Bischof Bätzing befindet sich mit seiner Aussage „Ich will den Katechismus verändern“ in einem grundsätzlichen Widerspruch zur Gesamtkirche. Diese Aussage vom 7. Juni 2022 legt Stephan Raabe seinen Beobachtungen der Entwicklung des Synodalen Weges zugrunde und kommt zum Schluss, dass man eine Kirchenspaltung in Kauf nehmen will – und sei es aus reinem Selbsterhaltungstrieb.
Der deutsche Synodale Weg ist keine Synode
Warum interveniert das kirchliche Lehramt in Form eines Schreibens des Kardinalstaatssekretärs vom 23. Oktober 2023 an die deutschen Bischöfe, in dem festgestellt wird, dass die Weihe von Frauen und eine neue Morallehre hinsichtlich Homosexualität in der katholischen Kirche nicht in Frage komme, sondern ausgeschlossen sei? Ursache dafür ist der Anspruch des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, des Limburger Bischofs Dr. Georg Bätzing (62), und des deutschen „Synodalen Wegs“ – der keine Synode ist, die Lehre der Kirche in diesen – und anderen – Punkten grundlegend zu ändern.
In einem Gespräch am 7. Juni 2022 mit dem Journalisten Michel Friedman bei einer Veranstaltung der Handwerkskammer Rhein-Main legte Bischof Bätzing seine Position klipp und klar dar. Er sagte:
„Ich bin dezidiert der Meinung, dass das nicht geht, was wir da als Kirche vertreten. Und deswegen sage ich auch mit anderen Bischöfen mit Blick auf die Geschlechtlichkeit, der gleichen Würde von Männern und Frauen, aber auch der Annahme anderer Geschlechtsidentitäten müssen wir die Lehre der Kirche verändern. Ich will den Katechismus verändern in dieser Weise. Dafür treten wir an und das ist etwas, was den Synodale Weg (…) sehr entscheidend prägt.“ (Minute 47ff.)
Eine andere Lehre
Explizit tritt Bischof Bätzing in dem Gespräch für eine andere Lehre in Bezug auf Homosexualität und die Gendertheorie (Geschlechterwahl) sowie für die Weihe von Frauen ein, was sich auch in den Texten des „Synodalen Wegs“ widerspiegelt. Er erlebe, dass er dafür in der Kirche ganz gewaltig angegriffen werde. Aber er
„sehe keine Alternative dazu zu sagen, dass, was wir hier in einer säkularen, freiheitlichen, demokratisch geübten Gesellschaft von Menschen erwarten und wenn diese Menschen auch den Glauben teilen (gemeint sind Menschen mit homosexueller oder queerer Orientierung, Anm. d. Verf.), dann ist das etwas, das gehört auf den Tisch und muss diskutiert und muss verändert werden. Das ist meine Überzeugung in diesen Fragen.“ (Minute 49ff.)
Bischof Bätzing beruft sich dabei auf die angeblich großen Fortschritte der „westeuropäischen Theologie“ sowie auf die Humanwissenschaften und plädiert für mehr „Dezentralität und Diversität“ in der Kirche, will also offenbar unterschiedliche Lehren und Kirchenkonstitutionen unter dem Dach der Römisch-Katholischen Kirche durchsetzen.
Von Ungeduld getrieben
Auf die Feststellung Friedmans, damit stehe er in existentiellen Fragen des Menschseins in einem fundamentalen Gegensatz zur Lehre der Kirche, relativiert Bischof Bätzing das päpstliche Lehramt, indem er auf „zweideutige Botschaften“ und ein „subversives Handeln des Papstes“ verweist. Dieser wolle zwar die Lehre wohl nicht ändern, sei aber offen für die gestellten Fragen. Er, Bätzing, frage sich jedoch: „Wie lange reicht die Geduld (für Veränderungen, Anm. d. Verf.)? Das ist der Punkt.“
Doch jetzt ist offenbar dem in Bätzings Augen „subversiv“ tätigen Papst der Geduldsfaden gerissen, wie seine schnelle und eindeutige Antwort vom 10. November 2023 auf ein Schreiben von vier ehemaligen Teilnehmerinnen am deutschen „Synodalen Weg“ zeigt, aber auch die lehramtliche Klarstellung des Kardinalstaatsekretärs vom 23. Oktober, die merkwürdigerweise erst einen ganzen Monat später, am 24. November, öffentlich wurde. Der Papst bringt seine Sorge, dass größere Teile der Kirche in Deutschland sich immer weiter von der Einheit der Kirche entfernen, in seinem Brief öffentlich zum Ausdruck.
2019 hatte Papst Franziskus bereits in einem langen persönlichen Schreiben an die deutschen Katholiken für einen anderen Reformweg geworben: weniger organisatorisch-institutionell, stattdessen am Primat der Evangelisierung und einer pastoralen Bekehrung orientiert und vor allem den gemeinsamen Kirchensinn (sensus ecclesiae) achtend. Das wurde von den Reformern in Deutschland weitestgehend ignoriert.
Provokantes Fakten-Schaffen
Danach hatte man im Vatikan den Reformweg in Deutschland trotz heftiger weltweiter Kritik aus der Kirche lange fast stillschweigend beobachtet. Beim Ad-Limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom im Herbst 2022 kam es dann zur harten Auseinandersetzung. Ohne Folgen: in Deutschland machten die „Synodalen“ ohne Synode weiter wie bisher. Die Einsprüche aus Rom, die zunächst feststellten, dass der „Synodale Weg“ keine Legitimation habe, „die Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten“ (21.7.2022), und die schließlich im ausdrücklichen Auftrag des Papstes die Einrichtung von „Synodalen Räten“ untersagten (16. Januar 2023), wurden übergangen. Hatten Bischof Bätzing und die Vertreter des „Synodalen Wegs“ überhaupt die Absicht, die Einsprüche und Sorgen des Lehramts ernst zu nehmen, wie er es in einem Schreiben an Rom versprach? Oder wollten sie ihre Veränderungsagenda nur weiter vorantreiben und Fakten setzen? Jedenfalls hielten die deutschen Reformkräfte es bis heute nicht für nötig, auf die Sorgen und Einsprüche dezidiert einzugehen. Sie gingen auf ihrem Weg weiter und setzten provokativ zuletzt einen Ausschuss ein, der bis 2026 doch „Synodale Räte“ in Deutschland einführen soll.
Angleichung an Lebensverhältnisse
Die grundlegenden ekklesiologischen Unterschiede, insbesondere was die geistliche Hierarchie und das Leitungsamt der Bischöfe angeht – „credo unam, sanctam, catholicam et apostolicam Ecclesiam“, sind in dieser Auseinandersetzung das eine. Das andere ist eine neue Moraltheologie, die als gradualistische Stufenethik induktiv bei den jeweiligen Lebensrealitäten (in Deutschland vorrangig bei der Wahl von Geschlechtsidentitäten, der queeren Sexualität oder sukzessiven Polygamie) ansetzt und sich der Methode des abwägenden Werte- und Güterkonflikts bedient. Dies führt zu einer Ablehnung von Grundsätzen katholischer Moraltheologie, einer anderen Justierung und im Ergebnis Nivellierung sowie Angleichung der Moral an die gesellschaftlichen Lebensverhältnisse, wie bei Bischof Bätzing und dem „Synodalen Weg“, oder zumindest zu einer Relativierung der Grundsätze katholischer Moraltheologie. Bischof Bätzing folgt dabei in etwa dem Programm einer „Revision“ katholischer Moraltheologie, wie sie der verstorbene Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff bei einem Vortrag vor der Deutschen Bischofskonferenz am 13. März 2019 begründete.
Kirchenspaltung aus Selbsterhaltungstrieb?
Das kirchliche Lehramt argumentiert dagegen, dieser andere ethische Ansatz führe zu einer Verkürzung theoretischer und praktischer ethischer Probleme, wie die des Verhältnisses zwischen Freiheit und Wahrheit, zwischen säkularisierter Rationalität und christologischer Grundlegung, zwischen Gewissen und ethischer Norm, zwischen Grundentscheidung und konkreten Verhaltensweisen. Vor allem aber führt eine derart veränderte Moraltheologie in Deutschland zu einer faktischen Spaltung der Kirche, zu eine Vielfalt unterschiedlicher moralischer Lehren je nach Region und gesellschaftlichen Verhältnissen. Ebenso werden unterschiedliche ekklesiologisch-institutioneller Vollzüge angestrebt. Offenbar wollen Bätzing und der „Synodale Weg“ diese kirchliche Diversität als eine Vorstufe zu einer generellen Veränderung des Katechismus und der Kirchenkonstitution durchsetzen. Statt einem vertrauensvollen synodalen Miteinander, einem gemeinsamen Weg in der weltumspannenden katholischen Kirche, wie er gerade in der römischen Bischofssynode beschritten wird, wollen die deutschen Kirchenreformer ihre eigene Agenda voranbringen, um die Kirche in Deutschland – auch als institutionelle Großorganisation – vor einem vermeintlichen Untergang zu bewahren, wie sie meinen. Mit Sokrates in Platons Werk Gorgias (512 d) möchte man den Kirchenrettern zurufen: Bedenket, „ob nicht das Schöne und Gute etwas anderes ist als retten“, ob es also nicht etwas Wichtigeres gibt, als die Selbsterhaltung dieser Form von Kirche in Deutschland als Großbehörde mit all ihren Gremien.
Der Papst und Lehramt haben nun jedenfalls klar festgestellt – um es mit den Worten von Bischof Bätzing zu sagen: „dass das nicht geht, was die deutschen Kirchenreformer da vertreten“. Und sie haben diese wiederholt eingeladen und die Notwendigkeit betont, den universalen synodalen Weg der Weltkirche zu respektieren, sich diesem anzuschließen.
Stephan Raabe,
M.A. studierte Geschichte, Katholische Theologie, Philosophie und Politikwissenschaften in Bonn und München. Nach der Wiedervereinigung war er zehn Jahre in der Jugendseelsorge im Erzbistum Berlin tätig. Als Bundesgeschäftsführer des Familienbundes der Katholiken gehörte er 2002/03 dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken an. Dann ging er als Projektleiter und Berater für sieben Jahre nach Polen und Belarus und arbeitet seitdem in leitender Funktion in der Politischen Bildung in Brandenburg.
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