Eine kleine Phänomenologie des Weihwassers schenkt uns Helmut Müller mit seinem Beitrag zur Karnevalszeit, inspiriert durch seinen eigenen Küsterdienst, geschrieben mit einer humorvollen Note.
Nein, das ist kein Karnevalsscherz oder weil der Autor dieser Zeilen am Rhein wohnt, wo in dieser Zeit der Wunsch aufkommt, dass das Wasser in besagtem Fluss goldener Wein wär’, sondern nur weil der Autor im Hilfsküsterdienst seinen Gedanken nachhängt und im Weihwasserbecken Weihwasser nachfüllt.
Die Verwandlung von Rheinwasser in Weihwasser
Seit einigen Wochen betreuen meine Frau und ich unsere Pfarrkirche, weil wir keinen Küster mehr haben: Ewig-Licht anzünden, in der dunklen Jahreszeit für Beleuchtung sorgen, Blumen gießen, Kirche auf und zu schließen und für Weihwasser sorgen. Letzteres können meine Frau und ich natürlich nicht alleine. Unser Taufsakrament reicht da nicht aus. Meine Frau meint: „Fülle den Weihwasserkrug mit Wasser und ich schreib dem Pfarrer dann, dass er es weihen soll.“ Mir kommen da Assoziationen hoch. Ich kann manchmal dumme Sprüche, die mir durch den Kopf schießen, nicht verhindern. So auch jetzt: „Brauchst du nicht, ich sag dem Pfarrer Bescheid, dass ich ihm zutraue, Leitungswasser in Weihwasser zu verwandeln.“ Dass er noch mehr kann, soll hier nicht thematisiert werden.
Aber jetzt im Ernst. Wasser bleibt Wasser bis in seine molekulare Struktur hinein. H2O bleibt H2O. Nur die Form – oder mit anderen Worten – die Bedeutung wird eine andere: Aus Leitungswasser wird Weihwasser, auch dann, wenn es kein destilliertes Wasser ist und im Weihwasserbecken eine undefinierbare molekulare Suppe schwimmt, allerdings H2O dominierend sein muss. Der Sprechakt und die Intention des gültig geweihten Priesters macht Weihwasser daraus.
Heiliges Land zwischen Fluss und Meer?
Wie das? Ich will jetzt nicht über Segen und Segnen sprechen, da ist auf diesem Blog schon Entscheidendes gesagt. Aber die Gedanken, die mir als Aushilfsküster gekommen sind, will ich weiterspinnen. Ich will auch nicht bei Adam und Eva mit dem Segen anfangen, obwohl es mir in den Fingern kitzelt, das zu tun, sondern – wer weiß wie viele Jahre danach – beim Jordan. Beim Jordan? Leider ist das Land zwischen dem Fluss und dem Meer – dem Jordan und dem Mittelmeer – das Heilige Land des Alten und Neuen Testaments, in ganz unheiligem Streit versunken. Israel und/oder Palästina ist jetzt wieder Thema in den Nachrichten: In dieses Land zwischen dem Fluss und dem Meer ist das Volk Israel nach der Schrift vor gut 3000 Jahren und mehr in das von ihm so genannte und erhoffte verheißene und gelobte Land von Osten kommend, über den Jordan eingezogen. Auch da will ich nicht auch nur ansatzweise über diese 3000 Jahre reden, sondern nur über ein Ereignis, das sich mit dem Weihwasserbecken in unserer Kirche und vielen anderen verbinden lässt: Die Hl. Schrift berichtet, dass sich Jesus von Johannes dem Täufer am Ostufer des Jordan, also noch nicht im Heiligen Land, taufen ließ (Mk 1,9-11; Lk 3,21-22; Joh 1,32-34).
Vom letzten Blutopfer zur Wassertaufe
Die Taufe des Johannes war im Zeugnis der Schrift eine Bußtaufe. Eine Taufe also, die der sündenlose Gottessohn überhaupt nicht notwendig hatte. Er ließ sich dennoch mit dem Wasser des Jordan taufen, um uns in seiner Bluttaufe am Karfreitag – zur Stunde, als im Tempel in Jerusalem die Lämmer geschlachtet wurden – von unseren Sünden zu erlösen. Im Glauben der Christen – wenn ich das mal so salopp sagen darf – wurde die Erlösungsflüssigkeit Blut durch Wasser ersetzt: Christus hat das letzte Blutopfer – sich selbst – noch in der blutigen Opfertradition Israels durch die unblutige Wassertaufe abgelöst. Nach seiner Taufe im Jordan wanderte er durch das gelobte Land, das Heilige Land und auch über seine Grenzen hinaus, trieb die Dämonen aus und verkündete das Reich Gottes. So werden auch in uns durch die Taufe die Dämonen ausgetrieben und wir sollten uns für einen Herrschaftswechsel entscheiden, um Kinder des Reiches Gottes zu werden. Ein phantasievoller Künstler hat in einer Kirche in den Pyrenäen, in Rennes le Chateau, den Teufel gezwungen, das zu tragen, was ihn vernichtet.
Die Vertreibung der Dämonen aus dem Heiligen Land
Ich brauche nicht zu erwähnen, dass unsere Seele geradezu ein Spiegelbild des Landes zwischen dem Fluss und dem Meer ist, aus dem Jesus die Dämonen ausgetrieben hat. Dieses Land braucht weiterhin – so wie wir – einen Heiland. Er begegnet uns in den weiteren Sakramenten. Alle anderen, die wir auf sein Reden und Tun zwischen dem Fluss und dem Meer gründen, sollen verhindern, dass die Dämonen wieder zurückkommen und weiteres Unheil anrichten. Denn die Sakramente sollen uns stärken, die Dämonen abhalten, und wenn sie wieder zurückkommen, mit seiner Hilfe vertreiben. Sein Reden und Tun hat er mit dem Auftrag verbunden, alle in seinem Namen zu taufen, um ein Reich zu errichten, das keine geographischen Grenzen hat. Dieses Reich beginnt im Hier und Jetzt, bei mir und in mir und allen anderen Getauften. Mit seiner Hilfe kann und soll ich alles Unheilige darin vertreiben. Mit der Wassertaufe bin ich Bürger dieses Reiches geworden.
Im Weihwasserbecken fließt der Jordan in den Rhein
Daher soll jedes Mal, wenn wir eine Kirche betreten, das Wasser im Weihwasserbecken schon am Eingang daran erinnern, dass Christus, wie Paulus gesagt hat, die Elementarmächte (Gal 4,9) vertrieben und uns von ihnen losgekauft hat. Der Raum, den wir nun betreten, ist ein heiliger Raum, „heiliges Land“, in dem wir im Laufe unseres Lebens die Sakramente empfangen, die uns nicht wieder an diese Elementarmächte in sklavischer Weise fesseln sollen. Und wenn wir uns wieder haben fesseln lassen, können wir hier wieder durch das Bußsakrament befreit werden. Sollten wir krank sein, können sie uns von hier her ans Krankenbett gebracht werden.
Was ich im Weihwasserbecken immer wieder nachfülle ist zwar kein Wasser aus dem Jordan, sondern hier aus dem Rhein, auch wenn einem vor allem in der Karnevalszeit am Rhein andere Gedanken kommen. Aber im Weihwasserbecken, sollte uns das Wasser an den Jordan erinnern.
Philosoph und Theologe, akademischer Direktor am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz. Autor u.a. des Buches „Hineingenommen in die Liebe“, FE-Medien Verlag
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