausgestreckt – um Vergebung im Namen der Kirche gebeten“ habe. Bodes Wille „zur Aufarbeitung, zur Verbesserung des Umgangs mit Betroffenen und Tätern … und auch systemischen Veränderung unserer Kirche“ habe ihn „seither nicht mehr losgelassen.“

Statt das Mäntelchen des Schweigens über die Peinlichkeit zu legen, dass der dingfest gemachte systemische Vertuscher Bode, der beinahe Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz geworden wäre und es bis zum Vizepräsidenten des Synodalen Weges brachte, endlich aus dem Verkehr gezogen wurde, übergießt Bätzing den gewesenen Bischof mit süßen Elogen und katholischem Kitsch: „Dein Glaubenszeugnis, Dein Mut als Bischof und Deine visionäre Kraft für eine Erneuerung der Kirche sind das, was … bleiben wird.“ Im Interesse der Missbrauchsopfer und einer approximativen Wahrheitsfindung hätte Bätzing genauso gut von fehlendem Glaubenszeugnis, der Feigheit eines Bischofs und den doppelbödigen Erneuerungsvisionen eines Mannes sprechen können, der sich in die erste Reihe der „Reformer“ spielte, um sein Versagen in der Missbrauchskrise zu bemänteln. Alles eben nur eine Frage der Perspektive.

Das soziale Netz der Kirche

Und damit sind wir bei der „systemischen Veränderung unserer Kirche“ und warum sie von der letzten Generation von Bischöfen wie Bode, Marx, Ackermann, Overbeck und Bätzing gewiss nicht zu erwarten ist. Das „systemische“ Problem der Katholischen Kirche besteht nämlich nicht im Gewaltcharakter kirchlicher Täter, die ihre allgemeine Gewaltbereitschaft auch sexuell ausagieren – so das wiederholte Mantra auf dem Synodalen Weg – sondern in der subtilen Gewalt, mit der ihre Beschützer in kirchlichen Leitungsämtern das System und die Deutungshoheit über das „Richtige“ erhalten.

Das ganz eigene „Soziale Netz“ der Institution Kirche besteht folgerichtig in der diskreten Beharrlichkeit, mit der die Bodes, Marxens, Ackermanns, Overbecks und Bätzings einander systemisch beschützen, aneinanderhaften und unverdrossen an ihren Stühlen kleben. Immer sind sie fein darauf bedacht, einander zu stützen und sich gegenseitig ja kein Auge auszuhacken. Umso verstrickter die Genannten sind, um so liberaler verdienen sie sich die Persilscheine der Medien, die freundlicherweise nicht näher hinschauen, solange die Herrschaften die richtigen Reformideen vertreten. Einige dürften vielleicht nur noch wegen Tatsachen wie jenen im Amt sein, dass der Trierer Abschlussbericht zur Aufarbeitung des Missbrauchs noch sechs Jahre auf sich warten lassen wird.

Wie man jedenfalls nach dem gut recherchierten SPIEGEL Missbrauchsreport „Der Teufel hinter der Kirchentür“ vom 1. Dezember 2021 noch Erzbischof in München und Kardinal der Katholischen Kirche sein kann, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen.

Mittelfristig werden weiterhin lieber verstorbene Bischöfe, Kardinäle und Päpste exhumiert, von ihren Amtsnachfolgern verurteilt und jedweder Verehrung entzogen, statt sich der eigenen Verantwortung zu stellen.


Bernhard Meuser
Jahrgang 1953, ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.

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