Die Loslösung von Rom und der Eigenweg der katholischen Kirche in Deutschland schreiten voran, wie die Handreichung für Segensfeiern für Paare zeigt. Ein Beitrag von Stephan Raabe.

Die „Neue Deutsche Welle”?

Es gibt in immer mehr Punkten auch seitens vieler deutscher Bischöfe – allen voran Bischof Bätzings, des Vorsitzenden der Bischofskonferenz – öffentliche Zeugnisse, die der Lehre der Kirche geradewegs widersprechen, etwa in Bezug auf die Konstitution der Kirche (Räte-Kirche, Frauenweihe), das Menschenbild und die Morallehre und nun kirchlicher Segensfeiern für unterschiedlichste Paarkonstellationen. Deshalb werden sich Gläubige künftig immer öfter entscheiden müssen, ob sie römisch-katholisch bleiben und der Lehre der Kirche folgen oder einer neuen deutsch-katholischen Kirche mit ihren Gremienentscheidungen.

Gegen Einheit und Autorität der Kirche

Das Verhalten dieser Bischöfe untergräbt nicht nur die Einheit (zweierlei Lehren), sondern auch die Autorität der Kirche und ihrer Bischöfe. Denn der bischöfliche Dezisionismus fördert auch bei den Gläubigen einen Dezisionismus, womit sich kirchliche Verbindlichkeiten weiter verflüchtigen. Wenn sich nicht einmal Bischöfe der Lehre und Autorität der Kirche verpflichtet fühlen, was ihres Amtes ist, wieso sollten dies dann die Gläubigen tun, auch gegenüber ihren Bischöfen? Papst Franziskus hat sich diesen Abwegen in Deutschland geduldig kommunikativ entgegengestellt. Dafür gebührt ihm hoher Respekt. Dem neuen Papst steht keine leichte Aufgabe bevor, die vorhandenen Fliehkräfte in Deutschland zu bändigen.

Synodaler Rat durch die Hintertür?

Das jüngste Beispiel für den deutschen Eigenweg ist eine „Handreichung für Segensfeiern“ für nicht verheiratete Paare, die von der „Gemeinsamen Konferenz“ aus Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) bereits am 4. April 2025 verabschiedet und am 23. April, zwei Tage nach dem Tod von Papst Franziskus, veröffentlicht wurde. Sie enthält „Empfehlungen an Diözesanbischöfe“ sowie für Seelsorgerinnen und Seelsorger für die Praxis.

Ungewöhnlich ist, dass eine solche pastoral-liturgische Handreichung von einer Konferenz verabschiedet wird, der etliche Laien im doppelten Sinn des Wortes angehören, also Katholiken, die nicht geweiht sind und auch keine theologische Kompetenz aufweisen. Das wiederum erklärt sich daraus, dass im Anschluss an den „Synodalen Weg“ (2019-2023) die bereits seit 1976 bestehende „Gemeinsame Konferenz“ von Bischöfen und ZdK Arbeitsgruppen beauftragt hat, um Anliegen dieses Reformweges zu vertiefen, darunter eine Arbeitsgruppe „Segnungen für Paare, die sich lieben“. Seitens der Bischöfe arbeitete hier Stephan Ackermann (Trier) mit. Bislang waren derartige Handreichungen Sache der Bischofskonferenz. Da es bisher kein anderes gemeinsames Gremium, etwa den vom „Synodalen Weg“ angestrebten, aber vom Vatikan abgelehnten „Synodalen Rat“ gibt, übernimmt offensichtlich die „Gemeinsame Konferenz“ jetzt diese Funktion, die sich aus je zehn Vertretern der Bischöfe und des ZdK zusammensetzt.

Handreichung gegen “Fiducia supplicans”

Das Problem an der Handreichung dieser Konferenz ist, dass hier die Diskrepanz zwischen dem, was der „Synodale Weg“ anstrebt, der keine kirchlich anerkannte Synode war, und dem, was der Vatikan mit ausdrücklicher Zustimmung des Papstes zuletzt in der Erklärung „Fiducia supplicans“ vom 18. Dezember 2023 bezüglich der pastoralen Sinngebung von Segnungen vorgegeben hat, deutlich zum Ausdruck kommt.

Pastorale Begleitung, nicht Legitimation

Dem „Synodalen Weg“ geht es um die Anerkennung und Begleitung von Paarbeziehungen unterschiedlichster Art durch kirchliche Segensfeiern, zu deren Durchführung die Handreichung dienen soll, weil diese Beziehungen in unserer „Kultur und Gesellschaft“ mittlerweile eine „große Akzeptanz“ erfahren, was auch für den „Synodalen Weg“ selbst gilt. Dem Vatikan geht es dagegen um eine diskrete pastorale Begleitung dieser Paare, auch durch einen informell, in einem „Bereich größter Spontanität und Freiheit“ der Pastoral (Nr. 23) ausgesprochenen Segen, ausdrücklich aber ohne eine Anerkennung oder Legitimierung der unterschiedlichen Paarkonstellationen, weil diese der „beständigen Lehre der Kirche“ über die Ehe und Sexualität widersprechen. Aus diesem Grunde findet man in der Handreichung für die deutsche Kirche kaum konkrete Hinweise auf die vielfältigen Einschränkungen, die in der gesamtkirchlichen Erklärung mit ihren Klarstellungen benannt werden, nämlich:

  • dass „Riten und Gebete, die Verwirrung stiften könnten zwischen dem, was für die Ehe konstitutiv ist, und dem, was dem widerspricht, unzulässig“ sind (Nr. 4);
  • dass es für diese Paarbeziehungen keine Segnungen in einem liturgischen Verständnis geben dürfe, „insoweit sie zu offiziellen von der Kirche vorgelegten Feiern werden“ (Nr. 10);
  • dass es „nicht angebracht ist, dass eine Diözese, eine Bischofskonferenz oder irgendeine andere kirchliche Struktur auf Dauer und offiziell Verfahren oder Riten für alle möglichen Angelegenheiten“ vorsieht (Nr. 30, Papst Franziskus);
  • dass die Form der Segnungen für Paare, die in den Augen der Kirche in „irregulären Situationen“ leben, „von den kirchlichen Autoritäten nicht rituell festgelegt werden darf, um keine Verwechslung mit dem dem Ehesakrament eigenen Segen hervorzurufen“ (Nr. 31);
  • dass die „nicht ritualisierten Segnungen … nicht zu einem liturgischen oder halbliturgischen Akt werden“ sollen (Nr. 36);
  • dass man solche Segnungen „weder fördern noch ein Ritual dafür vorsehen“ solle (Nr. 38);
  • dass zudem ein solcher Segen niemals im direkten Zusammenhang mit einer standesamtlichen Feier oder sonst in irgendeiner Verbindung damit erteilt werden“ könne, was „auch für die Kleidung, die Gesten und die Worte, die Ausdruck für eine Ehe sind“, gelte (Nr. 39).  

Zerreißprobe für die Kirche

Die genannten Einschränkungen sind dem Spannungsverhältnis von kirchlicher Morallehre und den verschiedenen Lebensrealitäten bzw. dem unterschiedlichen Umgang mit diesen Lebensrealitäten in der weltweiten Kirche geschuldet. Daraus ergibt sich leicht eine Zerreißprobe für die Kirche, wie die bisherigen Diskussionen zu diesem Thema zeigen. Die Handreichung für die Kirche in Deutschland übergeht diese Einschränkungen jedoch weitgehend und geht auch auf die Spannung zwischen Lehre und Pastoral nicht ein. Sie spiegelt eine Normalität vor, die die Irregularität ausblendet, weil es die für die Protagonisten des „Synodalen Weges“ nicht mehr gibt. So wirkt sie wie eine Provokation, denn ihr Zweck ist es, einen Rahmen für offizielle kirchliche Segensfeiern zu schaffen, die der Vatikan gerade aus guten Gründen ausschließen will. Festgestellt wird immerhin aber: „Die Segnungen sollen so gestaltet sein, dass es zu keiner Verwechslung mit der gottesdienstlichen Feier des Ehesakraments kommt.“ Zudem wird positiv die „größere Spontaneität und Freiheit dieser Segnungen“ betont, die sich aber mit „Sorgfalt in der Vorbereitung“ der kirchlichen Segensfeiern verbinden mögen. Auch gibt es keine Pflicht zum Segnen für diejenigen, die das nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können; sie sollen die Paare an andere vermitteln.

In dieser Weise wird der eigentliche Grundkonflikt zwischen unterschiedlichen Morallehren umgangen: einerseits der beständigen katholischen Morallehre, nach der die sexuellen Beziehungen nur „ihren natürlichen, angemessenen und vollständig menschlichen Sinn“ in der Ehe finden (Nr. 4), und andererseits neueren Morallehren, die in Orientierung an der individuellen Selbstbestimmung und dem Prinzip der Gradualität die Akzeptanz und Wertschätzung unterschiedlicher sexueller Beziehungen und Paarkonstellationen befürworten.

Klarheit und Transparenz – Fehlanzeige!

Vor diesem Hintergrund treffen die beiden Fragen, die seitens der Initiative „neuer Anfang“ an die in der „Gemeinsamen Konferenz“ vertretenen Bischöfe gestellt wurden[*], Kernpunkte der aktuellen Auseinandersetzung zwischen der Reformbewegung „Synodaler Weg“ in Deutschland und der Gesamtkirche, nämlich ob die Bischöfe überhaupt noch zur ethischen Grundnorm der Sexualmoral der Kirche stehen und ob sie der Handreichung zu Segensfeiern, die die Vorgaben aus Rom ein gutes Stück weit unterläuft und konterkariert, zugestimmt haben. Aus dem Abstimmungsverhalten der Bischöfe beim „Synodalen Weg“ und nun in der „Gemeinsamen Konferenz“ – die Handreichung wird kaum gegen die Stimmen der Bischöfe verabschiedet worden sein – erschließt sich die Antwort, die die betreffenden Bischöfe – mit Ausnahme des Regensburger Bischofs Vorderholzer, dessen kritische Haltung zum „Synodalen Weg“ bekannt ist – nicht gegeben haben. Klarheit und Transparenz scheint nicht gewünscht zu sein.


[*] In der gemeinsamen Konferenz sind die Bischöfe Bätzing (Limburg), Brahm (Weihbischof Trier), Gerber (Fulda), Gössel (Bamberg), Holtkotte (Weihbischof Paderborn), Koch (Berlin), Kohlgraf (Mainz), Marx (München), Theising (Weihbischof Münster), Vorderholzer (Regensburg) vertreten.


Stephan Raabe
ist als Projektleiter in Bosnien und Herzegowina tätig. Er studierte Geschichte, Kath. Theologie, Philosophie und Politik für das Schullehramt in Bonn und München, machte einen Magisterabschluss, arbeitete anschließend zehn Jahre in der Jugendseelsorge im Erzbistum Berlin, war 2002/03 Bundesgeschäftsführer des Familienbundes der Katholiken und als solcher Mitglied im ZdK, ging dann für die Konrad-Adenauer-Stiftung nach Polen und Weißrussland und leitete danach das Politische Bildungsforum der Stiftung in Brandenburg. Publizistisch setzte er sich immer wieder kritisch mit der „Weiterentwicklung“ der Kirche in Deutschland auseinander. 


Beitragsbild: © Synodaler Weg / Maximilian von Lachner
(Fünfte Synodalversammlung des Synodalen Weges (09.-11. März 2023): Beratungen der Synodalversammlung (10.03.2023) – ein junger Synodaler mit der Botschaft „Lovers unite“ auf dem T-Shirt)

Melden Sie sich für unseren Newsletter an