Können Gläubige, die in irregulären Situationen leben, gesegnet werden? Das können sie natürlich. Der Trappisten-Pater Erik Varden ocso, Bischof von Trondheim und Apostolischer Administrator von Tromsø, stellt durch ein Schreiben zur römischen Erklärung „Fiducia supplicans“ klar: Gegenstand ist nicht Moraltheologie, sondern die pastorale Sinngebung von Segnungen. Wir veröffentlichen das Bischofsschreiben in einer autorisierten Übersetzung:
Brief an die Priester der Prälaturen Trondheim und Tromsø
Liebe Brüder,
ich wurde gebeten, die richtige praktische Anwendung von Fiducia supplicans, einer Erklärung, die das Dikasterium für die Glaubenslehre am 18. Dezember 2023 in Form einer Meditation veröffentlicht hat, zu klären. Die Regelung von „Details“ steht ausdrücklich nicht im Vordergrund des Dokuments (vgl. Nr. 41). Daher lädt uns das Dikasterium brüderlich (Nr. 3) ein, durch genaue Lektüre dessen, was gesagt und impliziert wird, so viel Licht wie möglich zu finden, damit wir als Priester das verfolgen können, was immer der höchste Zweck und das höchste Gesetz der Kirche ist: das Heil der Seelen (vgl. Codex des kanonischen Rechts, ca. 1752).
Zunächst wollen wir beachten, was explizit im Text steht:
- Die Erklärung stellt sich als Aussage „über die pastorale Sinngebung von Segnungen“ dar. Ihr Gegenstand ist nicht Moraltheologie.
- Bezüglich der Moraltheologie, insbesondere der Theologie der Ehe, sagt die Erklärung nichts Neues. Es festigt die immerwährende Lehre der Kirche. Es verbietet ausdrücklich jede Geste, die den Anschein einer Relativierung dieser Lehre erwecken oder geeignet sein könnte, „Verwirrung“ zu erzeugen (Nr. 39).
Das pastorale Anliegen der Erklärung gilt „Paaren in irregulären Situationen“ (Nr. 31). Aus dem Instrumentum Laboris für die erste Sitzung der XVI. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode, im Volksmund als Synode über Synodalität bekannt (B 1.2), wissen wir, dass diese Paare in drei Hauptkategorien fallen: geschiedene und wiederverheiratete Katholiken; Katholiken in polygamen Ehen; Katholiken in Beziehungen, die nicht aus einem biologischen Mann und einer biologischen Frau bestehen.
Situationen pastoraler Sensibilität
Die Erklärung fordert uns als Priester auf, in solchen Situationen pastorale Sensibilität zu zeigen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Sensibilität tatsächlich zum Ausdruck kommt. Ich danke Euch für Eure Fähigkeit, verantwortungsvolle theologische Erkenntnis mit christlicher Nächstenliebe und pastoralem Fingerspitzengefühl zu verbinden. Ich wiederhole, was die Bischöfe der nordischen Länder in ihrem am 25. März 2023 veröffentlichten Brief über die menschliche Sexualität von sich gesagt haben:
„Wir sind für alle da und sind gerne bereit, alle zu begleiten. Das Sehnen nach Liebe und die Suche nach sexueller Ganzheit berühren das Innerste im Menschen, wo er am verwundbarsten ist. Auf dem Weg zu dieser Ganzheit ist Geduld gefragt – und Freude über jeden Schritt nach vorne.“
Können Gläubige, die in irregulären Situationen leben, gesegnet werden? Das können sie natürlich. In unserer Kirche ist es ein seit Langem etablierter Brauch, dass sich diejenigen, die aus irgendeinem Grund das Sakrament nicht empfangen können, zum Zeitpunkt der Heiligen Kommunion an den Priester wenden und ihn um einen Segen bitten. Dieser wird niemals vorenthalten, es sei denn, der Bittsteller, Gott bewahre, legt eine sakrilegische Haltung an den Tag. Es ist erbaulich und berührend zu sehen, wie ein Bruder oder eine Schwester im Glauben, eine Person, die uns am Herzen liegt, anerkennt:
„Hier und jetzt sind die Umstände meines Lebens so, dass ich die Sakramente nicht empfangen kann; dennoch glaube ich an Gott und vertraue darauf, dass Gott an mich glaubt. Deshalb erbitte ich seinen Segen und erkläre meinen Willen, ein Teil dieser Glaubensgemeinschaft zu bleiben.“
In einer solchen Haltung liegen Aufrichtigkeit, Demut und Stärke.
Wo diese drei Eigenschaften vorhanden sind, kann Gnade wirken.
Wie steht es dann mit der Segnung von Paaren in unregelmäßigen Verhältnissen, insbesondere von „gleichgeschlechtlichen Paaren“ (Nr. 31)? In einem Responsum zu dieser Frage vom 22. Februar 2021 – einem Text, der ebenfalls vom Dikasterium (damals „Kongregation“ genannt) für die Glaubenslehre herausgegeben wurde und deren Veröffentlichung ebenfalls vom Heiligen Vater, Papst Franziskus, „gutgeheißen“ wurde, heißt es, dass solche Beziehungen nicht „rechtmäßig Gegenstand einer kirchlichen Segnung“ sein können. Da diese maßgebliche Aussage des Heiligen Stuhls nicht widerrufen wurde, steht es uns nicht frei, sie zu ignorieren. Auch die vorliegende Erklärung widerspricht ihr nicht. Es legt fest, dass dort, wo eine „kirchlicher Segnung“ nicht möglich ist, ein „pastoraler“ Segen ins Auge gefasst werden kann.
Was ist der Unterschied zwischen einem „kirchlichen“ und einem „pastoralen“ Segen?
Eine „kirchliche“ Handlung findet öffentlich statt und folgt einem von der Kirche genehmigten Ritual; eine „pastorale“ Handlung ist persönlich, intim und bezieht sich auf das innere Forum. Hier haben wir also ein Kriterium für die Anwendung von Fiducia supplicans: Wenn Paare, die in irregulären Verhältnissen leben, um einen „pastoralen“ Segen bitten, ist der geeignete Rahmen abseits der Öffentlichkeit und folgt dem Beispiel des Herrn im Evangelium. Als er von einem Blinden angesprochen wurde, der darum bat, ihn berühren zu dürfen, nahm er den Mann „bei der Hand und führte ihn aus dem Dorf“ (Markus 8,23), um ihm dort die Hände aufzulegen, damit die Heilung der göttlichen Gnade das berühren könne, was in ihm zerbrochen war, ohne dass die Gebrochenheit zum öffentlichen Spektakel wurde. Diese Bedingung der Privatsphäre und Vertraulichkeit entspricht dem, was in der Erklärung unter Nr. 31–41 angegeben ist.
Ein Segen darf niemals instrumentalisiert werden
Ein zweites Kriterium betrifft die Absicht der um den Segen bittenden Paare, also der Geschiedenen und Wiederverheirateten, derjenigen in polygamen Ehen oder von Menschen in Beziehungen, die nicht aus einem biologischen Mann und einer biologischen Frau bestehen. Voraussetzung ist ein Wille zur Umkehr und eine Glaubenshaltung, aufgrund derer sie sich „demütig als Sünder bekennen“ (Nr. 32). Es solle, so erklärt Fiducia supplicans, „nichts legitimiert, sondern vielmehr das eigene Leben für Gott geöffnet werden, um seine Hilfe für ein besseres Leben zu erbitten“ (Nr. 40). Ein Segen, so werden wir belehrt, darf niemals als Faustpfand für politische oder ideologische Zwecke instrumentalisiert werden (vgl. Nr. 32, 39). Sollte eine solche Absicht vorliegen, steht es dem Priester nicht frei, zu segnen; stattdessen muss er die Bittsteller einladen, gemeinsam das Vaterunser zu beten. Grundsätzlich darf niemand von der Segnung ausgeschlossen werden (vgl. Nr. 29). Gleichzeitig sind wir an dieses ewige, nicht kulturell bedingte Gebot gebunden: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen“ (Exodus 20,7).
„Das letzte Bild Jesu auf Erden“, heißt es in Fiducia supplicans, „sind seine erhobenen Hände beim Segnen“ (Nr. 18). Das dürfen wir nie vergessen. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass diese Hände noch immer die Spuren der Nägel trugen, mit denen er ans Kreuz genagelt worden war (vgl. Joh 20,27), um „Sühne zu leisten mit seinem Blut“ (Römer 3,25) für die Sünden der Welt. Seine abschließende Segenshandlung (Lukas 24,51) war zugleich ein Auftrag, indem er die Jünger aufforderte, hinzugehen und alle Völker zu Jüngern zu machen, sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen und sie zu lehren, alles zu befolgen, was er ihnen geboten hatte (vgl. Matthäus 28,19–20).
Segen selten eine Bestätigung eines Status quo
Fiducia supplicans lädt uns ein, über die Bedeutung von Segen in der Heiligen Schrift nachzudenken. Eines ist klar: Ein biblischer Segen ist selten eine Bestätigung eines Status quo; vielmehr ruft ein Segen dazu auf, neu aufzubrechen und sich zu bekehren. Manchmal bringt ein Segen eine Anerkennung der Not mit sich, etwa wenn Isaak Esau segnet und sagt: „Fern vom Fett der Erde musst du wohnen, fern vom Tau des Himmels droben. Von deinem Schwert wirst du leben. Deinem Bruder wirst du dienen.“ (Genesis 27,39–40). Dieser Sachverhalt wird nicht idealisiert; er wird vor Gott anerkannt. Ein Segen kann nicht auf einer Illusion beruhen. Durch einen Segen sagt Isaak zu seinem Sohn: „Dein Leben wird kein leichtes Leben sein.“ Im Fall von Esaus Bruder Jakob ging der Segen Gottes, der seine Berufung besiegelte, mit einer Wunde einher, die ihn für den Rest seiner Tage hinken ließ. Der Segen selbst war auf geheimnisvolle Weise in seinem neuen Namen „Israel“ enthalten, das heißt „Der mit Gott ringt“ (Genesis 32,26ff.). Der Gott der Schrift ist kein Gott, der uns in Ruhe lässt. Er ruft uns dazu auf, immer wieder aus der begrenzten Selbstwahrnehmung und den selbstgestalteten Komfortzonen herauszutreten, um neue Frauen und Männer zu werden (vgl. Offenbarung 21,5).
Segen hilft, vorwärts zu gehen, besser zu leben
In der Erklärung wird betont: „Das Verlangen nach einem Segen seitens der Kirche bedeutet anzuerkennen, dass das kirchliche Leben dem Schoß der Barmherzigkeit Gottes entspringt und uns hilft, vorwärts zu gehen, besser zu leben, und um dem Willen des Herrn zu entsprechen.“ (Nr. 20). Wir wissen, was sein Wille für uns ist: „Das ist es, was Gott will: eure Heiligung“ (1. Thessalonicher 4,3). Das Zweite Vatikanische Konzil ermahnt uns: „Alle Christgläubigen sind also zum Streben nach Heiligkeit und ihrem Stand entsprechender Vollkommenheit eingeladen und verpflichtet.“ Tatsächlich haben sie die Pflicht, sich darum zu bemühen. „Alle sollen deshalb ihre Willensantriebe richtig leiten“ (Lumen Gentium, Nr. 42.)
„Gott weist nie jemanden ab, der sich an ihn wendet!“ (Nr. 33). Das ist wahr. Im Evangelium sehen wir, dass Christus alle barmherzig empfängt. Aber seiner Barmherzigkeit hat nie das Salz der Wahrheit gefehlt. Manchmal zeigte er Strenge, um die Menschen vor Missverständnissen zu bewahren und sie zu lehren, „ihre Willensantriebe richtig zu leiten“, die leicht in die Irre gehen. Zum reichen Jüngling sagte er: „Wenn du vollkommen sein willst, lass alles zurück, alles, was dich jetzt belastet und einengt, und komm und folge mir.“ Als der andere zögerte, lief Jesus ihm nicht nach; er ließ seine Worte heimlich und langsam in der Seele des jungen Mannes wirken (vgl. Matthäus 19,16–22). Im Fall der Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war, verurteilte Jesus sie nicht. Er tadelte die Selbstgerechtigkeit derjenigen, die dies taten. Dennoch schickte er sie mit der Anweisung weg: „Sündige von jetzt an nicht mehr“ (Johannes 8,11). Auch diese Begegnungen müssen als Paradigmen pastoralen Segens gelten.
Heute, am 21. Dezember, rufen wir Christus an, den Herrn, der kommt, um uns zu retten, mit dem Titel: O Oriens. „O Morgenstern, Glanz des unversehrten Lichtes, der Gerechtigkeit strahlende Sonne: o komm und erleuchte, die da sitzen in Finsternis und im Schatten des Todes!“ Mögen wir uns ihm mit keuschem, redlichem Glauben, mit übernatürlichem Mut, erleuchtet durch Hoffnung und erwärmt durch Nächstenliebe, zuwenden, damit seine heilige Kirche immer eine glaubwürdige Zeugin sein möge für die Gnade, die er für uns erworben hat.
+fr Erik Varden ocso
Bischof von Trondheim &
Apostolischer Administrator von Tromsø
- Dezember 2023
Bischof Erik Varden wurde am 13. Mai 1974 in Sarpsborg (Norwegen) geboren. 1993 konvertierte er zur katholischen Kirche. Er absolvierte seine philosophisch-theologischen Studien in Cambridge und wurde im Fach Theologie promoviert. 2002 trat er in die Ordensgemeinschaft der Trappisten ein. Am 16. Juli 2011 empfing er das Sakrament der Priesterweihe. Danach lehrte er an der Benediktinerhochschule Sant’Anselmo in Rom. In der Abtei Mount St. Bernard in Leicestershire wurde er 2015 zum Abt gewählt. Am 3. Oktober 2020 erhielt er die Bischofsweihe. Sein Rundschreiben wurde unter https://coramfratribus.com/archive/on-fiducia-supplicans/ veröffentlicht.