Mit der Bekehrung Augustins in den Augusttagen des Jahres 386 und seiner Taufe an Ostern 387 versinkt die heidnische Antike im Taufbecken des Mailänder Doms und das christliche Mittelalter beginnt. Mit seiner antiken philosophischen Bildung hat Augustin die neue Ordnung des Liebens durch das Christentum auf den Begriff gebracht. Heute ist sein Festtag. Dazu schenkt uns Helmut Müller einige erquickliche Gedanken.

Die neue Ordnung des Liebens

Augustinus spricht von einem ordo amoris. D. h. die Näherstehenden werden natürlicherweise mehr geliebt als die Fernerstehenden. Sich selbst liebt man am meisten, d. h. das sollte jedenfalls selbstverständlich sein. Damit meine ich nicht die Sologamie der Schauspielerin Selena Gomes: „Ja, ich will mich – Selena Gomez hat sich selbst geheiratet“ hieß es Anfang des Jahres in der Berner Zeitung.

Das Christentum ist, was das Lieben anbelangt, revolutionär: „Du sollst deinen Nächsten lieben (zwischen Näher- und Fernerstehenden wird da nicht mal unterschieden!) wie dich selbst.“ Das geht gegen unsere Natur, nicht nur gegen die von Selena Gomes. Aber eine Religion der Seligpreisungen (vgl. Lk 6,20-23) fordert ganz offensichtlich so etwas, was gegen jede Realität ist, die Blumenberg einmal mit „Absolutismus der Wirklichkeit“ charakterisiert hat: Denn im wirklichen Leben sind die Armen eben nicht selig, sondern arme Schweine. Die Hungernden verhungern und werden in der großen Mehrzahl gerade nicht gesättigt, usw… Die Religion der Seligpreisungen nimmt diese „Realitäten“ allerdings wahr. Aber sie will es dabei nicht bewenden lassen, sondern hat diesem Leid den Kampf angesagt.

Das unruhige Herz eines jeden von uns

Das geht nur gut mit einem Standortwechsel. Man liebt nicht mehr sich selbst am meisten, sondern Gott. Augustinus hat es erkannt, was uns umtreibt und schreibt: Inquietum est cor nostrum – von Unruhe erfüllt ist unser Herz und gibt dann auch die Antwort, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: donec requiescat in te, Domine. (Conf.I 1), bis es Ruhe findet in Dir, o Gott. Bruder Klaus zieht daraus gut 1100 Jahre später den Schluss: „Nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen Dir“. Jesus hat das seinen Anhängern schon vor 2000 Jahren zugemutet. Ich denke, die Stärke und die Schwäche dieses Programms des Mannes aus Nazareth ist jedem klar.

Der ordo amoris Jesu

Realität und Idealität sind auch jetzt noch wie vor 2000 Jahren meilenweit voneinander entfernt. Nur in einem Fall liegen sie damals wie heute relativ nahe beieinander: Im Fall der Mutterliebe. Und da muss man auch sagen: In der Regel. In der Regel liegen Realität und Idealität nur deshalb näher beieinander, weil Mutter und Kind einmal ein Fleisch waren. Auf Seiten der Mutter wirkt das lange nach. Bei Vätern ist das schon nicht mehr so. Das Kind schon im Mutterschoß tragen, ist eben ein Unterschied zu „es bloß im Arm halten zu können“ als kürzestem Abstand für Väter. Inwiefern Augustinus bei seinem ordo amoris von seiner Mutter Monika profitiert hat, deren Festtag ein Tag davor gefeiert wird, bleibt beider Geheimnis. Das Christentum jedenfalls verlangt offenbar auch von Vätern das Modell Mutterliebe. Der Mann aus Nazareth hat es uns am Kreuz vorgemacht, was die Frau aus Nazareth schon im Stall in Bethlehem und der Flucht nach Ägypten im Modell Mutterliebe auch dem Gottessohn gewährt hat. Uns bleibt dabei nichts anderes übrig als ihm und ihr in dieser Hinsicht nachzufolgen. Für die Probleme dieser Welt und die, die wir mit uns selbst und anderen haben, gibt es keine andere Lösung, vor allem wenn es uns gut geht, gilt die Forderung: von sich selbst abzusehen.

Das Modell Mutterliebe

Der ordo amoris von Augustinus ist da schon ein Kompromiss zwischen Realität und Idealität: Man sollte mit dem Lieben bei den Näherstehenden, seinen Kindern, den Eltern und Großeltern (wenn sie einmal die Schwächeren sein werden) oder den eigenen Geschwistern anfangen und sich zu den Fernerstehenden hin arbeiten. Manche Idealisten kriegen es wahrhaft hin bis dorthin zu gelangen. Maximilian Kolbe, Mutter Teresa, Elisabeth von Thüringen, Franz von Assisi. Es gibt zu wenige davon. Aber versuchen sollten wir es. Ihr Geheimnis ist der Standortwechsel. Paulus hat es schon vor Bruder Klaus auf den Begriff gebracht: So lebe also nicht mehr ich selbst, sondern Christus lebt in mir“ (Galater 2,20). Paulus ist dem Mann aus Nazareth vor der Auferstehung nie begegnet, hat ihn aber wie keiner, der ihn begleitet hat, so genial verstanden und interpretiert. Auch in Paulus war die Unruhe des hl. Augustinus: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht künde“ schrieb er im ersten Korintherbrief (9,16) und im zweiten (2,14) „die Liebe Christi drängt uns“. Diese paulinische Unruhe, die den Apostel rund um die Gestade des Mittelmeers „gedrängt“ hat, hat den hl. Augustinus in das Herz Gottes getrieben und ist dort schließlich zur Ruhe gekommen.


Dr. phil. Helmut Müller

Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“

Melden Sie sich für unseren Newsletter an