Die Predigt von Papst Franziskus zur Beerdigung seines Vorgängers Papst Benedikt XVI. hat unterschiedlichste Reaktionen hervorgerufen. Den einen zu wenig feierlich und zu nüchtern, den anderen zu wenig retrospektiv auf das enorme geistige Erbe des Verstorbenen. Martin Brüske fühlt der Predigt ebenfalls nach und kommt zum ganz eigenen Schluss: Franziskus beweist höchste Predigtkunst und hat seinen Vorgängern sehr diskret bereits heilig gesprochen.
Natürlich: Die Predigt im Requiem eines Papstes kann keine vollendete Kanonisation sein. Und dennoch: Die Papstpredigt im Requiem für Benedikt XVI. zeigte das Bild eines in der Nachfolge christusförmig gewordenen Hirten. Und dieser Hirte – wer hören will und kann, der höre – wird am Ende ganz eindeutig mit dem treuen (!) Freund des Bräutigams identifiziert, dessen biblisches Vorbild jener Täufer Johannes ist, dessen Leben darin bestand, auf den Messias zu weisen.
Matthias Grünewald hat diesen existentiellen Gestus im Isenheimer Altar unnachahmlich ins Bild gebracht. Dieser treue Freund des Bräutigams ist aber hier kein anderer als der im Schlusssatz der Predigt erstmals direkt benannte Benedikt:
„Benedikt, du treuer Freund des Bräutigams, möge deine Freude vollkommen sein, wenn du seine Stimme endgültig und für immer hörst!“
Man darf diesen Satz eben nicht isolieren. Die ganze Predigt läuft auf ihn zu. Noch einmal: Hier wird ein in Christus vollendeter Hirte als treuer Freund des Bräutigams gezeichnet. Und der heisst Benedikt. Also wirklich – und eigentlich unbestreitbar: Die Zeichnung eines Heiligen!
Tiefer als jede Schmuckrhetorik
Dennoch hat diese Predigt Irritationen ausgelöst. Manche haben das unmittelbar rühmende Wort und die Eloge erwartet – und scheinbar nicht begriffen, wie wohlfeil das sein kann. Man denke nur an die – mir fällt kein anderes Wort ein – verlogenen Nachrufe deutscher Bischöfe, die Schmückendes und Rühmendes in Überfülle enthielten – von Bischöfen, die Benedikt allein liessen, ja ihm wie der Vorsitzende Bätzing in den Rücken fielen, als es elementarer Anstand und ein Minimum an Ritterlichkeit geboten hätten, sich schützend vor ihn zu stellen. Das ist nicht lange her. Ich bin ehrlich: Ihre Schmuckrhetorik hat mir Ekel erregt.
Wie Franziskus hier gepredigt hat, geht um eine ganze Unendlichkeit tiefer, als es ein rühmender Nachruf jemals könnte. Noch einmal: Wer hören kann, der höre! Oder besser noch: Wer lesen kann, der lese! Denn Papstpredigten sind seit der Spätantike – man denke schon an die rhetorischen Meisterwerke in der Predigtsammlung Leos des Grossen (440-461) – immer auch Lesepredigten gewesen. Das gilt übrigens ganz ausdrücklich auch für die meisterlichen Predigten Benedikt XVI., die ihre ganz Tiefe und Kraft auch erst für den Lesenden ganz und gar entfalten. Zu ihren Lesern gehört auch Franziskus. Zwei besonders markante zitiert der Papst dreimal: Die Predigt zur Amtseinführung 2005 und die Predigt in der Chrisammesse 2006. Dazu kommt ein wunderbares Wort aus der ersten Enzyklika „Deus caritas est“.
Und auch hier gilt wieder: Das sind eben genau keine Schmuckzitate! Sie bilden die Matrix der Predigt, die Mutterlauge, aus der sie auskristallisiert. Die Predigt ist um diese Zitate gebaut. Und alle vier sind in höchstem Grad charakteristisch für den geistlichen Theologen Benedikt. Aber was hier auskristallisiert aus der Mutterlauge der Zitate, läuft alles auf den treuen Freund des Bräutigams hinaus.
Übergeben in die Hand Gottes
Sein Thema jedoch findet die Predigt in dem Wort des Evangeliums aus der Lukaspassion: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Wie das Thema eines Sonatenhauptsatzes wird es durchgeführt und verwandelt sich dabei. Das Wort wird einmal wiederholt, wie bei der Wiederholung der Exposition in der Sonate. Vor der Coda des Schlusssatzes aber erfolgt die Reprise des Themas. Hier aber hat es sich verwandelt: „Vater, in deine Hände übergeben wir seinen Geist.“ Denn der Hirte, der hier gezeichnet wird und der kein anderer ist als eben Benedikt, findet seine Vollendung in der Gemeinschaft der Kirche, die ihn am Ende in die Hand Gottes übergibt.
Durchgeführt wird die ganze Bewegung in einem Dreischritt. Der Ausgangspunkt ist christologisch. Dann wird dieser Ausgangspunkt zum Anruf an den Hirten, sich verwandeln zu lassen. Hier wird diskret, aber für den, der lesen kann, sehr deutlich, ein wunderbares Porträt Benedikts gezeichnet (man achte nur einmal auf das Stichwort „Schönheit“ – ein Leitmotiv in Benedikts Pontifikat, aber es gäbe viele weitere, die anklingen).
Schliesslich wird dieses Hirtenporträt in die kirchliche Gemeinschaft und ihr Gebet eingebettet. Übrigens: Wer noch ein „Leitmotiv“ sucht, achte einmal auf das Stichwort „Hand, Hände“.
Summa summandum: Das ist – in sieben Minuten konzentrierte – Predigtkunst auf höchstem Niveau. Aber sie ist ohne jede Eitelkeit. Denn im Grunde sagt sie nur eines: Wer Benedikt XVI. im Licht des Evangeliums war. Unendlich viel mehr und tiefer ist das, als jede äussere Rühmung es je sein könnte- und ja: Letztlich das Porträt eines heiligen Hirten.
Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.