Eine Frucht des Konzils …
Die apostolische Konstitution „Fidei depositum“ Papst Johannes Pauls II. zur Promulgation (Veröffentlichung) des „Katechismus der katholischen Kirche“ (KKK) trägt das Datum vom 11.10.1992. Das ist kein Zufall, sondern Programm. Dreissig Jahre zuvor, am 11. Oktober 1962, wurde das zweite vatikanische Konzil eröffnet. So feiern wir im Oktober 2022 nicht nur das Jubiläum des Katechismus, sondern zugleich 60 Jahre Konzil. Wer weiss wie komplex, manchmal verworren, vor allem aber wie langwierig die Rezeption eines Konzils verlaufen kann, der weiss auch: 60 Jahre sind keine lange Zeit. Auch wenn im Generationengedächtnis das Konzil längst nicht mehr lebendiger Referenzpunkt ist, seine Wirkungsgeschichte steht vielleicht noch am Anfang. Zu dieser Wirkungsgeschichte gehört der Katechismus. Er will das Glaubensbewusstsein der Kirche in seiner Identität und Kontinuität mit dem Ursprung, aber eben auch, wie dieses Glaubensbewusstsein sich von der Vertiefung, Entfaltung und Akzentuierung im letzten Konzil her zeigt, als verlässliche Richtschnur für die Katechese ausformulieren. Kurz und knapp: Der KKK ist nichts anderes als der Katechismus des Konzils.
… und der Bischofssynode 1985
Katalysator für dieses anspruchsvolle Unternehmen war die Bischofssynode 1985. Auch diese Synode galt einem Konzilsjubiläum: 1965 war das Konzil feierlich abgeschlossen worden. 20 Jahre später sollte eine erste Zwischenbilanz gezogen werden – mit einem besonderen Blick auf die Kirche. Die Synodenväter verstanden die Kirche im Licht des Konzils als (sakramentales) Mysterium der Communio, als Geheimnis der Gemeinschaft, grundgelegt in der Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes, der an sich selbst Anteil gibt und so Gemeinschaft stiftet mit sich selbst und in der Menschheit. Dieses vertikale und horizontale Geheimnis der Gemeinschaft ist also die Kirche. (Der theologische Sekretär der Synode war übrigens der
Tübinger Dogmatikprofessor Walter Kasper, der später Bischof von Rottenburg, dann Ökumenechef in Rom und schliesslich Kardinal wurde. Kasper ist ein Meister der Ekklesiologie und in seinem Denken spielt die „Communio“ eine zentrale Rolle…).
„Communio“ ist aber ganz wesentlich auch: Gemeinschaft im Glauben. Und so wurde unter den Synodenvätern vielfach und intensiv der Wunsch laut, nach der unruhigen, manchmal chaotischen unmittelbaren Nachkonzilszeit bräuchte es dringend eine zusammenfassende, synthetische Darstellung des katholischen Glaubens im Licht der Lehre des Konzils als verlässlicher Bezugspunkt für die Glaubensweitergabe – in einer gewissen Analogie zur Neukodifizierung des kanonischen Rechts (wie sie 1983 abgeschlossen worden war). Papst Johannes Paul griff diesen Wunsch auf – das Projekt des KKK war geboren.
1566 und 1992
Dabei ist die Idee eines „grossen Katechismus“ (catechismus maior), eines Katechismus also, der in erster Linie als Orientierung für die Bischöfe und Pfarrer dient und damit den für die Katechese Verantwortlichen den zu vermittelnden „Stoff“ als geordnetes Ganzes, aber doch schon katechetisch strukturiert vorlegt, nicht neu. Dies genau war die Idee des sog.
„römischen“ oder „tridentinischen“ Katechismus von 1566 gewesen – in vieler Hinsicht ein Meisterwerk (wie übrigens insgesamt m.E. auch der KKK). 1566 wie 1992 ging es also darum das Glaubensbewusstsein der Kirche im Licht eines vorangegangenen Konzils, dem es um Lehre und Reform gegangen war, zusammenzufassen und damit den Verantwortlichen eine klare Richtschnur der Glaubensvermittlung in die Hand zu geben. Der KKK will also – man kann es immer wieder nur wiederholen – lokale, den besonderen kulturellen Gegebenheiten angepasste Katechismen nicht ausbremsen, sondern, im Gegenteil,
anregen. Dies aber auf der sicheren Basis weltweiter Gemeinschaft im Glauben und in Identität mit dem Ursprung.
Mir ist unbegreiflich, wie man die Notwendigkeit dieses Anliegens, eine synchrone und diachrone Einheit im Glauben zur Geltung zu bringen und zu formulieren, bestreiten kann. Einfachste logische Analyse lässt folgern, dass die Unmöglichkeit solcher Einheit einer Gemeinschaft im Glauben diese Gemeinschaft als solche aufhebt. Nur wer zu einer solchen schlichten logischen Operation nicht in der Lage oder – aus was für Verblendungen auch immer – nicht willens ist, wird den KKK als „römischen Parteikatechismus“ (Hans Küng 1993) denunzieren. Küngs damaliger überaus polemischer Beitrag in der Zeitschrift „Concilium“ wimmelt dann auch von Falschbehauptungen über den Entstehungsprozess des Katechismus. Anders als Küng unterstellt, ist der KKK kein Produkt der Kurie. Ganz im Gegenteil: In mehreren Gängen wurde der Weltepiskopat in die Entstehung auf intensivste Weise einbezogen. Eher kann man sagen: Der KKK ist in seinem Entstehungsprozess ein Musterbeispiel für das Zusammenspiel von Primat und Kollegium.
Die Verbindlichkeit
Vor einiger Zeit hat der Münsteraner Dogmatiker Michael Seewald mit sachlichem Recht, aber mit falschem Zungenschlag darauf hingewiesen, der Katechismus sei
„kein Superdogma“. Damit hatte er allerdings nur wiederholt, worauf in ruhiger Sachlichkeit Kardinal Ratzinger schon 1993 hingewiesen hatte: „Die einzelnen Lehren, die der Katechismus vorträgt, erhalten kein anderes Gewicht als dasjenige, welches sie schon besitzen. Wichtig ist der Katechismus als Ganzheit: Er gibt das wieder, was Lehre der Kirche ist; wenn man ihn als Ganzes ablehnt, trennt man sich unzweifelhaft vom Glauben und von der Lehre der Kirche.“
In der Tat: Der KKK ist kein Superdogma. Als Synthese der Lehre der Kirche enthält er mehr als das explizit feierlich Definierte. Er enthält Aussagen unterschiedlicher Verbindlichkeit – vom Theologumenon bis zum Dogma. Aber als Synthese dieser Lehre ist er auch sichere Richtschnur und klarer Bezugspunkt. Und deshalb und darin ist er ein grosses Geschenk für die Kirche. Ein Geschenk über das man sich freuen darf. Nach dreissig Jahren bin immer noch dankbar dafür.
Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau.
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