Auslegung des Evangeliums vom 2. Advent A – Mt 3, 1-12
Gottes Sein ist im Kommen. Um ihn zu empfangen, müssen die Wege seines Kommens freigeräumt werden. Im Advent weisen uns Jesaja, der Täufer Johannes und Maria in die Empfänglichkeit für den kommenden Gott ein. Wahrhaft adventliche Figuren! Der Ort des Täufers ist die Wüste: In der Taufe im Jordan soll Gottes Volk neu werden. Empfänglich durch Umkehr!
Der Bußruf des Täufers ist Teil des Evangeliums
Nicht wenige Adventspredigten habe ich in meinem Leben gehört. Da wurde der Täufer Johannes zur Kontrastfigur Jesu stilisiert. Auf der einen Seite der „strenge Bußprediger“ Johannes, andererseits der „milde“ Jesus, alles vorweg vergebend und bedingungslose Annahme predigend. Hier wird ein komplexes Verhältnis unzulässig so sehr vereinfacht, dass schlussendlich alles falsch wird. Letztlich wäre das ein ausschließender Gegensatz. Für alle vier Evangelien jedoch ist die Gestalt Johannes des Täufers integraler Bestandteil der Darstellung Jesu, seines Wirkens und seiner Botschaft. Und dies ist so, weil Jesus in Wort und Tat die Botschaft und Taufe des Täufers ausdrücklich bejaht und anerkannt hat: Der Bußruf des Täufers ist Teil des Evangeliums! Seine Taufe anerkennt Jesus, indem er selbst sich von Johannes taufen lässt (worüber am Ende der Weihnachtszeit zu reden sein wird). Sein Wort aber ist gültiges prophetisches Wort. Es sagt den „Ist“-Zustand Israels und damit erst recht von uns allen vor Gott an, jenen Zustand, auf den das Evangelium trifft und in den es hineinspricht. Das Evangelium Jesu ist Überbietung unserer Verlorenheit durch die unbegreifliche Barmherzigkeit Gottes und nicht ihre Negation, nicht die Behauptung, dass sie nicht existiere und deshalb auch nicht der Umkehr und Buße bedürfe.
Stimme in der Wüste
Die Wüste ist der Ort von Israels Jugend, der Jordan die Grenze des Übergangs ins Land der Verheißung. Durch Umkehr, Buße und die Versiegelung dieser Haltung in der Taufe der Umkehr, die sich in Früchten der Umkehr bewährt, soll Israel an diesen Orten neu werden. Denn Gott kommt. Ohne diese Neuwerdung durch Taufe, Buße und Umkehr würde der kommende Gott auf ein Israel treffen, das für sein Kommen nicht vorbereitet ist, verschlossen und als Ganzes auf falschen Wegen. So sind ihm in der Wüste und durch den Rufenden in der Wüste, durch Johannes, die Wege zu bereiten: die Wege, auf denen Gott kommen kann; die Wege, die jetzt verlegt, versperrt oder verwirrt sind. Sonst würde sein Kommen zum Zorngericht. Außerhalb von Taufe, Umkehr und Buße ist Israel insgesamt nurmehr bereit zu diesem Zorngericht, ist von sich aus verloren. Selbst die heilsgeschichtliche Ressource der Abrahamskindschaft ist aufgebraucht: „Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken.“ Darauf kann sich niemand mehr berufen! Aber vergessen wir nicht: Auch wenn die Botschaft des Täufers von absolutem Ernst ist, in der zeichenhaften Kombination von Jordan und Wüste liegt auch eine ungeheure Verheißung: In der Annahme der eigenen Verlorenheit in Taufe, Umkehr und Buße – und in dem Bemühen um die Früchte der Buße, hat Israel die Chance neu zu werden und neu den Weg ins gelobte Land zu finden.
Die Taufe
Das prophetische Zeichen der Taufe ist in der Gestalt, wie Johannes sie vollzieht, eine echte „Innovation“. Natürlich: Reinigungsbäder spielen religionsgeschichtlich und auch in der Tora Israels eine große Rolle. Aber die Kombination von Fremdtaufe durch einen Täufer, durch Untertauchen, und dies einmalig, als endzeitliche Versiegelung, hin auf Umkehr (und, z.B. bei Markus: Vergebung der Sünden) ist in dieser Kombination völlig neu. Hier liegt der Ursprung der christlichen Taufe. Die Christen haben diese rituelle Innovation übernommen: Jesus selbst lässt sich von Johannes taufen – und gibt damit der Taufe des Johannes eine neue Mitte (doch davon, wie gesagt, mehr am Fest der Taufe des Herrn.)
Die Axt an der Wurzel der Bäume
„Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt.“
Liebe Leserschaft, haben Sie sich dieses Bild schon einmal klar gemacht? Inhaltlich ist es zunächst natürlich ein Hinweis auf das vom Täufer angesagte Gericht: Wer keine Früchte der Umkehr bringt, dem droht dieses Gericht; wie ein Baum, der frucht- und deshalb nutzlos ist, droht er „umgehauen und ins Feuer geworfen“ zu werden. Aber haben Sie schon einmal darauf geachtet, wann dieses Gericht kommen soll? Sozusagen auf den Zeitindex dieses Bildes? Die Antwort: Im nächsten Augenblick! Wenn die Axt an die Wurzel gelegt ist, dann erfolgt im nächsten Augenblick der erste Schlag… Johannes hat das Handeln Gottes im Gericht an Israel als unmittelbar bevorstehend erwartet. Israel (und man muss immer dazu sagen: dann erst recht auch wir alle) ist von sich aus „überreif“ für Gottes Gericht. Und so steht dieses Handeln Gottes im Zorngericht unmittelbar, im nächsten heilsgeschichtlichen Augenblick, bevor. Umkehr, Buße und Versiegelung in der Bußtaufe, die Johannes verkündet, sind buchstäblich die Chance des letzten Augenblicks, um dem Zorngericht Gottes zu entgehen.
Der Kommende
Später, schon im Gefängnis, lässt der Täufer Jesus durch seine Jünger Jesus fragen: „Bist du der Kommende oder müssen wir auf einen anderen warten?“ (griech: ho erchomenos). Erwartung des Kommenden – das ist Advent! Die Frage lautet also: Bist du die Erfüllung der adventlichen Hoffnung Israels? Jesus antwortet mit dem Hinweis auf die Erfüllung der Zeichen der messianischen Zeit und der Aufforderung, sich an ihm nicht zu ärgern. Seine Antwort ist also indirekt: Johannes, sieh selbst. Vielleicht bist du überrascht. Lass dich nicht irritieren, sondern lies die Zeichen, die du siehst (dazu nächste Woche).
Die Täuferfrage zeigt: Johannes war unsicher, ob Jesus der Kommende ist. Wen hat Johannes erwartet? Der Schattenriss, der sich in seiner Verkündigung abzeichnet, ist höchst geheimnisvoll. Drei Eigenschaften vereinen sich:
- Er trennt Spreu und Weizen. Die Trennung ist das Gericht. Der Spreu droht Verbrennung in nie erlöschendem Feuer. Ergo: Die geheimnisvolle Gestalt ist Herr des Endgerichts. Dies kann nur Gott selbst sein.
- Die Gestalt ist Geist- und Feuertäufer. Diese Taufe wird in Kontrast gesetzt zur Wassertaufe der Umkehr, die Johannes vollzieht. Man hat die Geisttaufe für einen nachträglichen Eintrag der christlichen Taufe gehalten. Das ist nicht ausgeschlossen, aber auch keineswegs zwingend. Man kann auch so lesen: Für diejenigen, die die Bußtaufe empfangen haben und umgekehrt sind, wird die Gerichtstaufe Ermächtigung im Heil durch Gottes Geist (hier zunächst noch ganz alttestamentlich als „ruach“ – das hebräische Wort für „Geist“ – gedacht). Für die, die nicht umgekehrt sind, wird sie aber Feuertaufe zum Unheil. Aber wieso wird hier auch von einer Täufergestalt in Parallelität zu Johannes gesprochen?
- Ganz geheimnisvoll wird es, wenn von diesem Geist- und Feuertäufer gesagt wird, dass er stärker ist und Johannes nicht wert, ihm die Sandalen auszuziehen. Die „Sandalen ausziehen“ ist Sklavendienst. Das heißt: Der gesellschaftlich äußerste soziale Abstand zwischen Herr und Sklave ist hier gesprengt. Aber kann das Gott sein? Da würde doch das Bild von den Sandalen einfach sinnlos….
Also wen hat Johannes erwartet? Was für ein Advent sollte da geschehen? Wer ist ho erchomenos, wer ist der Kommende? Jedenfalls eine höchst geheimnisvolle Gestalt: Göttlicher Herr des Gerichts, so voller Würde, dass Johannes sich unwert fühlt, ihm die Sandalen zu lösen, aber gerade so auf höchst rätselhafte Weise auch menschlich. Einfach Gott? Dazu passt das Bild von den Sandalen eben nicht. Der Messias? Die Gestalt ist größer und göttlicher als die übliche Messiaserwartung der Zeit. Der Menschensohn aus Daniel? Ja, irgendwie, aber der ist selbst ein Geheimnis. Vielleicht dürfen wir sagen – belehrt von Jesus und durch die Glaubensreflexion seiner Kirche durch die Jahrhunderte: In der prophetischen, adventlichen Erwartung des Johannes zeichnet sich voller Geheimnis und offensichtlich für ihn selbst noch rätselhaft die Gestalt des kommenden Gottes ab. Aber der Advent des kommenden Gottes vollzieht sich als Menschwerdung: Gott kommt als Mensch. Johannes sah prophetisch die Wahrheit: Verlorenheit, reif für das Gericht im nächsten heilsgeschichtlichen Augenblick. Aber in diesem Augenblick kam Gott als Mensch, mitten hinein in unsere Verlorenheit, sie in Kreuz und Auferstehung zu überwinden: Barmherzigkeit ist größer als alle Verlorenheit.
Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.

