Die Serie der Auslegung des Sonntagsevangeliums durch Dr. Martin Brüske geht weiter.
Ursprung und Fülle.
Auslegung zum Evangelium des Dreifaltigkeitssonntages C Joh 16, 12-15
Der Geist der Wahrheit führt in die Fülle der Wahrheit. Doch er redet nicht aus sich, sondern gebunden an den Ursprung, den einen Mittler, Jesus Christus. Die Fülle der Wahrheit ist Leben so übervoll, dass der eine Gott im Beziehungsreichtum von Vater, Sohn und Geist existiert. In der Einheit ihrer Liebe macht uns der Geist zu Mitliebenden.
Die Lobpreisstrophe unter dem österlichen Geheimnis
Für die byzantinische Ostkirche ist bereits Pfingsten das eigentliche Dreifaltigkeitsfest: In der Fülle der Gabe des Geistes ist der dreifaltige Gott endgültig offenbar, zugleich vollendet sich darin das österliche Geheimnis, das Mysterium pascale. Die Gabe des Geistes ist Frucht des Leidens, Sterbens, der Auferstehung und der Erhöhung Jesu.
Dies alles ist richtig und wunderbar und trifft natürlich auch für die Kirche des Westens zu. Deshalb sind die Liturgiewissenschaftler nicht selten etwas skeptisch gegenüber dem Dreifaltigkeitsfest gewesen: Es sei keines der ursprünglichen heilsgeschichtlichen Feste, sondern ein Fest „zweiter Stufe“, in späterer Zeit als die „klassische“ Schicht des Kirchenjahrs entstanden, ein sogenanntes Ideenfest, in der nicht ein Ereignis gefeiert würde, sondern ein theologischer, ein dogmatischer Gedanke, eben eine „theologische Idee“. Und in der Tat: Wer sich etwa die Festpräfation vornimmt, findet einen kleinen trinitätstheologischen Traktat. Gehört so etwas in die Liturgie? (Mich persönlich allerdings berührt gerade dieser Text immer mehr, je älter ich werde – und je öfter ich ihn meditiere…). Und: Kann man theologische Ideen feiern?
Die Fragen sind berechtigt – und doch darf man wiederum nicht in den Fehler verfallen, das Dreifaltigkeitsfest nur unter dem Gesichtspunkt des Ideenfestes zu betrachten. Sonst bliebe man wiederum in einer abstrakten, diesmal liturgiehistorischen „Idee“ hängen. Das Dreifaltigkeitsfest hat doch einen bestimmten Ort im Kirchenjahr, es interagiert mit dem, was wir über viele Wochen zuvor gefeiert haben, seine Texte sind keinesfalls frei von „Heilsgeschichte“. Mit einem Wort: Man darf das Dreifaltigkeitsfest nicht von seinem konkreten Zusammenhang isolieren. Betrachtet man es so, dann wird deutlich, was es konkret ist: Auch wenn es nicht mehr direkt zur Osterzeit gehört, ist es der zusammenfassende Lobpreis, die doxologische Strophe unter dem „Hymnus“ der Osterliturgie.
Ein Wort an die Prediger: Gott ist, wie er sich mitteilt
Als Predigthörer musste ich immer wieder erleben, wie die Notwendigkeit, an diesem Fest zu predigen, zu Angst, Ausweichverhalten (bis zur Umdeutung oder zur Verneinung des Festgeheimnisses) oder bemühtem, aber nicht hilfreichem Gestammel geführt hat. Wie oft fing eine Predigt sinngemäß an: „Heute kommt etwas, das ganz schwierig ist!“ Nach dieser Ankündigung homiletischer Schweißperlen sind Sie als Predigthörer schon ziemlich bedient… NEIN, liebe Prediger, es kommt jetzt etwas, das herrlich, wunderbar, staunenerregend und voller Freude ist – das Grundgeheimnis des christlichen Glaubens: Das Wunder der Selbstmitteilung Gottes, die offenbart, dass unser Gott so unendlich lebendig ist, dass der eine Gott in sich selbst beziehungsreich existiert als Vater, Sohn und Geist. Denn so hat er sich mitgeteilt. Und seine Mitteilung sind nicht metaphysische Fakenews, sondern Wahrheit und Wirklichkeit. In seiner Mitteilung begegnen wir ihm selbst. In seiner Mitteilung zeigt er, der EINE, sich als Beziehung von Vater, Sohn und Geist. Und weil er sich so mitteilt, wie er ist, existiert er von Ewigkeit als Vater, Sohn und Geist. Gott ist also, wie er sich mitteilt! Das ist genau die theologische Essenz aus der Aussage: Das Dreifaltigkeitsfest ist die doxologische Strophe unter dem „Hymnus“ der Osterliturgie! Der Glaube an den dreifaltigen Gott ist also alles andere als eine randständige, abstrakte, merkwürdige, für „normale“ Christen unverständliche „Spekulation“ für einige seltsame Eingeweihte. Sondern es ist einfach die Grundaussage über den Gott, der sich uns in der Geschichte, die er mit uns geht, wirklich geschenkt hat. Und deshalb müssen Sie nur das Festevangelium intensiv betrachten – und aus Ihrer Betrachtung wird die schönste Dreifaltigkeitspredigt entstehen.
Noch einmal: Abschiedsreden und Parakletspruch
Und tatsächlich: Die Verknüpfung mit der österlichen Zeit, ja mit dem gerade gefeierten Pfingstfest, ist in der Wahl des Festevangeliums ganz offensichtlich. Noch einmal hören wir einen Text aus dem Vermächtnis Jesu in den Abschiedsreden (Joh 13-16), also den Vorblick auf die Zeit nach seiner Erhöhung, und daraus wiederum den fünften Parakletspruch, den letzten also jener Sprüche, in denen Jesus über die in dieser Zeit so bedeutsame Rolle des Heiligen Geistes redet, des anderen Beistands („Parakleten“), den der Vater durch den Sohn nach seiner Erhöhung geben wird.
Diese Gabe des Geistes vom Vater durch den Sohn zeigt, dass man von der Gabe des anderen Beistands nicht eigentlich isoliert reden kann. Wer die Parakletsprüche betrachtet, wird genau diese Entdeckung machen: Vater, Sohn und Geist sind nicht aufeinander zurückführbar, sie sind klar und deutlich voneinander unterschieden – und doch können sie in keiner Weise voneinander getrennt werden. Ihre Verbundenheit aber besteht in Beziehungen personaler Art. Das umgreifende Geschehen aber, in dem dieses personale Beziehungsnetz aufleuchtet, ist die Selbstgabe des EINEN Gottes. Sie hat ihren Ursprung im Vater, ihren geschichtlichen Höhepunkt in der Menschwerdung des Wortes und ihre Fülle in der Gabe des Geistes. Wer die Parakletsprüche betrachtet, kann gar nicht anders als „trinitarisch“, also über den dreifaltigen Gott reden.
Christlicher Glaube als Überforderung und die Fülle der Wahrheit
Betrachten wir jetzt den fünften Parakletspruch, der das Festevangelium bildet!
„Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.“
In Romano Guardinis theologischem Klassiker „Der Herr“ ist geradezu ein Leitmotiv, dass die Jünger Jesu zwar in einer auch da schon durch die Gnade gewirkten Treue an ihm festhalten – aber eigentlich nichts verstehen. Guardini betont sehr stark, dass sich das erst Pfingsten ändert. Durch die Gabe des Geistes beginnt sich Stück für Stück das Christusgeheimnis in seiner Verbindung mit dem Vater, als Geheimnis des lebendigen Gottes zu erschließen. Der Geist schenkt jene Augen des Glaubens, die – und das ist etwas zutiefst Beglückendes! – immer mehr Zusammenhänge sehen lassen – und denen doch das Geheimnis immer größer wird. Und auch das ist Glück, dass Gott immer größer bleibt als all unser Verstehen.
„Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.“ Das ist also eine sehr grundsätzliche Aussage. Ohne den Geist ist das Christentum eine grundsätzliche Überforderung. Es gilt: Gott wird nur durch Gott erkannt. Gott muss uns im Geist die Augen öffnen, um das menschgewordene Wort des Vaters zu verstehen. Aber der Geist führt uns dann – die Kirche und jeden einzelnen Christenmenschen – in immer größere Fülle. Glaube ist auf Wachstum und Entfaltung angelegt. Glaube, der nicht nach der je größeren Fülle sucht, ist tief gefährdet. In dieser Fülle aber ist er unerschöpflich. Ist das nicht wunderbar? Im Blick auf dieses Wachstum nannten die alten Theologen den Glauben „inchoatio visionis“, Anheben der Schau.
Bindung an den Ursprung
Bei diesem Wachstum, bei diesem Weg in die Fülle der ganzen Wahrheit wird aber der Ursprung der heilsgeschichtlichen Fülle in der Menschwerdung des Wortes niemals verlassen: der Heilige Geist ist an Vater und Sohn gebunden, wie Vater und Sohn an ihn. Der Geist spricht nicht aus sich selbst, er verherrlicht den Sohn, er nimmt vom Sohn, er erinnert an sein Wort. So ist alles „Neue“ in der Kirche, wenn es mit rechten Dingen zugeht, immer Vertiefung des Ursprungs, Wachstum der Fülle des ursprünglichen Geheimnisses entgegen, Neuentdeckung des einen Evangeliums. Darin liegt die Identität des Glaubens und der Kirche. Was in Jesus geschehen ist, ist unüberholbar. Aber es ist so reich, dass es in jeder Zeit neue, authentische Aspekte aufleuchten lässt. Und so schenkt der Geist größte Kreativität in größter Gebundenheit. Über Jesus hinauszugehen, würde heißen, ihn zu verleugnen. Aus der Bindung an den Ursprung öffnet der Geist die Kirche prophetisch für die Zukunft Jesu:
„Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört und euch verkünden, was kommen wird.“
Gegenseitige Teilhabe
Aber auch Jesus, der Sohn und das Wort des Vaters, ist nicht isoliert. Unser Evangelium zeigt uns einen Gott, der in seiner Einheit beziehungsreich in gegenseitiger Teilhabe existiert: Der Geist nimmt vom Sohn. Er vergegenwärtigt ihn. Aber der Sohn hat sich ebenfalls ganz und gar daraus empfangen, dass sich ihm der Vater ganz und gar schenkt:
„Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er (der Heilige Geist) nimmt von dem, was mein ist, und wird es Euch verkünden.“
Das genau ist das Geheimnis der Selbstmitteilung Gottes, die Weise, wie er selbst sich uns schenkt, als dreifaltig einer: Vater, Sohn und Geist, beziehungsreich unterschieden und der EINE Gott.
Ein altes Bild sagt, der Geist sei das Band der Liebe (vinculum caritatis), der Kuss der Liebe in Person, als persönliche Wirklichkeit also. In der Sendung des Geistes öffnet sich dieser Lebens- und Liebesraum Gottes auf uns hin und nimmt uns hinein. Im Geist werden wir zu Mitliebenden der Liebe von Vater, Sohn und Geist.
Dr. theol. Martin Brüske,
geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.
Weitere Beiträge aus der Serie Fridays for FAITH:
Evangelium des ersten Fastensonntags
Evangelium des zweiten Fastensonntags
Evangelium des dritten Fastensonntags
Evangelium des vierten Fastensonntags
Evangelium des fünften Fastensonntags
Evangelium des 2. Sonntags der Osterzeit
Evangelium des 3. Sonntags der Osterzeit
Evangelium des 4. Sonntags der Osterzeit
Evangelium des 5. Sonntags der Osterzeit
Evangelium des 6. Sonntags der Osterzeit