Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken im Alleingang

Vertritt das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) die Katholiken in Deutschland, fragt unser Gastautor Jonas Jacob? Dahingestellt, dass das derzeit geplante, sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“ der Bundesregierung nicht nur von Ärzten, Juristen, Pädagogen, Frauenrechtsverbänden, sondern auch von zahlreichen Theologen und Bischöfen fundiert kritisiert wird, ist es erschreckend mit welcher Selbstverständlichkeit das ZdK an die Politik und Öffentlichkeit tritt und unter rudimentärer Begründung mitteilt, die deutschen Katholiken begrüßten die beabsichtigten Regelungen ausdrücklich. Das ist schlichtweg falsch. Sowohl von großen Teilen der katholischen Laien als auch von Klerikern wird das Gesetz (Referentenentwurf abrufbar bei Cicero) deutlich kritisiert- und dies nicht ohne Grund.

Formell betrachtet wird durch das geplante Selbstbestimmungsgesetz der Wechsel des Personenstandseintrages vereinfacht, indem eine einfache Erklärung, ohne weitere Plausibilitätsprüfungen, oder medizinische Gutachten fortan für die Änderung des Geschlechtseintrags ausreichen soll. Kinder ab 14 Jahren können ihr gewünschtes Geschlecht – auch gegen den Willen der Eltern – selbst wählen, bei Kleinkindern bis 14 Jahren entscheiden die Eltern über das Geschlecht. Soweit die beabsichtigte Gesetzessystematik.

Auffallend unauffällig geplanter fundamentaler Wandel des Menschenbildes

Hinter dem auffallend unauffällig geplanten Gesetz verbirgt sich indes ein fundamentaler Wandel des Menschenbildes, welcher sowohl in die gesamte Rechtsordnung hinein als auch bis tief in die Wurzeln der Gesellschaft wirken wird.

Das Gesetz schafft jegliche Anknüpfung an das biologische Geschlecht ab. Damit wird dem von Geburt an gegebenen Körper die Bedeutung abgesprochen. Es geht also nicht nur um eine Gesetzesänderung, sondern um die Auflösung des Geschlechtsverständnisses, wie wir es seit Jahrtausenden kennen. Zentraler Aspekt, der sich schon aus dem Titel des Gesetzes ergibt, ist die Anknüpfung an die freie, autonome Entfaltung der Persönlichkeit, hier in Bezugnahme auf das eigene Geschlecht, welche die biologischen Gegebenheiten durch einen Sprechakt ersetzt.

Es liegt nahe, die ontologischen Grundlagen dieser Geschlechtsdeutung bei französischen Existenzialisten wie Jacques Derrida, Michel Foucault und schlussendlich im Werk Judith Butlers zu sehen. Das Geschlecht ist demnach nichts Gegebenes, sondern durch Wiederholung performativer Sprechakte innerhalb patriarchaler Kultur konstruiert. Diese aufgenötigte Konstruktion soll nun zerschlagen werden. Das unmittelbar bevorstehende Selbstbestimmungsgesetz geht sicher einen entscheidenden Weg zur Zerschlagung des von der Natur, oder von Gott gegebenen Geschlechts und steht damit in einer geschichtlichen Entwicklungslinie mit den aufgeführten Ansätzen.

Gegen ein solches, teils körperfeindliches, Verständnis haben sich in letzter Zeit nicht nur Biologen und anerkannte Frauenrechtlerinnen, sondern auch zahlreiche Gemeindemitglieder der katholischen Kirchen Deutschland gewandt. Nach deren religiösen Empfinden ist das Geschlecht auch nichts selbst Geschaffenes, sondern zunächst etwas Gegebenes und Geschenktes, das es anzunehmen gilt. Die Förderung und Unterstützung Heranwachsender bei diesem nicht immer leichten Annahmeprozess betonen auch zahlreiche Pädagogen.

Die menschliche Identität wird der individualistischen Wahlfreiheit ausgeliefert

Papst Franziskus hatte sich bereits klar zu der oben beschriebenen Entwicklung geäußert. In seinem Werk amoris laetitia beschreibt er die Versubjektivierung des Geschlechts als eine Ideologie, die den Unterschied von Mann und Frau leugne. Sie stelle eine Gesellschaft ohne Geschlechterdifferenz in Aussicht und höhle die anthropologische Grundlage der Familie aus. Diese Ideologie fördere Erziehungspläne und eine Ausrichtung der Gesetzgebung, welche eine persönliche Identität und affektive Intimität fördere, die von der biologischen Verschiedenheit zwischen Mann und Frau radikal abgekoppelt seien. Die menschliche Identität werde einer individualistischen Wahlfreiheit ausgeliefert, die sich im Lauf der Zeit auch ändern könne (Nachsynodales Apostolisches Schreiben amoris laetitia über die Liebe in der Familie, 19. März 2016).

Rasante Neuinterpretation des Geschlechtsbegriffs ohne Diskurs

Darüber hinaus sehen Ärzte, Biologen, Juristen und Frauenrechtlerinnen die rasante Neuinterpretation des Geschlechtsbegriffs mitsamt ihren unüberblickbaren Auswirkungen kritisch (siehe fachärztliche und sexualwissenschaftliche Stellungnahme). Abgesehen von der inhaltlichen Kritik ist erschreckend, dass das Selbstbestimmungsgesetz scheinbar ohne hinreichenden Diskurs und Einbeziehung diverser Standpunkte erlassen werden soll.

All dies negierend verabschiedete das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), welches anscheinend von der Politik als Sprachrohr der Katholiken in Deutschland verstanden wird, am 10. Dezember 2022 einen Beschluss der Vollversammlung zum Eckpunktepapier der Bundesregierung zum geplanten Selbstbestimmungsrecht und begrüßt darin die beabsichtigten Regelungen ausdrücklich und sogar blind, ohne dass der geplante Gesetzesentwurf zu diesem Zeitpunkt vorlag.

Es operiert bei der Begründung mit pauschal gehaltenen wohlklingenden Floskeln („Würde für alle Menschen“, „empathisch zuhörende Haltung“), die der katholischen Kirche derzeit sicher gut zu Gesicht stehen, verkennt dabei jedoch den tatsächlichen Regelungsgehalt und die inhaltlichen Auswirkungen des Gesetzes. Soweit darin der Schutz von Intersexuellen angesprochen wird, scheint das ZdK zu übersehen, dass der Wechsel zum diversen Geschlecht, welcher durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einst explizit und nur für intergeschlechtliche Menschen vorgesehen war, durch das geplante Selbstbestimmungsgesetz für intersexuelle Menschen sogar erschwert wird.

Der Beschluss des ZdK wurde von den das Gesetz unterstützenden Politikern äußerst positiv wahrgenommen. Dies ergeht insbesondere aus der Reaktion des Queer-Beauftragten Sven Lehmann.

Das ZdK widerspricht nicht nur Millionen Katholiken – sondern auch sich selbst

Indem das ZdK nach außen hin behauptet, das geplante Selbstbestimmungsgesetz entspreche dem Standpunkt der Katholiken in Deutschland, widerspricht es nicht nur zahlreichen Gemeindemitgliedern, Pastoren, Bischöfen und dem Vatikan, sondern zugleich auch sich selbst. Noch vor wenigen Jahren hat das ZdK unter Bezugnahme auf Genesis 1,28 „Als Mann und Frau schuf er sie“ die Einführung eines dritten Geschlechts abgelehnt. Dabei stellt es fest, dass die katholischen Verbände und Gemeinschaften derzeit nicht erkennbar für die Schaffung einer dritten Option votieren. Wenige Jahre später scheinen die katholischen Verbände nunmehr für die Abschaffung des gesamten Geschlechtsbegriffs zu votieren. Wo genau haben sie das artikuliert? Wann wurde dies mit welcher Untersuchungsmethodik abgefragt? Eine derartige Mehrheitsbildung gibt es indes nicht und wird das ZdK auch nicht vorlegen können.

Dahingestellt, dass das geplante Gesetz nicht nur von Ärzten, Juristen, Pädagogen, Frauenrechtsverbänden, sondern auch von zahlreichen Theologen und Bischöfen fundiert kritisiert wird, ist es erschreckend mit welcher Selbstverständlichkeit das ZdK an die Politik und Öffentlichkeit tritt und unter rudimentärer Begründung mitteilt, die deutschen Katholiken begrüßten die beabsichtigten Regelungen ausdrücklich. Das ist schlichtweg falsch.

Drastische Änderung des christlichen Menschenbildes ohne Diskurs mit den Menschen

Ohne an dieser Stelle auf die fundierten Bedenken im Detail eingehen zu müssen, steht fest, dass die kritischen Positionen zunächst gehört werden müssen, um darauf in einen Diskurs einzutreten, an welchem auch die breite Gesellschaft – und im Falle des ZdK die Katholiken in Deutschland – beteiligt werden müssen.

Bei derartigen Änderungen des Menschenbildes hat die Kirche in Deutschland ein Mitspracherecht. Um dieses fundiert und informiert wahrnehmen zu können, muss in der katholischen Kirche zunächst diskutiert werden, ob eine derartige Auflösung des Geschlechtsbegriffes überhaupt aus christlicher Perspektive intendiert ist. Für die Beantwortung dieser Frage müssen auch die kritischen Stimmen gehört und geprüft werden. Denn eine derart drastische Änderung des Menschenbildes in Gesetz, Gesellschaft und Medizin unter Ausschluss großer Gruppierungen ist nicht nur undemokratisch, sondern auch innerhalb der katholischen Kirche nicht vertretbar. Soweit die berechtigten Bedenken nicht gehört werden, besteht zudem das Risiko, dass die getroffenen Entscheidungen zu irreversiblen Schäden führen. Dies gilt nicht nur für die angesprochenen Bedenken anerkannter Mediziner und Pädagogen, sondern auch innerhalb der kirchlichen Ordnung. Sofern die Bestimmung des Geschlechts allein vom individuellen Empfinden abhängig gemacht wird, wie werden dann die katholische Dogmatik (Sakrament der Ehe, Priesterweihe, Zölibat etc.) und das kirchliche Arbeitsrecht (Quotenregelungen, Gleichberechtigungsauftrag etc.) umsetzbar sein?

Das ZdK bewirbt aktuell die Veranstaltung „Wartet nicht! – Frauen zum Diakonat zulassen“. Fraglich ist, ob es damit biologische Frauen meint, oder Personen, die entschieden haben, eine Frau zu sein? Nach dem Geschlechtsverständnis des ZdK müssen danach auch biologische Männer umschlossen sein, die sich als Frau empfinden. Ist dies die Umsetzung des Gleichstellungsauftrags der katholischen Kirche und damit im Sinne der Frauen?

Schlussendlich ergeben sich bei der beabsichtigten Umdeutung des Geschlechtsbegriffs zahlreiche nicht überschaubarer Konflikte und Folgefragen, die in einem vorgesetzlichen Diskurs gesellschaftlich thematisiert werden müssen.


Jonas David Jacob studierte Rechtswissenschaften in Leipzig und Saarbrücken, Wirtschaftsrecht (LL.M.) in Hamburg und parallel das künstlerische Hauptfach Trompete an den Musikhochschulen in Berlin, Lübeck und Saarbrücken. Im Rahmen seiner Promotion an der Universität Münster beschäftigte er sich unter anderem mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten dritten Geschlecht. Aktuell arbeitet Jacob neben seiner Konzerttätigkeit als Rechtsanwalt in einer Wirtschaftskanzlei und ist darüber hinaus Justiziar für den katholischen Caecilienverband. www.jonasjacob.de

Bildnachweis: Adobe Stock

 

Melden Sie sich für unseren Newsletter an