Das Neue Apostolische Schreiben von Papst Franziskus über die heilige Therese von Lisieux will nicht die Morallehre ändern, sondern Gott den Vorrang überlassen. Der Beitrag von Dorothea Schmidt erschien am 16.10.2023 bei der Tagespost.
Das Onlineportal „katholisch.de“ hat am Sonntag getitelt, Papst Franziskus wolle eine Neuausrichtung der Morallehre. Das ist so frech wie falsch und aus dem Kontext gerissen. Das neue, gestern veröffentlichte Apostolische Schreiben von Papst Franziskus über die heilige Therese von Lisieux, auf welches sich der Text bezieht, impliziert nicht, dass wesentliche Aspekte der katholischen Lehre und Moral geändert werden müssen, wie mit dem Titel „Papst will Neuausrichtung der Morallehre“ suggeriert wird. Das ist Irreführung. Die geforderte Erneuerung liegt vielmehr auf der Linie von Pater Servais Pinckaers, einem der wichtigsten Berater von Johannes Paul II., der die Grundlinie der Moral des Katechismus der Katholischen Kirche entworfen hat. Mit Therese zeigt der Papst die Liebe als Mitte christlicher Moral, welche die Verkürzung dieser Moral auf das äußerste Sollen überwindet!
Statt einer der kleinen Theres‘ gemäßen Neuausrichtung der Gläubigen auf Gott hin, liest der Verfasser des oben genannten Artikels offenbar „neue Moral in Sicht!“ — damit man sich nicht ändern muss und die eigenen moralischen Thesen mit päpstlichen Worten untermauern kann?
Botschaft einer großartigen Heiligen
Die freie Interpretation von päpstlichen Worten, wie mit dem Titel des genannten Artikels geschehen und wie es auf dem deutschen Synodalen Weg üblich war, erreicht hier einen neuen Höhepunkt. Man setzt ein neues Narrativ, das Potenzial hat, die Runde zu machen, noch bevor Menschen das Original gelesen haben. Dem Papst hier die Worte im Mund umzudrehen und zu sagen, er fordere eine neue Moral, verkennt und schmälert die Botschaft eines großartigen Textes noch bevor dieser die Herzen der Gläubigen überhaupt erreichen konnte; vor allem, wenn man bedenkt, dass einige nur den Titel lesen.
Inhaltlich geht es im gesamten Text nicht um die Forderung einer neuen Morallehre, sondern es ist in erster Linie das Hervorheben der Botschaft einer großartigen Heiligen. Und es geht darum, sich nach dem Vorbild der heiligen kleinen Theres‘ neu auf Gott auszurichten. Es geht um Gottesbeziehung, Hingabe, Vertrauen und Umkehr. Und zwar um eine, wie sie seit je her von der Kirche verstanden und von Heiligen, Kirchenvätern und Kirchenlehrerinnen verkündet wurde — nicht einer Umkehr zum Mainstream-Glauben.
Papst fordert „Primat des göttlichen Handelns“
Statt um sich selbst zu kreisen, fordert der Papst auf, Gott handeln zu lassen („Primat des göttlichen Handelns“), was an Paulus‘ Aussage erinnert, dass der Herr da besonders mächtig wirken kann, stark ist, wo der Mensch schwach ist.
„Ich muss klein bleiben, ja es immer mehr werden“,
schreibt die Heilige in ihrer Biographie, und der Papst führt aus:
„Klein und nicht in der Lage, sich auf sich selbst zu verlassen, aber fest geborgen in der liebenden Kraft der Arme des Herrn.“
Und weiter zitiert er die Heilige:
„Denn Jesus verlangt keine großen Taten, sondern allein Ergebung in seinen Willen und Dankbarkeit.“
Auch den missionarischen Eifer der Heiligen hebt der Papst hervor. Er wünscht, dass die Kirche eine Liebe und Hingabe sowie einen missionarischen Eifer nach Vorbild dieser Heiligen an den Tag legt. Im Hervorheben von Aussagen der heiligen kleinen Therese, der Patronin der Weltmission, zeigt uns der Papst einen glänzenden Wegweiser für die Kirche. Mit Therese fordert der Papst eine Kirche der Demut, eine in Gott verankerte Kirche, eine Kirche der Anbetung. Bevor man hier heruminterpretiert, liest man doch einfach das Original — und lasse sich von den Aussagen der Heiligen inspirieren.
Dorothea Schmidt
arbeitet als Journalistin und regelmäßige Kolumnistin für diverse katholische Medien (Tagespost, kath.net, u.a.). Sie ist Autorin des Buches „Pippi-Langstrumpf-Kirche“ (2021). Sie war Mitglied der Synodalversammlung des Synodalen Weges und verließ gemeinsam mit weiteren Frauen Anfang 2023 das Gremium als Protest gegen die Beschlüsse des Synodalen Weges, die sich immer weiter von der Weltkirche entfernen. Schmidt ist Mutter von zwei Kindern und lebt mit ihrer Familie in Süddeutschland.
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