Weihnachten kann man gar nicht klein genug denken.
Der Vorweihnachtsstress mit endlosem Konsum und Kitsch kann uns förmlich (k)irre machen. Es ist laut, es ist bunt, es ist gigantomanisch. Zu allem Überfluss bekommen wir in den Medien als Christen noch unser Fett weg. Zwischen rechten Kräften und gefährlich hippen Missionaren findet doch niemand zur weihnachtlichen Besinnung. Oder? Von Peter Winnemöller
Weihnachten! Da war doch noch was? Achja, das Geschenk für die Gattin. Nun, Heiligabend ist auch noch ein Tag. Außer dem Stress der Weihnachtsgeschenke bekommen wir in jedem Jahr freundlicherweise ein wenig Lesestoff zum Fest serviert. Alternativ ein paar schöne Filmchen. Früher, als die Welt noch in Ordnung war, servierte uns die Zeitschrift mit orangenem Rand regelmäßig die neuesten Erkenntnisse zum Christentum. Wir wurden darüber informiert, dass Jesus, den es bekanntlich nie gegeben hat, natürlich in Nazareth und nicht in Bethlehem geboren wurde. Außerdem war wahlweise Josef oder ein römischer Soldat sein Vater. Bekanntlich ist die Story von der Krippe ein Hoax und überhaupt. Fortsetzung folgt Ostern, wo man uns dann ergänzend klarmachte, dass jener Jesus, den es bekanntlich nie gegeben hat, am Karfreitag gar nicht in Jerusalem war. Außerdem ist er gar nicht gekreuzigt worden und hat, wie ja jeder weiß, das Kreuz überlebt und ist mit Thomas und Maria Magdalena nach Indien ausgebüxt. Daher ist das mit der Auferstehung natürlich Quatsch, weil Archäologen längst das Grab Jesu in Jerusalem gefunden haben.
So, wer jetzt noch nicht wuschig im Kopf ist, kann noch fix Weihnachtsgeschenke einkaufen oder sich in der Mediathek der ARD die Verschwörungen aus dem Restle-Monitor oder die gefährlichen Missionare vom Bayerischen Rundfunk ansehen. Erstere stellen mal wieder Verbindungen her, bei denen sich das Zwerchfell wegen Überanstrengung beklagt. Blanke Verschwörungstheorie! Letztere haben zwei Jahre recherchiert, um herauszufinden, dass Johannes Hartl ein hipper Missionar und damit gefährlich ist. Da freut man sich doch gleich doppelt auf das MEHR Festival in Augsburg. Die größte Gefahr dort dürfte wohl sein, dass man bei „Praise the Lord“ Konfetti ins Auge bekommt. Aber halt! Erst ist Weihnachten.
Konsum, Stress und Rituale
Da der gleichnamige Markt, so er denn stattfindet, spätestens Heiligabend schon geschlossen hat, also im Grunde gar kein Weihnachtsmarkt ist, muss der letzte Glühwein noch fix getrunken werden. Naja, das Geschenk für die Gattin vielleicht doch zuerst kaufen? Achwas, jetzt Glühwein. Wein ist ein gutes Thema, denn man sollte Weihnachten auf den Wein achten. Was wäre schlimmer als die Gans oder das Reh zum falschen Tropfen zu servieren. Himmel! Das Essen! Natürlich steht Mann oder Frau am Fest der Feste stundenlang in der Küche. Vorher steht man tagelang in irgendwelchen Schlangen bei Metzgern, Bäckern, Bioläden und natürlich berücksichtigt man auch Al(l)di(e) anderen Händler.
Wer dann am Heiligen Abend nicht vor dem zweiten Gang und hinter der Krippe eingeschlafen ist, schafft es vielleicht noch zur Christmette. Man hört, ein Drittel der Katholiken in Deutschland plane einen Gottesdienstbesuch. Aber man kann trotzdem entspannt bleiben. Ein Drittel plant und wir sind in Deutschland, da wissen wir, wie Planungen enden. Nächstes Jahr ist auch wieder Weihnachten.
Weihnachten oder Winterfest?
Und ja, es wird wirklich in diesem und im kommenden und im Jahr darauf und auch danach immer wieder Weihnachten werden. Auch wenn man es kaum glauben mag, angesichts all der Bestrebungen, Weihnachten durch ein Winterfest zu ersetzen.
Ein Parodie-Account, der Sawsan Chebli nachmacht, ulkte auf X:
„Ich war heute auf einem Wintermarkt,
auf dem es schöne Winterbäume
und sogar Winterplätzchen gab.
Jetzt höre ich Winterlieder,
freue mich auf den Wintermann
und die Winterferien.
Hoffentlich gibt es viele Wintergeschenke
unter dem Winterbaum!“
Der Verfasser dieser Zeilen konnte nicht widerstehen zu antworten:
„Klingt prima.
Wünsche frohe Winternachten gehabt zu haben.
Derweil begehe ich noch
immer den stillen Advent
in Erwartung der Feier der Geburt Christi,
wobei der Advent liturgisch natürlich
auch den Blick auf die Wiederkunft Christi
in Herrlichkeit am Ende der Zeiten richtet.“
Klamauk ist das alles natürlich, doch auch Weihnachten ist im Focus der Cancel culture. Das ist nicht erst so, seit die Wokeness sich anschickt zu regieren. So schrieben schon vor 20 Jahren junge Menschen in den USA und Großbritannien gegen Happy Season an.
Jesus is the reason for the season.
Ein wunderbares Wortspiel, das wir uns hinter die Ohren schreiben sollten.
Et tu mi fili – Auch du, mein Sohn, könnte man sagen.
Krieg, Kameradschaft, Kind und Krippe
Am Ende des Vorweihnachtsstress eine kleine Geschichte. Der, der sie erzählte, ist lange verstorben. Ein Lehrer mit einem so unglaublich großen Herzen für Kinder und für den Glauben. Als er unversehrt zurück war aus Russland, was allein schon ein Wunder war, studierte er und wurde Religionslehrer. Jeder Klasse erzählte er irgendwann die folgende Geschichte:
Es war im Krieg, gemeint war natürlich der zweite Weltkrieg. Die Einheit war in Russland, irgendwo im Nichts. Die Kämpfe ruhten. Die örtlichen Kommandanten hatten für den Weihnachtstag ab Beginn der Heiligen Nacht Waffenruhe vereinbart und wenn die Orthodoxen Weihnacht feierten, dann sollte noch einmal Ruhe sein. Inmitten des Feldlagers stellte einer der Soldaten einen winzigen Baum auf, den er irgendwo mit dem Messer geschlagen hatte. Der Feldkoch hatte sich bemüht, aus der kargen Verpflegung etwas Schmackhaftes zu kochen. Irgendwo tauchten ein paar vertrocknete Kekse auf.
Da saßen sie nun, die Männer, fern der Heimat, fern ihren Familien und starrten stumm in ein Lagerfeuer. Am Abend kam der Feldpastor dazu und feierte einen kleinen Gebetsgottesdienst. Die Offiziere hatten sich derweil in einem Zelt versammelt. Die gemeinsame Feldmesse sollte erst am folgenden Tag sein. In der Dunkelheit bei Kerzenlicht, frierend wegen der Kälte, die auch das Feuer nicht vertreiben konnte, hörten die Männer die Weihnachtsgeschichte und sprachen ein Gebet. Es gab keine Geschenke, es gab keinen Wein und es gab nur ein Bier pro Soldat und Stille Nacht gesungen aus rauen Männerkehlen, von denen manche von Tränen geflutet war. Der Priester mühte sich, Trost zu spenden und Mut zu machen.
Wir waren so arm, wie Jesus war. Wir waren so arm, wie Maria und Josef. Auch wir hatten keinen Ort, der uns hätte eine Herberge sein können. Einer der Kameraden hatte aus einem Stück Holz ein Christkind geschnitzt. Er legte es in eine winzige Krippe, die aus kleinen Ästen gebastelt war und stellte beides in die Mitte. Der Pastor segnete die Krippe. Fassungslos schauten die Männer auf das Kind. Damals in Bethlehem ist Gott so arm in unsere Welt gekommen. Und jetzt mitten im Krieg, im Feindesland, da hat er nichts Besseres zu tun, als mit uns zu sein.
In dem Jahr erst habe ich verstanden, was Weihnachten bedeutet. Ich werde es nie wieder vergessen.
Der Kamerad, der Kind und Krippe geschnitzt hatte, so endete die Geschichte, fiel einige Tage später bei einem Sturmangriff. Krieg ist grausam. Die Krippe mit Kind, die den Krieg und die glückliche Heimkehr auf wundersame Weise überstanden hatten, stand nun, wie in jedem Jahr, auf dem Lehrerpult.
Wenn wir wissen wollen, was Weihnachten ist, dann sollten wir ganz, ganz klein denken, nur dann begreifen wir die Größe dieses Festes. Und wenn wir damit ernst machen, dann können wir nachsichtig mit allen sein, die an Weihnachten so verzweifeln, entweder weil sie es erfolglos bekämpfen oder es vergeblich im Gigantischen zu finden suchen.
Peter Winnemöller
Journalist und Publizist. Autor für zahlreiche katholische Medien. Kolumnist auf dem Portal kath.net. Im Internet aktiv seit 1994. Eigener Weblog seit 2005. War einige Jahre Onlineredakteur bei „Die Tagespost“. Und ist allem digitalen Engagement zum Trotz ein Büchernarr geblieben.
Beitragsbild: pfarrbriefservice /copyright: Ralf1403 / Pixabay.com

